20.05.2019

Wie Virusinfektionen zu Kachexie führen

Molekularmediziner/innen der ÖAW entzifferten Mechanismen, die bei Patient/innen mit Krebs, AIDS oder Autoimmunerkrankungen das gefährliche Syndrom Kachexie auslösen können. Ihre Ergebnisse publizierten die Forscher/innen im Fachmagazin „Nature Immunology“.

© Wikimedia/PD

Viele Patienten mit chronischen Krankheiten wie Krebs, AIDS oder Autoimmunerkrankungen leiden an einer rätselhaften Zusatzerkrankung, der Kachexie. Dabei handelt es sich um ein hochkomplexes und noch wenig verstandenes Syndrom, das zu einem unkontrollierbaren Gewichtsverlust führt. Schrumpfende Fettreserven und ein Abbau des Muskelgewebes führen zur Schwächung des Patienten. Kachexie gilt als einer der Faktoren, die zu einem vorzeitigen Tod beitragen. Trotz des enormen klinischen Bedarfs sind die Standards für Diagnose und Betreuung von kachektischen Patient/innen jedoch nach wie vor unzureichend und wirksame Behandlungsmöglichkeiten fehlen.

In einer im Fachmagazin „Nature Immunology“ veröffentlichten Studie gelang es Wissenschaftler/innen des CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nun, entscheidende Mechanismen der Kachexie zu beschreiben. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftler/innen der Universität Graz, der Medizinischen Universität Wien sowie Partnern aus Deutschland, der Schweiz und den USA konnten zentrale molekulare Akteure identifiziert werden, die bei chronischen Infektionen zur Kachexie führen.

Die Untersuchungen zeigten unter anderem, dass die Virusinfektion zu einer gravierenden Reorganisation der Architektur des Fettgewebes führte. Dies war mit der Aktivierung der Lipolyse verbunden, einer molekularen Kaskade von Prozessen, die der Körper zur Auflösung seiner Fettdepots verwendet. „Überraschend war“, so Hatoon Baazim, Erstautorin der Studie und Doktorandin am CeMM der ÖAW, „dass keiner der Entzündungsmediatoren, von denen bekannt ist, dass sie Kachexie bei Krebs auslösen, in unserer Infektionsstudie eine Rolle spielen.“

T-Killerzellen als Auslöser der Kachexie

Bei der Untersuchung anderer möglicher Mechanismen stellten die Wissenschaftler/innen fest, dass ein bestimmter Zelltyp des Immunsystems für die Auslösung der Kachexie verantwortlich ist: CD8-T-Zellen. Diese auch T-Killerzellen genannten Immunzellen erkennen normalerweise virusinfizierte Zellen oder Krebszellen und töten sie ab. Die vorliegende Studie konnte nun zum ersten Mal zeigen, dass CD8-T-Zellen für die Auslösung der Kachexie bei Infektionen eine zentrale Rolle zukommt. Dabei spielen zusätzliche Signale des antiviralen Zytokines Typ-I-Interferon, einem körpereigenen Botenstoff des Immunsystems, sowie die Erkennung des Virus durch die CD8 T Zellen eine wichtige Rolle.

Besseres Verständnis von AIDS, Tuberkulose und Malaria

Die neue Studie gibt Aufschluss über die komplexen Entzündungsprozesse und Stoffwechselveränderungen bei der infektionsassoziierten Kachexie, und stellt für die internationale Forschungsgemeinschaft ein wertvolles Modell bereit, um die molekularen Mechanismen der Kachexie weiter zu erforschen. Dies kann zu einem besseren Verständnis von Infektionen wie AIDS, Tuberkulose oder Malaria und anderen parasitären Erkrankungen, die Kachexie verursachen, beitragen.

ÖAW-Forscher Andreas Bergthaler: „Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass zukünftige Forschungsstudien, die die Kachexie im Zusammenhang von Infektionen und Krebs vergleichend untersuchen, ein Schlüssel dafür sein werden, um dringend notwendige Fortschritte im Verständnis dieser noch immer sehr mysteriösen Krankheit zu erzielen.“ Solche neuen Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung könnten die Entwicklung innovativer Therapiestrategien zur Linderung der Kachexie und der damit verbundenen lebensbedrohlichen chronischen Krankheiten anregen.

 

Publikation:

 „CD8+ T cells induce cachexia during chronic viral infection“. H. Baazim, A. Popa, L. Kosack, M. Smyth, A. Lercher, A. Bergthaler. Nature Immunology, 2019
DOI 10.1038 / s41590-019-0397-y

Förderung:

Unterstützt wurde die Arbeit unter anderem vom European Research Council (ERC), dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und den US National Institutes of Health.
 

CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW