16.09.2021 | Seuchen-Geschichte

Was Österreich der Pandemie verdankt

Seuchen verändern unser Leben. Wie dramatisch, das haben die vergangenen eineinhalb Jahre Corona-Pandemie deutlich gezeigt. Weniger bekannt ist hingegen, dass die Menschheit den Seuchen in ihrer Geschichte auch einige Errungenschaften zu verdanken hat, auf die wir heute nicht mehr verzichten wollen. Welche das sind, zeigt ein neues Buch der Historikerin Daniela Angetter-Pfeiffer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, das im Amalthea Verlag erscheint. Und: Auch nach Covid-19 wird wohl so manche Innovation dauerhaft bleiben.

Ausschnitt aus dem Cover des Buches von ÖAW-Historikerin Daniela Angetter-Pfeiffer © Amalthea Verlag

Die alte Normalität kehrt nicht wieder restlos zurück. Wie wir leben, lernen, arbeiten, kommunizieren und konsumieren, hat sich durch die gegenwärtige Pandemie bereits dauerhaft verändert. Das hat einschneidende, dramatische Seiten – aber überraschenderweise auch manche guten: So hat Covid-19 zum Beispiel für einen Digitalisierungsschub gesorgt. Seither wird weniger klimaschädlich geflogen und gependelt. Stattdessen werden Videokonferenzen und Homeoffice genutzt. Online werden nicht nur Therapiegespräche geführt und Ärzt/innen konsultiert, es fanden sogar bereits Gerichtsverhandlungen statt. Und dank Mund-Nasen-Schutz, Händewaschen und Social Distancing gab es zuletzt einen grippefreien Winter.
 
Was weniger bekannt ist: Seit Jahrhunderten verändern Seuchen unsere Gesellschaft und regen – quasi als nichtbeabsichtigter Nebeneffekt – innovative Maßnahmen an. „Pandemien haben immer viel Leid über die betroffene Bevölkerung gebracht und zu vielen schweren Schicksalsschlägen geführt. Aber gerade die negativen Erfahrungen bewirkten innovative Lösungen, die in der Seuchenbekämpfung nützlich waren“, sagt Daniela Angetter-Pfeiffer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Wie lehrreich historische Seuchen wie Pest und Cholera waren und welche gesellschaftlichen Errungenschaften sie in der Vergangenheit hervorgebracht haben, nimmt die Historikerin nun in einem neuen Buch in den Blick: „Pandemie sei Dank!“, erschienen im Amalthea Verlag, zeigt anhand ausgewählter historischer Beispiele, was Seuchen in Österreich bewegten.

Trinkwasser und Wohnbau dank Pandemie

„So fremd und bedrohlich der Ausbruch einer der weltweit drastischsten Seuchen, der Pest, erschien, so verdankt Wien dieser Pandemie ihr erstes Stadtgesundheitskonzept sowie eine Vorform der heutigen MA 15, den Stadt Wien Gesundheitsdienst,“ schreibt Angetter-Pfeiffer in ihrem Buch. Aktuelle Pandemie-Maßnahmen wie Quarantäne, Lockdowns, das Tragen von Masken und Social Distancing waren bereits seit dem Mittelalter, teils sogar schon in der Antike bekannt, so die ÖAW-Forscherin.
 
Cholera, Typhus und Ruhr lösten ebenfalls Lerneffekte aus: Sie erforderten moderne Konzepte wie Müllabfuhr, Kanalisation und Stadtreinigung und bewirkten, dass Wiens Bevölkerung mit qualitativ hochwertigem Trinkwasser versorgt wurde. Als wichtige Maßnahme gegen Krankheiten wie Tuberkulose, Spanische Grippe und Syphilis, die in überfüllten Mietwohnungen und Notunterkünften grassierten, können auch der soziale Wohnbau und andere Fürsorgeeinrichtungen im Roten Wien der Zwischenkriegszeit gesehen werden, von denen die Stadt bis heute profitiert.

Impfung gegen alte Seuchen

„Waren es in der Geschichte Impulse zur Verbesserung von Stadthygienekonzepten, zu Impfkampagnen oder zu einer verbesserten Trinkwasserqualität, so sind es heute vor allem Veränderungen im beruflichen und familiären Umfeld, durchaus mit originellen Lösungen, aber auch im medizinischen Bereich,“ fasst die Buchautorin die zahlreichen Errungenschaften aus Österreichs Geschichte zusammen, die wir Seuchen zu verdanken haben.
 
Und: Nicht erst seit Covid-19 gibt es Vorbehalte gegen Impfungen. Die von Erzherzogin Maria Theresia im 18. Jahrhundert eingesetzte Pockenschutzimpfung für die Bevölkerung, wurde schon damals nicht von allen mitgetragen. Angetter-Pfeiffer: „Dass die Pocken letztlich mit Hilfe der Impfung besiegt werden konnten, ist als bedeutendes Beispiel für die Wirksamkeit von Immunisierung zu verstehen, thematisiert aber auch gleichzeitig die Frage nach Freiwilligkeit oder Impfpflicht.“

Erforschung von Pandemien

Interessantes wissenschaftsgeschichtliches Detail: In einem Kapitel spürt Angetter-Pfeiffer der Geschichte der Pestforschung in Österreich nach. Im Jahr 1897 beschloss die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien  - die Vorgängerin der heutigen ÖAW – eine sogenannte Pestexpedition nach Bombay durchzuführen. Ziel war es, vor Ort klinische Beobachtungen von Erkrankten zu machen, aber auch zurück in Wien im Labor mehr über den Infektionsmodus zu erfahren.
 
Damit war Österreich das erste Land, das eine Pestkommission entsandte. „Weitere Kommissionen folgten erst danach aus Deutschland und Russland, darunter mit dem Bakteriologen Robert Koch als Teilnehmer“, so die Historikerin. Und wie die Geschichte der ersten Pestkommission endete, kann ebenfalls im Buch nachgelesen werden. Spoiler: Das Experimentieren mit hochinfektiösen Viren kann durchaus gefährlich sein.

 

Auf einen Blick

Zum Buch:

Daniela Angetter-Pfeiffer, „Pandemie sei Dank! Was Seuchen in Österreich bewegten“, mit einem Vorwort von Christoph Wenisch, 256 Seiten/25 Euro, Amalthea Verlag.
Das Buch erscheint am 20.09.2021.

Zur Autorin:

Daniela Angetter-Pfeiffer ist Historikerin und Literaturwissenschaftlerin. Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig. Zudem ist sie Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften der ÖAW.