08.01.2018

Ultrakalten Atomen beim Flüstern zuhören

Atome kommunizieren miteinander. Um die „Sprache“ der kleinsten Materiebausteine besser zu verstehen, muss man sie bis zum Nullpunkt abkühlen. Die ÖAW-Quantenphysikerin Francesca Ferlaino ist eine Pionierin bei der Erforschung ultrakalter Atome. Sie war kürzlich bei den Erwin Schrödinger Lectures der Akademie zu Gast.

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Sie sitzen in Mobiltelefonen, in Computern oder im Kühlschrank: Atome. Aufmerksamkeit schenken wir ihnen dennoch nicht. Wie auch, entziehen sie sich doch gänzlich unseren Sinnesorganen: weder sehen wir sie, noch riechen wir sie, wir schmecken sie nicht, wir hören sie nicht.

„Stimmt nicht ganz“, sagt Francesca Ferlaino, die sie seit Jahren erforscht oder besser gesagt: sie bei ihren Gesprächen belauscht. „Atome haben eine ganz eigene Sprache. Doch sie sprechen sehr leise. Wenn wir Atome bis zum Nullpunkt hinunterkühlen, können wir sie hören.“

Die Quantenphysikerin ist eine der Pionier/innen in der Erforschung ultrakalter Atome und ihrer Eigenschaften. Dafür wurde Ferlaino, die wissenschaftliche Direktorin am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck ist, Ende vergangenen Jahres mit zwei hoch dotierten Preisen ausgezeichnet. Wie sich die komplizierte Welt der Atome am besten begreifen lässt, erklärte die gebürtige Italienerin kürzlich zum Auftakt der Erwin Schrödinger Lectures an der ÖAW.

Interviews mit Ihnen driften oft schnell in Ihre Biographie ab, ins Persönliche. Kann es sein, dass die Interviewer/innen Angst haben Fragen zu Ihren Forschungsarbeiten zu stellen, weil sie diese vielleicht nicht verstehen würden?

Francesca Ferlaino: Ich erlebe das etwas anders. Menschen jeden Alters finden Quantenphysik generell sehr faszinierend, sie betrachten es als etwas Mysteriöses. Das hat einen anziehenden Effekt. Sie sind unglaublich interessiert, aber das Problem ist, dass es sehr schwierig ist, darüber wirklich verständlich zu reden und eben auch schwer, es zu verstehen. Vor allem in Österreich erlebe ich die Menschen als sehr interessiert, weil es hier so eine große Tradition in der Quantenphysik gibt. Es ist fantastisch, vor allem wenn ich es mit Italien vergleiche.

Ist es für Laien denn möglich ihr Fach zu verstehen?

Ferlaino: Ja, ich denke es ist möglich auf einem niedrigeren, sagen wir, intuitiven Niveau. Schwierig wird es dann, wenn jemand es ganz, ganz, ganz genau wissen will. Das würde wirklich fachliches Wissen voraussetzen. Auf der intuitiven Ebene bekommt man aber ein gutes Gefühl dafür, womit ich mich befasse.

Wie lässt sich denn auf einer intuitiven Ebene erklären, worum es bei Ihren Forschungsarbeiten geht?

Ferlaino: Ich werde mal mein Bestes versuchen: Ich untersuche ultrakalte Quantenmaterie. Und das wichtige Wort dabei ist zunächst: Materie, in Gestalt von Atomen, klitzekleiner Materie also.

 

Atome haben eine ganz eigene, effiziente Art zu kommunizieren. Mit sehr wenig Worten.

 

Ich beobachte bestimmte Atome und das Bemerkenswerte an diesen ist, dass sie Informationen in ihren Körpern speichern können. Aber nicht nur das: Wir als Wissenschaftler/innen können eingreifen und diese Infos entschlüsseln und sie verändern. Das Atom kann diese Informationen auch weitergeben. Es ist ein bisschen so, als würde es sprechen. Oder noch präziser ausgedrückt: Atome interagieren miteinander, weil sie voneinander wissen. Sie haben eine ganz eigene, effiziente Art zu kommunizieren. Mit sehr wenigen Worten.

Was sagen sie?

