24.11.2022 | Embryonalentwicklung

Das Erwecken des Genoms

Nach Befruchtung einer Eizelle durch ein Spermium liegt die neu kombinierte DNA dicht gepackt in der Zygote, der ersten gemeinsamen Zelle. Für die erfolgreiche Weiterentwicklung bedarf es eines speziellen Pionierfaktors, der die genetische Aktivität des Embryos gleichsam erweckt. Diesen Faktor konnten Kikuë Tachibana und ihre Teams - zunächst an der ÖAW in Wien, dann am Max-Planck-Institut in Martinsried identifizieren. Ihre Studie ist in Science erschienen.

Der Pionierfaktor Nr5a2 (rot) bindet an die noch inaktive, um Histone (grau) gewickelte DNA, einer befruchteten Eizelle. So weckt er das Genom auf. Jetzt können Gene abgelesen werden, die für die Entwicklung eines Embryos notwendig sind. Illustration: Max Iglesias © MPI für Biochemie

Der Beginn des Lebens ist ein faszinierender Vorgang in der Biologie. Ei- und Samenzelle verschmelzen, mütterliche und väterliche DNA wird neu kombiniert - und zunächst einmal dicht verpackt. Welche molekularen Prozesse beteiligt sind, die verpackte und dadurch noch nicht ablesbare DNA zu aktivieren, erforschte Kikuë Tachibana, Direktorin am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München und ehemalige Juniorgruppenleiterin am IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), zusammen mit ihren Teams.

Der Pionierfaktor "Nr5a2" weckt die Gene im ganz jungem Embryo auf

In der aktuellen Studie ging es darum, am Mausmodell herauszufinden, wie die embryonale DNA ganz zu Beginn aktiviert wird. Tachibana und ihre Kolleg:innen  suchten nach dem entscheidenden Pionierfaktor aus der großen Familie der Transkriptionsfaktoren. Letztere binden an bestimmte Sequenzmuster der DNA, um das Ablesen bestimmter Gensequenz zu starten.

„Das Kernteam der Studie umfasste Expert:innen für Embryologie, Biochemie, Bioinformatik, Mikroskopie und Genomik. Nur gemeinsam waren wir in der Lage, Hinweise im Genom zu finden, den Transkriptionsfaktor Nr5a2 zu entdecken und den Mechanismus innerhalb und außerhalb der Zellen zu untersuchen", so Tachibana.

Diesen Faktor fanden sie in dem Protein "Nr5a2". Für die Studie, die zur Aufklärung der Rolle von Nr5a2 zu Beginn eines neuen Organismus geführt hat, bedurfte es einer multidisziplinären Anstrengung, wie Kikuë Tachibana erläutert. „Das Kernteam dieser Arbeit bestand aus Expert:innen für Embryologie, Biochemie, Bioinformatik, Mikroskopie und Genomik. Nur gemeinsam waren wir in der Lage, Hinweise im Genom zu finden, den Transkriptionsfaktor Nr5a2 zu entdecken und den Mechanismus innerhalb und außerhalb der Zellen zu untersuchen."

Nr5a2 wurde erstmals in der Leber entdeckt, später erkannte man seinen Beitrag zur Einnistung des Embryos in der Gebärmutter. Wie wichtig Nr5a2 aber direkt nach der Befruchtung ist, wurde erst jetzt experimentell umfassend gezeigt. So konnte bewiesen werden, dass die meisten der frühen embryonalen mRNA-Moleküle nur produziert werden, wenn Nr5a2 nicht blockiert wird. Wird der Pionierfaktor experimentell ausgeschaltet, werden die entsprechenden Gene nicht abgelesen, keine mRNA gebildet, und die Embryonalentwicklung kommt über das Zweizellstadium nicht hinaus.

Die Forschung bleibt spannend

Für Kikuë Tachibana und ihre Kolleg:innen bleiben dennoch Fragen offen. „Die Entdeckung, dass Nr5a2 ein Schlüsselfaktor für das Erwachen des Genoms ist, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem mechanistischen Verständnis des Beginns des Lebens. Es ist aber auch klar, dass es noch andere Faktoren geben muss, die dazu beitragen, und die noch identifiziert werden müssen. Diese Arbeit liefert uns jetzt einen konzeptionellen Rahmen 'ex uno plura' (lat. viele aus einem), der erklären kann, wie die Transkriptionsaktivierung in frühen Embryonen robust erfolgt, um die Entwicklung zu einem ganzen Organismus zu gewährleisten“, resümiert die Entwicklungsbiologin.

 

AUF EINEN BLICK

Publikation:
J. Gassler, W. Kobayashi, I. Gáspár, S. Ruangroengkulrith, K. Tachibana et al., "Zygotic genome activation by the totipotency pioneer factor Nr5a2". Science, November 2022.
DOI: https://dx.doi.org/10.1126/science.abn7478

Die Studie wurde durch die Max-Planck-Gesellschaft und einen ERC Consolidator Grant finanziert. Die ersten Arbeiten dieser Studie wurden am IMBA durchgeführt und am MPI für Biochemie forteführt. Zwei der Erstautor*innen, Johanna Gassler und Siwat Ruangroengkulrith, forschten teilweise am IMBA im Rahmen des Vienna BioCenter PhD Program.