Georg Winter, welche Rolle spielt die Grundlagenforschung heute, gerade mit Blick auf die Künstliche Intelligenz?
Georg Winter: Die Grundlagenforschung wird auch in Zeiten der KI hoch relevant bleiben, doch KI ermöglicht es, deutlich schneller voranzukommen. Bei AITHYRA wollen wir KI nicht nur in der Datenanalyse einsetzen, sondern im gesamten wissenschaftlichen Prozess – von der Generierung neuer Hypothesen bis zur Planung von Experimenten. Daten bereiten wir gezielt so auf, dass sie optimal für KI nutzbar sind. Wir sehen KI also als eine Art Co-Pilot, der uns erlaubt, Forschungsfragen schneller zu entwickeln und zu beantworten.
KI kann neue und innovative therapeutische Konzepte entwickeln.
Wiekann die Verbindung von KI und Life Sciences dazu beitragen, dass neue Erkenntnisse schneller in der Medizin ankommen?
Winter: Es gibt verschiedene Ansatzpunkte, an denen KI besonders produktiv sein kann. In der Grundlagenforschung hilft sie, Mechanismen der Krankheitsentstehung besser zu verstehen. Zudem kann KI neue und innovative therapeutische Konzepte entwickeln – das ist vor allem für die akademische Forschung interessant. Auch in der personalisierten Medizin kann KI eine wertvolle Ergänzung sein: Sie ermöglicht die Identifikation von Biomarkern, sodass Medikamente gezielt beim richtigen Patienten wirken. Schließlich ist auch die Diagnostik ein großes Feld: KI-gestützte Systeme können Krankheiten oft präziser erkennen als rein ärztliche Verfahren, wie etwa bei Brustkrebs oder Melanomen.
Apropos Krebs, welche Chancen eröffnet Ihre Arbeit konkret für die Krebsforschung von morgen?
Winter: In meinem Labor ist unser Hauptthema, Therapien grundsätzlich neu zu denken und neu zu entwerfen. Wir arbeiten hauptsächlich im Bereich Krebs, aber viele unserer Einsichten sollten auch ein breiteres Wirkungsspektrum haben. Traditionelle Medikamente funktionieren meist so, dass sie eine bestimmte Proteinstruktur binden und dadurch blockieren. Uns interessiert, wie wir Mechanismen, die in Zellen ohnehin aktiv sind – zum Beispiel den Proteinabbau – so umprogrammieren können, dass krankheitsrelevante Proteine ausgeschaltet werden.
Das bedeutet, wir wollen Proteine therapeutisch zugänglich machen, die mit klassischen pharmakologischen Methoden bisher nicht erreichbar sind. Es gibt Proteine, von denen wir seit Jahrzehnten wissen, dass sie eine zentrale Rolle bei der Krebsentstehung spielen, auf die die Pharmakologie aber keinen Zugriff hat. Genau diese Lücken versuchen wir zu schließen.
Automatisierung unterstützt Kreativität
Wie wird das geplante KI-gestützte Robotiklabor von AITHYRA die medizinische Forschung verändern?
Winter: KI ist besonders gut darin, Muster in großen Datenmengen zu erkennen. Damit KI ihr Potenzial entfalten kann, müssen wir große Datenmengen generieren – und das wird vor allem über Automatisierung und Robotik möglich. Die Idee dieser Plattform ist es, Daten im großen Maßstab zu erzeugen. Diese Daten müssen vielleicht nicht so perfekt sein, weil ihr Wert im Umfang liegt. Diese Automatisierung gibt Forscher:innen mehr Zeit zum Nachdenken. Sie müssen weniger repetitive Laborarbeit machen und können sich stärker auf kreative und konzeptionelle Fragen konzentrieren.
Es ist wichtig, kooperativ zu arbeiten, Interesse über den eigenen Fachbereich hinaus zu haben und so neugierig wie möglich zu bleiben.
Welchen Rat geben Sie jungen Forscher:innen an der Schnittstelle von Life Sciences und KI?
Winter: Wir stellen im Recruitment zunehmend fest, dass die klassische Einteilung in Life Scientist und Computer Scientist der Realität nicht mehr gerecht wird. Es gibt Life Scientists mit starkem KI-Hintergrund und umgekehrt. Ich glaube, dass Generalist:innen, die in beiden Welten zuhause sind – also „bilingual“ – die größten Fortschritte erzielen werden. Zudem werden die wissenschaftlichen Fragen immer komplexer. Deshalb ist es wichtig, kooperativ zu arbeiten, Interesse über den eigenen Fachbereich hinaus zu haben und so neugierig wie möglich zu bleiben. Wer diese Eigenschaften kombiniert, ist in dieser dynamischen Welt sehr gut aufgestellt.
Zur Person
Georg Winter ist biomedizinischer Direktor des AITHYRA-Instituts der ÖAW. Der international vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler konzentriert sich in seinen Forschungen auf maßgeschneiderte kleine Moleküle, die sich an Krebs verursachende Proteine heften und Tumorzellen dadurch unschädlich machen.




