08.06.2017

Wie Vibrationen Knochen wachsen lassen

Kleine Vibrationen lassen Knochen stärker werden. Warum und wie das Skelett auf diese Signale reagiert, erforscht Ralph Müller von der ETH Zürich. Entschlüsselt man diesen Mechanismus, könnte man damit Krankheiten wie Osteoporose gezielt behandeln, erklärte der Biomechaniker zum Abschluss der Viktor Kaplan Lectures an der ÖAW.

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„Wie lange dauert es, bis sich ein Knochen komplett erneuert hat? Bis keine Zelle mehr ist, wie sie war?“ Diese Frage stellte der Biomechaniker Ralph Müller dem Publikum im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). „Sechs Wochen“, antwortete eine Frau. „Sieben Jahre“, ein Mann und ein anderer erwiderte: „sechs Monate“. Die richtige Antwort lautet drei bis sieben Jahre, „dann ist von der organischen bis zur anorganischen Substanz alles neu“, erklärte Müller. Er war zum Abschluss der diesjährigen Viktor Kaplan Lectures an der ÖAW in Wien zu Gast. Müllers Thema: „Vibrationstherapie oder wie die Knochen hören lernten“.

Knochen: Immer wieder neu

Dabei war für manche im Saal die Information, dass Knochen sich regelmäßig zur Gänze überholen, überhaupt neu. Denn Knochen gelten eher als robust und starr und weniger als „sehr empfindlich“ oder gar „flexibel“, wie sie Müller in seinem Vortrag beschrieb. „Knochen verändern sich ständig und passen sich an unterschiedliche mechanische Kräfte und Bewegungen an“, erläuterte er. Wer etwa für einen Marathon trainiert, bekommt immer stärkere Bein- und Fußknochen, ein Tennisspieler wiederum baut am Arm nicht nur Muskeln, sondern auch Knochen auf. In der Schwerelosigkeit hingegen schwinden die Knochen mangels Belastung um zwei Prozent pro Monat.

Knochen verändern sich ständig und passen sich an unterschiedliche mechanische Kräfte und Bewegungen an.

Verantwortlich für diesen Umbau sind einerseits die Osteoblasten – sie bauen neues Knochengewebe auf – und andererseits die Osteoklasten, jene Zellen, die den Knochen abbauen. „Das ist ein ständiger Prozess: es wird immer Gewebe abgebaut sowie aufgebaut. Einen ausschließlichen Knochenaufbau beispielsweise gibt es nicht“, so der Naturwissenschaftler. Damit dieser Vorgang nicht willkürlich erfolgt, sondern jeder Knochen an der richtigen Stelle verändert wird, gibt es Osteozyten. Müller: „Man nennt sie auch das Gehirn des Skelettes, da ungefähr ein Drittel aller Synapsen im Hirn im Knochen widergespiegelt sind.“

Osteoporose: Fehler im System

Bei manchen Menschen allerdings ist dieser Mechanismus fehlerhaft, wodurch mehr Knochen ab- als aufgebaut werden. Betroffen sind hier vor allem Frauen nach der Menopause – genauer leidet etwa ein Drittel an einer sogenannten Osteoporose, die Knochenbrüche zur Folge haben kann. „Rund 20 Prozent sterben nach so einer Fraktur, diese Bedrohlichkeit ist vielen nicht klar“, so der Biomechaniker.


Wie Müller und seine Kolleg/innen herausgefunden haben, ließe sich das Wachstum aber durch Vibrationen wieder anregen. Denn Knochen reagieren nicht nur auf die grobe mechanische Belastung etwa wie beim Laufen oder beim Tennis, sondern sind auch sehr empfindlich gegenüber mechanischen Vibrationen. Das heißt, man stellt sich drei Mal in der Woche für fünf Minuten auf eine vibrierende Platte und die Knochen reagieren. „Knochen müssen nur gut zuhören können, um die Schallwellen in biologische Signale und schließlich in Befehle umsetzen zu können, an welcher Stelle wie viel Knochen aufgebaut werden muss.“

Knochen müssen nur gut zuhören können, um Schallwellen in biologische Signale umzusetzen.

Zumindest bei Mäusen sind erste Ergebnisse mit dieser Methode vielversprechend: innerhalb von vier Wochen haben die Tiere um zwanzig Prozent Knochenmasse zugelegt. „Das ist super. Man könnte sich etwa beim Zähneputzen oder beim Kochen dreimal in der Woche für ein paar Minuten auf eine kleine Platte stellen und dem Knochenschwund entgegen wirken“, erklärte Müller euphorisch. Allerdings fehlen bisher vergleichbare Ergebnisse beim Menschen. „Das Problem ist, dass wir noch nicht wissen, wie diese Zellen genau aufgebaut sind, wie sie hören und wie die Kommunikation zwischen den Zellen abläuft. Uns fehlen also noch entscheidende Grundlagen.“ Das heißt, es können noch keine Angaben über die richtige Frequenz und Dauer der Behandlung gemacht werden oder darüber, welche Rolle die Größe sowie das Gewicht eines Patienten spielen.

Ohne Nebenwirkungen: Vibrationstherapie

Um diese Lücke zu schließen, versuchen Müller und sein Team alle Zellen in den Knochen zu erfassen, zu analysieren und anschließend zu einem dreidimensionalen Bild zusammenzufügen. „Wir wollen dadurch erfahren, wie die Zellen unterschiedlich auf mechanische Belastungen reagieren und wie sie ihren genetischen Code mit dem Älterwerden verändern.“ Auf diese Weise soll es möglich werden, gezielt verschiedene Knochenzellen im Körper mit einer Vibrationstherapie ansprechen und stimulieren zu können. 

Nebenwirkungen sind durch so eine Therapie nicht zu erwarten, sofern man es mit der Vibration nicht übertreibt, meinte Müller – denn dann könnte es zu einem Ermüdungsbruch kommen. „Im Grunde setzen wir den Körper aber einer natürlichen Belastung aus.“ Doch: Bis die Vibrationstherapie großflächig eingesetzt werden kann, werden noch einige Forschungsjahre vergehen, so Müller.

 

Ralph Müller ist Professor für Biomechanik am Department of Health Sciences and Technology der ETH Zürich. Der gebürtige Schweizer studierte Elektrotechnik und war als Assistant Professor of Orthopedic Surgery an der Harvard Medical School tätig sowie als Associate Director am Orthopedic Biomechanics Laboratory. Er ist Autor von mehr als 1.100 Publikationen und wurde 2015 in die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften aufgenommen.

„Vibrationstherapie oder wie die Knochen hören lernten“ lautete der Titel seines Vortrags am 31. Mai 2017 an der ÖAW, der den Anschluss der diesjährigen Reihe der Viktor Kaplan Lectures bildete.

Viktor Kaplan Lectures der ÖAW