Di, 13.10.2015 15:42

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Der Philosoph Konrad Paul Liessmann sprach auf Einladung der Gesellschaft der Freunde der ÖAW über Fluch und Segen sozialer Medien

Bild: Wikimedia/CC

Gefällt mir! Retweet this!  Teile das! Ungeachtet, wie man persönlich zu sozialen Medien steht - Facebook, Twitter, Youtube & Co haben in der kollektiven wie individuellen Psyche tiefe Spuren hinterlassen. Die Debatte zwischen arglosen Nutzern und kategorischen Verweigerern der sozialen Dienste verläuft oft emotional. Konrad Paul Liessmann, Philosoph an der Universität Wien, machte mit seinem Vortrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) klar, wie wertvoll der Beitrag der Geisteswissenschaften zu dieser Debatte sein kann. Auf Einladung der Gesellschaft der Freunde der ÖAW analysierte er unter anderem, wieviel Barbarei in sozialen Medien steckt, wie hoch der Preis für die Aufgabe der Privatheit sein könnte und warum soziale Medien und das Internet uns letztlich unsterblich machen könnten.

Reduziert und schnell

„Die sozialen Medien sind ein Forum der Information, der Diskussion, der Meinungsbildung“, sagte Hubert Christian Ehalt, Präsident der Gesellschaft der Freunde der ÖAW, bei der Veranstaltung „Kommunikation in sozialen Medien“. Um klarzumachen: „Vor allem aber sind sie auch ein Forum der Selbstdarstellung.“

Tatsächlich scheinen die technologischen Entwicklungen, die hinter Facebook, Twitter & Co stehen, unzweifelhaft eine Revolution in der Informationsverbreitung ausgelöst zu haben. Zunächst ist, wie Konrad Paul Liessmann an der ÖAW betonte, eine enorme Verdichtung des Kommunikationsaktes zu beobachten, da selbst komplexe Materien auf ein Posting, ein Like oder einen Tweet reduziert, auf den Punkt gebracht und verbreitet werden können. Die Möglichkeit, auf derartige Aktionen nahezu in Echtzeit reagieren zu können, führte zugleich zu einer unvergleichlichen Beschleunigung der Kommunikation. „Das allerdings greift tief in die psychische Struktur unseres Kommunikationsverhaltens ein“, sagte Liessmann. Denn durch die technischen Möglichkeiten und deren Gebrauch entstehe eine große Erwartungshaltung: Wer 20 Minuten nach dem Versand eines Mails oder eines Tweets keine Reaktion darauf erhalten hat, erfährt eine Enttäuschung.

Verführung zur Barbarei

Nicht anders als revolutionär ist die Möglichkeit sozialer Medien zu bezeichnen, auch vermeintlich leisen Stimmen Gehör zu verschaffen. Wo früher Meldungen und Informationen lediglich in kleinen Gruppen zirkulierten, können beispielsweise über Twitter verbreitete Meinungen rasch eine globale Aufmerksamkeit erreichen. Dieser Umstand vermag die politische Öffentlichkeit neu zu strukturieren und damit demokratischen Nutzen zu stiften. Zu hinterfragen ist vielfach freilich der Wert derartiger Kommunikation. So sei es im Vergleich zum Verfassen eines aufwändig konzipierten Leserbriefes zwar ein Leichtes, ein kritisches Posting zu einem Artikel abzusetzen. Die Gelegenheit zum Überdenken, Räsonieren und Reflektieren kann dabei allerdings schnell verloren gehen. Für Liessmann ist das nicht zuletzt eine zivilisatorische Frage: Das Prompte, beruft sich Liessmann auf philosophische Denker aus dem 20. Jahrhundert, sei das Barbarische. „Digitale Soziale Medien verführen zum Prompten. Und sie verführen zur Barbarei.“, so der Philosoph.

Digitaler Spiegel

Wie aber ist vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen der auf sozialen Medien allgegenwärtige Hang zur Selbstdarstellung zu bewerten? Haben Facebook, Twitter & Co. uns zu hemmungslosen Narzissten gemacht? Liessmann sieht das differenzierter. So sei das Streben nach Ruhm nichts Neues, wie beispielsweise schon Andy Warhole mit seinen berühmt gewordenen "15 minutes of fame" gezeigt habe. Neu aber ist, wie sehr dieses Streben auf den sozialen Medien auf Kosten der eigenen Privatheit verfolgt werde. „Der Gegensatz zwischen Öffentlichem und Privatem verschwimmt“, bekräftigte Liessmann. Ein Gegensatz, der nach Ansicht des Philosophen als eine der größten Errungenschaften des aufgeklärten Bürgertums zu bewerten sei. „Wenn wir diese Art von Trennung aber aufheben, bringt das nicht nur Freiheit. Sondern auch Kontrolle und Zensur.“

Bei allen kritisch zu betrachtenden Entwicklungen könnte der Siegeszug von Facebook, Twitter & Co freilich einen ewigen Menschheitstraum erfüllen. „Das Internet hat keinen Mechanismus des Vergessens“, erinnert Liessmann. Dies verleihe geteilten Selfies, Meinungsbekundungen und Fotos aus dem Urlaub „einen Vorgeschmack auf die Unendlichkeit“. Und ihren Urhebern damit ein gewisses Maß an Unsterblichkeit.

Video

Informationen

 

 

Gesellschaft der Freunde der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

 

 

 

 

 

Konrad Paul Liessmann: „Kommunikation in sozialen Medien“

 


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