24.05.2023 | Medizingeschichte

Cholera als Blaupause für Pandemien

Cholera war die erste moderne Pandemie. Sie hat geprägt, wie wir über die Entstehung und globale Vernetzung von Krankheit und Ansteckung sowie über Gegenmaßnahmen denken. Ein Workshop an der ÖAW untersucht die sozialökologische Geschichte der Cholera im Indischen Ozean.

Der erste dokumentierte Ausbruch der Asiatischen Cholera in Bengalen (rot) und die darauffolgende Ausbreitung nach England (1817 bis 1831). © Lombard, D in 1831, Bibliothèque Universelle des Sciences et Arts, COLLBN Port 144 N 169 Leiden University Libraries

Die Letalität bei einer Choleraerkrankung, die unbehandelt bleibt, liegt zwischen 20 und 70 Prozent. Cholera ist meldepflichtig, der Erreger ist ein hochbewegliches Bakterium, das zu starkem Durchfall mit großem Flüssigkeitsverlust führt. In der seit 1961 andauernden siebenten Cholerapandemie kommt es weltweit immer wieder zu Ausbrüchen.

Am 24. Mai findet an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein Workshop zum Thema Cholera statt. Im Gespräch erklären die ÖAW-Medizinanthropologin Eva-Maria Knoll und der indische Medizinhistoriker Vivek Neelakantan, der aktuell Gastforscher an der Akademie ist, welche Parallelen es zu Covid-19 gibt und wie die Fälle von Cholerausbrüchen mit einer angespannten Wasserversorgung zusammenhängen. Diese Forschungsaktivitäten finden im Rahmen des Appraising Risk Projektes statt, das vom kanadischen Social Science and Humanities Research Council finanziert und am Indian Ocean World Center an der McGill Universität in Montreal beheimatet ist. Klima-bezogene Risiken im Indischen Ozean in der Vergangenheit und Zukunft stehen im Fokus dieses Projektes.

Wo und wann ist Cholera zum ersten Mal aufgetreten?

Vivek Neelakantan: Bis zur Entdeckung des Cholera-Bazillus durch Robert Koch im Jahre 1882 bestanden ätiologische und nosologische Unklarheiten hinsichtlich der Cholera. In Indien wurde die Cholera als Göttin personifiziert; in Bengalen als Ola Bibi bekannt; oder als Mari Aai in Teilen Westindiens. Die Menschen erbeten ihren Schutz, bringen ihr Essensopfer dar. 1817 finden wir dann den ersten dokumentierten Fall von Cholera in Bengalen. Der Krankheitserreger wanderte von dort aus nach Bombay, weiter nach Kleinasien, Afghanistan, Mauritius, Manila – er breitete sich in unterschiedliche Richtungen aus. Das war die erste dokumentierte Cholera-Pandemie der Geschichte.

Cholera war die erste Pandemie im modernen Zeitalter und hat geformt, wie wir noch heute über Pandemien denken.

Warum ist die Cholera für die Pandemie-Forschung so wichtig?

Eva-Maria Knoll: Der erste dokumentierte Fall steht auch für das Aufkeimen eines neuen Denkens in der Wissenschaft, wie Krankheiten entstehen und wie sie sich ausbreiten, wie Ansteckung erfolgt und bekämpft werden kann. Cholera war die erste Pandemie im modernen Zeitalter und hat geformt, wie wir noch heute über Pandemien denken. Ein zentraler Grund, weshalb Cholera ein ergiebiges Workshopthema ist, sind die vielen Dimensionen der Krankheit. Cholera ist sehr hartnäckig, sie ist endemisch, epidemisch aber auch pandemisch. Sie wurde im menschlichen Körper vermutet, aber auch außerhalb in der Umwelt des Ganges-Beckens. Sie ist lokal, verbunden mit Armut und unhygienischen Lebensbedingungen, aber auch global. Niemand war vor ihr sicher. Auch Wohlhabende waren betroffen.

Viele Cholerafälle werden nicht gemeldet, weil die Krankheit stigmatisiert ist und ein schlechtes Licht auf das betroffene Land wirft.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Knoll: 1873 gab es in Wien eine Choleraepidemie mit nahezu 3.000 Toten. Damals war gerade Weltausstellung, Wien wollte sich als innovative Stadt präsentieren. Und dann gab es diesen Cholera-Ausbruch, viele Besucher:innen verließen fluchtartig die Stadt, stornierten ihre Buchungen. Es gab aber auch positive Impulse: Die erste Wiener Hochquellenwasserleitung sollte sicheres Trinkwasser aus den Alpen nach Wien bringen. Dank der Bemühungen von ÖAW-Mitglied Eduard Süß wurde der Bau beschleunigt. Deshalb ist die Akademie der Wissenschaften auch ein perfekter Ort für unseren Workshop.

Cholera ist immer mit Armut verbunden, macht es das schwierig, sie in den Griff zu bekommen?

Neelakantan: Viele Cholerafälle werden nicht gemeldet, weil die Krankheit stigmatisiert ist und ein schlechtes Licht auf das betroffene Land wirft. Verschiedenartige Krisen führen zu einer angespannten Wasserversorgung und tragen zu einem Anstieg der Fälle bei, wie etwa die Klimakrise beim Ausbruch 2022 in Gujarat. Auf Haiti 2010 war der Auslöser ein schweres Erdbeben. 2016 kam es, bedingt durch den Bürgerkrieg, zu einem Choleraausbruch im Jemen.

Wie viele Todesfälle gab es insgesamt?

Knoll: Die WHO schätzt 1,4 Millionen Fälle jährlich und 21.000 bis 143.000 Todesfälle und hat das Ziel, Cholera bis 2030 zu beenden. Mit Impfungen, Elektrolyten, Antibiotika, sauberem Trinkwasser und hygienischen sowie ökonomischen Standards, lässt sich Cholera leicht in den Griff bekommen. Es ist eine Versorgungsfrage, eigentlich sollte niemand mehr daran sterben müssen.

Gibt es Parallelen zur Covid-19-Pandemie?

Neelakantan: Geschichte wiederholt sich nicht, aber es gibt ähnliche Uneinigkeiten hinsichtlich der Quarantäne von Infektionskrankheiten. In der Kolonialzeit hat die Regierung von Bombay die Quarantäne ankommender Schiffe befürwortet, die Raj-Behörden aber lehnten diese Maßnahme ab. In der Covid-19 Krise herrschte ebenfalls kein Konsens zwischen der indischen Zentral- und den Bundes­staaten­regierungen über die Umsetzung von Lockdowns.

Knoll: Der Wissenschaftler David Arnold hat Cholera als die Ur-Pandemie des modernen Zeitalters bezeichnet. Sie hat das Fundament gelegt, wie wir in der Wissenschaft, aber auch in der Öffentlichkeit über Pandemien als globales Phänomen denken, das jede und jeden betrifft. Diese globale Krisenverbundenheit wurde zum ersten Mal durch Cholera deutlich. Aber auch eine internationale Zusammenarbeit, um eine Impfung zu entwickeln. Insofern verwundert es nicht, dass es während Covid-19 ständig Referenzen zur Cholera gab.

 

Auf einen Blick

Vivek Neelakantan ist Medizinhistoriker und aktuell als Gastwissenschaftler am Institut für Sozialanthropologie (ISA) der ÖAW. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in Indien, Indonesien und den Philippinen und in der Geschichte internationaler Gesundheitsorganisationen.

Eva-Marie Knoll ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialanthropologie (ISA) der ÖAW.

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