26.11.2024 | Versprechen vs. Wirklichkeit

Späte Elternschaft dank neuer Technologien

Das Einfrieren von Eizellen ermöglicht Frauen, bis ins fortgeschrittene Alter schwanger zu werden. Zugleich werden bei dieser Technologie Risiken und die Erfolgsaussichten oft unter den Teppich kehrt, erzählt die britische Sozialmedizinerin Lucy van de Wiel im Rahmen einer Konferenz an der ÖAW.

Eine späte Elternschaft ist möglich, aber der Weg dahin nicht frei von Risiken. © AdobeStock

Die Familiengründung erfolgt weltweit in einem immer späteren Alter.  Durch neue Technologien wie das Einfrieren unbefruchteter Eizellen haben sich für Frauen die Möglichkeiten erweitert, auch im fortgeschrittenen Alter noch Kinder bekommen zu können. Die britische Sozialmedizinerin Lucy van de Wiel hat untersucht, welche Konsequenzen das für unsere Vorstellung vom Altern hat, wie Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern nivelliert werden, aber auch, welche Umwälzungen in der lukrativen  "Unfruchtbarkeitsbranche"  stattgefunden haben. 

Van de Wiel war eine der Vortragenden bei der Jahreskonferenz 2024 des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital, einer Forschungskooperation von Österreichischer Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Universität Wien und IIASA, die vom 21. bis zum 22. November an der ÖAW stattfand. Im Gespräch gibt sie Einblicke in die Thematik.

Technologie mit Risiken

Für viele junge Frauen ist das Einfrieren von Eizellen eine Option, sich verstärkt auf ihre Karriere zu konzentrieren und die Familienplanung zu verschieben. 

Lucy van de Wiel: Ein positiver Aspekt, da er einen Ausgleich zwischen den Geschlechtern schafft, bisher konnten nur Männer spät Kinder bekommen. Das Problem dabei ist jedoch, dass es sich um eine Technologie handelt, die mit einer Reihe von medizinischen Risiken verbunden ist. Frauen können Infektionen bekommen oder ein ovarielles Hyperstimulationssyndrom, was bedeutet, dass zu viel Flüssigkeit in ihren Körper und um ihre Organe gelangt – abgesehen von der Tatsache, dass sie sich zwei bis fünf Wochen lang ein- oder zweimal täglich spritzen müssen und eine Operation nötig ist. Es ist also ein ziemlich invasives Verfahren. Und dann gibt es auch ein finanzielles Risiko, weil Frauen in den meisten Ländern dafür selbst zahlen müssen. 

Es ist wichtig für Frauen, dass sie sich des Risikos und der Kosten bewusst sind. 

Wie erfolgreich ist diese Technologie?

Van de Wiel: Die Chancen sind gering, höchstens 20 Prozent enden mit einem Baby. Es wird aber meist anders vermarktet, dass man die biologische Uhr anhalten und das Altern stoppen könne. Die Realität ist, dass man vorher nicht wissen kann, welche Qualität die eingefrorenen Eier haben. Es gibt so viele Schritte auf diesem langen Weg bis zur Befruchtung und zum Einsetzen des Eis, die schief gehen können. Es ist wichtig für Frauen, dass sie sich des Risikos und der Kosten bewusst sind, wenn sie diese Entscheidung treffen. 

Wie gut wird man aufgeklärt? 

Van de Wiel: Die öffentlichen Gesundheitssysteme schenken den Risiken viel Aufmerksamkeit. Wenn Frauen in kommerzielle Kliniken gehen, wird vieles schön geredet. Ihr Ziel ist es oft, die Klinik im Laufe von drei bis fünf Jahren wertvoller zu machen und dann an den nächsten Investor zu verkaufen. Daher müssen sie die Kosten senken und beweisen, dass es Wachstum gibt. In Großbritannien gibt es Cocktailpartys mit Drinks und Tacos, auf denen man einen kostenlosen Fruchtbarkeitstest machen kann. Es geht darum, das Thema aus dem medizinischen Bereich zu holen und unterhaltsamer zu machen.  

Fruchtbarkeitsversicherungen

Ist es gesellschaftlich anerkannter, später Kinder zu bekommen? 

Van de Wiel: Wir sehen in den letzten Jahrzehnten einen Trend, weniger lang anhaltende Beziehungen zu haben. Sowohl Männer als auch Frauen geben an, dass sie erst viel später im Leben bereit sind, Kinder zu bekommen. Männer beenden ihre Beziehungen häufig zu einer Zeit, in der sich Frauen dem Ende ihrer potenziellen reproduktiven Lebensdauer nähern. Viele Frauen frieren ihre Eier also auch ein, weil sie keinen Partner gefunden haben. Sie haben dadurch mehr Optionen, können sich später entscheiden, das Kind allein großzuziehen. Technologieunternehmen haben sogenannte Fruchtbarkeitsversicherungen, die meist Frauen in Leitungsfunktionen angeboten werden. Der Arbeitgeber übernimmt die Kosten, dass sie ihre Eier einfrieren lassen kann. Die meisten Frauen sind glücklich über diese Möglichkeit, gleichzeitig beschreiben sie aber auch, dass es in der Unternehmenskultur darum geht, sich mit vollem Einsatz der Arbeit zu widmen. Niemand sagt, dass sie nicht schwanger werden sollen. Aber gleichzeitig wird erwartet, dass der Job an erste Stelle steht und das Privatleben nachgereiht wird. 

Ein Haus, ein Job, ein Partner, auf den man zählen kann: Diese Dinge kommen oft erst zu einem Zeitpunkt zusammen, an dem die Fruchtbarkeit bereits abnimmt oder nicht mehr da ist. 

Hat sich die kulturelle Bedeutung des Alters verändert? 

Van de Wiel: Mit 50 ist man heute nicht alt, die Menschen fühlen sich auch spät in ihrem Leben noch voller Tatendrang. Früher wurde gesellschaftlicher Druck ausgeübt, mit spätestens Mitte 20 verheiratet zu sein. Mittlerweile haben wir in den westlichen Ländern das Gefühl, dass wir uns nicht beeilen müssen mit unseren Entscheidungen. Gleichzeitig finden junge Menschen oft nur Arbeit mit befristeten Verträgen. Sie erhalten erst später im Leben das Gefühl einer Sicherheit, was auch verzögert, dass sie Familien gründen und Kinder bekommen.  Ein Haus, ein Job, ein Partner, auf den man zählen kann: Diese Dinge kommen oft erst zu einem Zeitpunkt zusammen, an dem die Fruchtbarkeit bereits abnimmt oder nicht mehr da ist. 

 

Auf einen Blick

Das Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital, eine Forschungskooperation von ÖAW, Universität Wien und IIASA, widmete seine Jahreskonferenz 2024 dem Thema "Delayed Reproduction: Challenges and Prospects".

Website der Konferenz