28.02.2020 | Stammzellen unter der Lupe

Wie in unserem Körper Nervenzellen entstehen

Wissenschaftler/innen der ÖAW und von weiteren österreichischen Forschungsinstitutionen haben sich erstmals zusammengetan, um gemeinsam herauszufinden, wie Nervenzellen aus Stammzellen gebildet werden.

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Jede Zelle im Körper von Tieren und Menschen ist ursprünglich aus Stammzellen entstanden. Üblicherweise teilen sich diese universalen Vorläuferzellen so, dass einerseits weitere Stammzellen entstehen und andererseits spezialisierte Zellen, die in diversen Gewebetypen gebraucht werden. So wird sichergestellt, dass auch im ausgewachsenen Organismus stets ein Reservoir aus Stammzellen bestehen bleibt, das spezialisierte Zellen ersetzen kann. Besonders komplex gestaltet sich die Entwicklung von Nervenzellen.

“Im Gehirn gibt es viele Arten von Nervenzellen – beim Menschen sind es mehrere tausend –, die im Zuge der Entwicklung in einer bestimmten Abfolge hergestellt werden müssen. Dafür müssen sich die Stammzellen entsprechend verändern. Das wird unter anderem durch ihre Position, zeitliche Faktoren, chemische Signale und das Alter des Organismus beeinflusst”, sagt Jürgen Knoblich, Direktor des IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)

Geballte Power in der Stammzellforschung

Knoblich leitet das Projekt “stem cell modulation in neural development and regeneration”, das als einer von vier neuen Spezialforschungsbereichen vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird. Insgesamt zehn Forschungsgruppen aus Österreich sind beteiligt.

Wir wollen wissen, wie die Stammzellen einerseits gleich bleiben können, sich andererseits aber so verändern, dass viele verschiedene Nervenzelltypen entstehen können.

“Wir haben in Österreich in den vergangenen Jahren eine kritische Masse an Stammzellenforscherinnen – und forschern aufgebaut. Mit dem neuen Projekt wollen wir die Forschungslandschaft in diesem Bereich auf bisher einzigartige Weise verknüpfen, indem wir verschiedene universitäre und außeruniversitäre Forschungsgruppen zusammenbringen und die Ressourcen bündeln”, erklärt Knoblich. Beteiligt sind neben der ÖAW etwa auch die Universitäten Wien und Innsbruck sowie das Institute for Science and Technology Austria.

Jede Zelle zählt

Das Ziel des Projekts ist es, ein möglichst detailliertes Bild von der Entstehung von Nervenzellen zu bekommen. Die Arbeit wird dabei in drei Unterbereiche aufgeteilt, die sich mit den Einflüssen von Position, Alter und Zeit auf die Ausdifferenzierung verschiedener Nervenzelltypen beschäftigen. “Wir wollen wissen, wie die Stammzellen einerseits gleich bleiben können, sich andererseits aber so verändern, dass viele verschiedene Nervenzelltypen entstehen können. Das Geheimnis muss in verschiedenen Genmodulen stecken”, erklärt Knoblich.

Durch den Einsatz von Organoiden können wir erstmals auch menschliche Nervenzellen erforschen. Das ist eine Revolution.

Um den Prozess besser zu verstehen, setzen die Wissenschaftler/innen auf die Analyse einzelner Zellen. Dabei werden bis zu 20.000 Einzelzellen gleichzeitig untersucht, um festzustellen, welche Gene aktiv sind. “Da kommen enorme Datenmengen zusammen. Hier wird die Gruppe des Bioinformatikers Arndt von Haeseler uns helfen, neue Algorithmen und Methoden zu entwickeln, um die komplexen Datensätze zu analysieren”, sagt Knoblich. 

Einsatzfeld für neuartige Organoide

Die einzelnen Forschungsgruppen nutzen diverse Modellorganismen für ihre Arbeit, von Meereswürmern über Mäuse bis zu Organoiden, die aus menschlichen Zellen bestehen. Die interessantesten Anwendungen liegen aber auf jeden Fall in der Humanmedizin. “Durch den Einsatz von Organoiden können wir erstmals auch menschliche Nervenzellen erforschen. Das ist eine Revolution, die da gerade stattfindet und die im Bereich der Grundlagenforschung die Grenzen zwischen Medizin und Biologie verschwinden lässt. Das Potenzial ist gewaltig, von der Heilung verschiedener Krankheiten bis zur Verlangsamung der Zellalterung”, zeigt sich Knoblich zuversichtlich.

 

AUF EINEN BLICK

Jürgen Knoblich ist wissenschaftlicher Direktor des IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der ÖAW sowie Professor an der MedUni Wien. Der Biochemiker promovierte am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen und forschte unter anderem an der University of California, San Francisco, und dem Institute of Molecular Pathology (IMP) in Wien. Seit 2013 ist Knoblich wirkliches Mitglied der ÖAW.

Das Projekt “stem cell modulation in neural development and regeneration” ist ein vom Wissenschaftsfonds FWF geförderter Spezialforschungsbereich, der von Jürgen Knoblich geleitet wird. Das Ziel ist es, die molekularen Mechanismen aufzuklären, die sowohl neuronale Vorläufer als auch Stammzellen räumlich und zeitlich regulieren.