Keine Forschung, keine Antwort.

Ist die Demokratie noch zu retten?
Alexander schaut hin und findet's raus.

Gefährdet eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft unsere Demokratie?

Alexander Bogner: Polarisierung meint, dass die Gesellschaft in zwei weltanschaulich homogene Gruppen gespalten ist, die miteinander verfeindet sind. Beispielhaft dafür stehen die USA mit ihrem Zwei-Parteien-System. Die Frontstellung zwischen Demokraten und Republikanern hat sich mittlerweile derart verhärtet, dass vernünftige Politik auf Basis von Kompromissen fast schon ausgeschlossen scheint. Viele Anhänger:innen der einen Partei sagen, dass sie im privaten Leben jeglichen Kontakt mit den Wähler:innen der anderen Partei vermeiden. Von diesen Verhältnissen sind wir in Österreich weit entfernt. Österreich ist das Paradies der Koalitionsbildungen, des Aushandelns, der Suche nach dem Konsens, immer noch. Trotzdem kann natürlich in Krisensituationen eine Polarisierung stattfinden, das haben wir in der Corona-Pandemie gesehen.

Polarisierung

Was sind die Gründe für das Auseinanderdriften der Menschen?

Bogner: Es gibt viele Gründe, weil Polarisierung ja auch viele verschiedene Gesichter hat. Politische oder religiöse Überzeugungen können dabei eine Rolle spielen, aber auch kulturelle Faktoren wie zum Beispiel im Kampf um die Anerkennung geschlechtlicher Identitäten. Im Kern basiert Polarisierung darauf, dass man Menschen anhand singulärer Eigenschaften bewertet, weil man glaubt, dass diese Eigenschaften den Wesenskern des Menschen ausmachen. Man reduziert also eine Person auf ein bestimmtes Merkmal, das quasi alles über sie verrät. In der Corona-Pandemie sprach man über „die Ungeimpften“ und wusste Bescheid. Eine solche Vereinfachung oder Vereindeutigung ist notwendig, damit das Freund-Feind-Denken funktioniert. Es basiert auf Stereotypenbildung.

Dissens und Meinungsverschiedenheit sind eigentlich der Humus der Demokratie.

Ist Dissens und Meinungsverschiedenheit immer problematisch – oder kann beides auch die Demokratie stärken?

Bogner: Dissens und Meinungsverschiedenheit sind eigentlich der Humus der Demokratie. Denn nur im Wettstreit der Meinungen kann sich herausstellen, ob eine bestimmte politische Position tragfähig ist. Politik kann nur dadurch etwas besser werden, dass man Fehler korrigiert. Die Chance dazu bietet letztlich nur die öffentliche Auseinandersetzung. Auch wenn in Österreich konsensdemokratische Ideale immer sehr stark waren, so liegt doch der größere Nutzen im Dissens, denn er kurbelt den Fortschritt an. Das ist so ähnlich wie in der Wissenschaft: Auch dort lebt der Fortschritt von den offenen, manchmal unerbittlichen Auseinandersetzungen in den Fachgemeinschaften. Natürlich ist besseres, gesichertes Wissen das Ziel, aber der Weg dorthin führt über Meinungsverschiedenheiten.

Wie können wir das Vertrauen in demokratische Institutionen wieder herstellen?

Bogner: Konkrete Empfehlungen, wie wir das Vertrauen in die Demokratie verbessern können, hängen natürlich davon ab, wie unsere Krisendiagnose lautet. Woran hapert es mit der Demokratie? Zunächst: Institutionenskepsis ist häufig ein Krisenphänomen. Das haben wir in der Corona-Pandemie gesehen. Zu Beginn der Krise war das Vertrauen in Regierung und Expert:innen hoch. Als absehbar wurde, dass die Krise einen zähen Verlauf nehmen würde, schwand das Vertrauen. Viele Leute waren bald der Ansicht, dass die Regierung heillos überfordert war. Problematisch war auch der Eindruck, dass sich die Politik hinter Sachzwängen und Expert:innen verstecke oder als verlängerter Arm des Lobbyismus operiere. In der Demokratie muss Politik als informierte, selbständig abwägende Instanz erlebbar sein. Sie darf nicht in Ritualen erstarren oder hinter administrativen Routinen verschwinden.

Zur Person

Alexander Bogner ist Soziologe am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Wissenschaft, Technik und Umwelt. 

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