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GeschichteKriegsende

1945 bis 2025: Diese Wendepunkte prägten Österreich

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa – Anlass für eine prominent besetzte Runde, die über Österreichs Weg von 1945 über den Staatsvertrag bis zum EU-Beitritt 1995 diskutierte und einen Blick ins Heute warf: Ist Österreichs Neutralität noch zeitgemäß?

08.05.2025
Im Festsaal der ÖAW diskutieren Expert:innen zu Wendepunkten der österreichischen Geschichte
© ÖAW/Daniel Hinterramskogler

„45–55–95. Wendepunkte der  österreichischen Geschichte“, lautete der Titel der Veranstaltung im Festsaal der ÖAW: „Wir haben diese drei Wendepunkte ausgesucht, weil sie extrem wichtige Ereignisse in dieser Republik darstellen, zur Erinnerung, aber auch zur kollektiven Selbstreflektion darauf, wo wir heute stehen“, erklärte ÖAW-Präsident Heinz Faßmann zum Auftakt.

Auf dem Podium: die ehemalige SPÖ-Politikerin Brigitte Ederer, die als Staatssekretärin im Bundeskanzleramt den EU-Beitritt vorbereitete, Ursula Plassnik, ehemalige Schüssel-Kabinettschefin, Außenministerin und Diplomatin, die Philosophin, Autorin und Dozentin Lisz Hirn und ihr Fachkollege, Konrad Paul Liessmann. STANDARD-Journalist Klaus Taschwer moderierte und eröffnete mit der Frage: Welches Ereignis war das entscheidendste?

1989 und 2022 weitere Wendepunkte

1945 sei der prägendste Wendepunkt in der Geschichte Österreichs – da war sich die Runde, wenig überraschend, einig. 1945 „ist das entscheidende Datum. Eine Zäsur. Nicht auszudenken, wenn der Krieg anders ausgegangen wäre“, so Liessmann. Die übrigen Teilnehmerinnen der Runde betonten aber auch, wie wichtig das Jahr 1989 für Österreichs Entwicklung gewesen sei – nachdem man sich zuvor lange „sehr allein“ gefühlt hatte, seien Ostöffnung und EU-Beitritt für Österreich ein Glücksfall gewesen, so Plassnik.

Lisz Hirn erinnerte sich an die europäische Aufbruchseuphorie, die Sie 1989 als Schülerin erlebte: „Auf einmal gab es Sprachenlernen im Sprachlabor und Schulausflüge Richtung Straßburg und Brüssel“.

Kampf um Selbstbestimmung und Europa-Euphorie

Dass Österreich nach Staatsvertrag und Wirtschaftswunderjahren so etwas wie eine „Insel der Seligen“ gewesen sei, habe sich der funktionierenden Sozialpartnerschaft verdankt, meinte Brigitte Ederer. Damals hätten Betriebsräte und Unternehmer gemeinsam an einem Strang gezogen, ebenso wie sie selbst - zumindest beim Thema EU-Beitritt - mit Außenminister Alois Mock.

Ursula Plassnik sprach von einem langen Kampf um Selbstbestimmung nach 1945: Zehn Jahre Besatzung, danach im Schatten Moskaus: „Was wir wirtschaftlich trotzdem geschafft haben, ist ein kleines Wunder.“  Als Alois Mock 1989 den EU-Beitritt beantragte, habe man ihn gefragt, ob er dazu nicht erst Moskaus Segen brauche.

Zugleich habe Österreich während der Aufbaujahre – anders als Deutschland – versäumt, Vergangenes aufzuarbeiten. Das Verdrängte sei erst mit der Waldheim-Affäre ans Licht gekommen, so Liessmann.

Neutralität überdenken?

Moderator Taschwer warf die Frage auf, ob Neutralität noch Teil der österreichischen Identität sei – und eventuell auch dieses Thema momentan verdrängt werde.

In den letzten zwei Jahren sei in ihr ein Weltbild zusammengebrochen, antwortete zunächst Brigitte Ederer. Es müsse doch andere Wege aus der Situation geben als Aufrüstung. Nur welche? „Ich bin orientierungslos, leide und frage mich, wie ich mich positionieren will.“ Kämpferisch gab sich Ursula Plassnik: „Für mich ist die Neutralität ein Bundesverfassungsgesetz. Und ein Gesetz kann man ändern. Es steht die Welt am Kopf und wir müssen unsere Sicherheitsinteressen verteidigen.“ Lisz Hirn warf ein, dass auch die Sicherheit der Strom- und Datennetze gewahrt werden müsse.

Liessmann erinnerte daran, dass auch der Kalte Krieg ein Bedrohungsszenario dargestellt habe. Plassnik entgegnete: "Es wird auf europäischem Boden Krieg geführt. So viel Aufwachen muss sein. Wenn jetzt über europäische Sicherheitsarchitektur entschieden wird, sitzen wir nicht mit am Tisch.“

Am Ende waren sich alle zumindest darüber einig: Einen Wendepunkt erkennt man oft erst im Rückblick – vielleicht war 2022 ein solcher. Oder 2025 wird einer sein.

 

Auf einen Blick 

Bei der Veranstaltung „45–55–95. Wendepunkte der  österreichischen Geschichte" sprachen die ehemalige SPÖ-Politikerin Brigitte Ederer, Ursula Plassnik, ehemalige Schüssel-Kabinettschefin, Außenministerin und Diplomatin, die Philosophin, Autorin und Dozentin Lisz Hirn und ihr Fachkollege, Konrad Paul Liessmann am Podium. STANDARD-Journalist Klaus Taschwer moderierte.