19.10.2020 | Nachkriegsordnung

Volksabstimmungen vor 100 Jahren auf dem Prüfstand

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Grenzen in Mitteleuropa neu gezogen. Um Konflikte zu verringern, wurden in einigen Regionen Volksabstimmungen durchgeführt, etwa in Südkärnten. Ein Symposium von ÖAW, Universität Klagenfurt und dem Land Kärnten betrachtete die Volksabstimmungen im Vergleich und beleuchtete die Folgen bis in die Gegenwart.

Die Alliierten des Ersten Weltkriegs: US-Präsident Woodrow Wilson mit dem italienischen Ministerpräsidenten Vittorio Emanuele Orlando, dem britischen Premier David Lloyd George und Frankreichs Georges Clemenceau. © By unattributed – Bonham‘s, Public Domain

Als Präsident Woodrow Wilson am 8. Jänner 1918 vor die beiden Kammern des US-Kongresses in Washington D.C. trat, umriß er eine Nachkriegsordnung, die sich bis ins weit entfernte Südkärnten auswirken sollte. Denn mit der als „Vierzehn Punkte-Progamm“ berühmt gewordene Rede, wollte Wilson das Selbstbestimmungsrecht der Völker gestärkt wissen - auch und gerade in der vor dem Zerfall stehenden Doppelmonarchie: „The people of Austria-Hungary, whose place among the nations we wish to see safeguarded and assured, should be accorded the freest opportunity to autonomous development“, erklärte der US-Präsident im Kapitol.   

Referenden als Konfliktlösungsmechanismus

Doch wie genau diese „freieste Möglichkeit zu autonomer Entwicklung“ in der Praxis aussehen sollte, war wenig klar. Am Beispiel Kärntens: Am 11. November 1918, nach der Niederlage der Donaumonarchie im Ersten Weltkrieg, erklärte die provisorische Kärntner Landesregierung den Beitritt zur Republik Deutschösterreich. Doch bereits am 1. Dezember 1918 beanspruchte das neue Königreich der Serben, Kroaten und Slowenien das slowenischsprachige Gebiet Südkärntens für sich, wovon es Teile auch militärisch besetzte. Auch in anderen Gebieten Europas war die Grenzziehung umstritten, besonders zwischen dem Deutschen Reich und Polen.

Volksabstimmungen sollten ein Ausweg aus diesen Konflikten sein. Solche Referenden über die künftige staatliche Zugehörigkeit in genau festgelegten Abstimmungsgebieten fanden 1920 nicht nur im Süden Kärntens statt (10. Oktober), sondern auch in Schleswig (Februar/März), in West- und Ostpreußen (Juli) sowie, im März 1921, in Oberschlesien. In Kärnten sprach sich bekanntlich eine Mehrheit von 59 Prozent (bei einer Beteiligung 96 Prozent) für den Verbleib bei Österreich aus.

Volksabstimmungen im Vergleich

Nicht nur anlässlich des hundertsten Jubiläums der Kärntner Volksabstimmung beleuchtete ein wissenschaftliches Symposium in Klagenfurt, das gemeinsam von der Universität Klagenfurt, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Land Kärnten ausgerichtet wurde, die Referenden der Nachkriegszeit. Dabei wurden die Abstimmungen im Vergleich betrachtet und in das komplexe Panorama europäischer Staatsbildungsprozesse in der kritischen Zeit von 1918/20 eingeordnet.

Mehrere Vorträge und eine Podiumsdiskussion erörterten zudem, inwieweit im lokalen wie globalen Kontext, das von Wilson propagierte Selbstbestimmungsrecht der Völker umgesetzt wurde. Die Forderungen kolonialer Gebiete nach politischer Souveränität im selbstbestimmten Nationalstaat beispielsweise scheiterten. Blieb das Recht freier Selbstbestimmung für alle Völker also letztlich eine Utopie? Der Friede von 1919 sollte jedenfalls nicht überdauern. In den Worten des Klagenfurter Historikers Reinhard Stauber: „Statt einer neuen, friedlichen Weltordnung entstanden Instabilität und Konflikträume, die bis heute nachwirken.“

 

AUF EINEN BLICK

„Selbstbestimmung als Utopie? Volksabstimmungen 1920 im europäischen Vergleich“ lautete der Titel des gemeinsam von ÖAW, Universität Klagenfurt und Land Kärnten organisierten Symposiums. Die Veranstaltung fand am 7. Oktober an der Universität Klagenfurt statt.

Alle Vorträge sowie die Podiumsdiskussion stehen als Videobeiträge auf der Website der Universität Klagenfurt zur Verfügung.

Videos des Symposiums