Ferlaino: Genau das erforschen wir in der Quantenphysik. Wir untersuchen ihr Verhalten, wie sie auf bestimmte Veränderungen von Ausgangsbedingungen reagieren. Ihre Reaktion ist zugleich Antwort und Frage.

Sie versuchen sie also heimlich zu belauschen?

Ferlaino: Nicht nur das. Mittlerweile können wir auch beeinflussen wie sie sprechen, was sie sagen, wie sie interagieren sollen. Auch daran forschen wir gerade. Aber das Problem oder die Schwierigkeit dabei ist: sie sprechen sehr, sehr leise. Das heißt, wir können sie kaum hören, sie flüstern geradezu. Man sagt auch: sie haben eine sehr schwache Interaktion. Wir haben mittlerweile herausgefunden, was wir tun müssen, um sie zu hören: Wir müssen alle Geräusche rundherum abdrehen. Und warme bis heiße Temperatur ist wie ein Geräusch, ein sehr lautes Geräusch. Sobald wir die Temperatur runterdrehen, die Atome also zum Nullpunkt hinunterkühlen, können wir sie hören.

 

Das Atom, das vorher wie eine Insel war, wird jetzt zu einer Welle. Je kälter es wird, desto länger wird diese Welle. Die Atome organisieren sich um.

 

Bereits Erwin Schrödinger – ein Pionier der Quantenphysik - hat herausgefunden, dass dabei Merkwürdiges geschieht: Das Atom, das vorher wie eine Insel war, wird jetzt zu einer Welle. Je kälter es wird, desto länger wird diese Welle. Die Atome organisieren sich um. Und wenn ich mehrere Atome habe, in Wellenform, dann beginnen diese einander zu berühren. Wir nennen das: Interferenz. Sie verbinden sich zu einer einzigen, gigantischen Welle. Sie benehmen sich plötzlich alle gleich, sie sagen alle dasselbe.

Wie beeinflussen Ihre Erkenntnisse uns Menschen, warum sollten wir darüber Bescheid wissen?

Ferlaino: Naja, jeder von uns benutzt heute die Erkenntnisse der Quantenphysik. Das GPS in Ihrem Handy, zum Beispiel: Es hat einen Sinn für genaue Uhrzeiten. Diese Uhr basiert beispielsweise auf einem ultrakalten Atom.

Und je mehr wir darüber wissen, desto besser die Technologien?

Ferlaino: Ja, wir wollen diese Technologien mit unserer Forschung auf ein höheres Level heben, indem wir weitere, andere Atome untersuchen. Ich untersuche derzeit zwei spezielle Atome: Erbium und Dysprosium. Diese sind so besonders, weil sie sehr magnetisch sind. Wenn Sie einen Magneten auf Ihre Kühlschranktüre heften, dann fühlen Sie bestimmt die Energie, die Anziehungskraft. Atome können also miteinander sprechen, ohne einander zu berühren. Auch das ist eine neuere Erkenntnis. Aber ansonsten sind sie weitgehend unerforscht. Da kommt noch viel Arbeit auf uns zu.

Es wird Zeit für Biographisches. Sie waren zu Beginn Ihres Studiums unsicher, ob Physik das richtige für Sie ist, weil Sie keine Ahnung davon hatten. Ihr damaliger Physik-Professor in Neapel ermutigte Sie: Es sei die beste Voraussetzung für das Studium, nichts zu wissen. Hatte er Recht?

Ferlaino: Ja, er hatte Recht. Man hat eben noch keine Barrieren im Kopf, wenn man ahnungslos ist. Am Anfang ist es zwar hart. Aber die Mühe zahlt sich schlussendlich wirklich aus.

Es gibt noch sehr wenige Frauen in Ihrem Fach. Wie kann man sie überzeugen, Physik zu studieren?

Ferlaino: Wir müssen zuerst die Lehrer und Professoren überzeugen. Ich höre oft, dass Lehrer Männer und Frauen nicht auf dieselbe Art und Weise motivieren, Physik zu studieren oder ähnliche naturwissenschaftliche Fächer. Wir sollten auch viel öfter deutlich machen, dass Physik ein genderneutrales Fach ist. Die Ideen zählen, das ist wichtig. Und die Neugierde: Wenn Sie Dinge entdecken und wirklich verstehen wollen, dann sind Sie in der Quantenphysik genau richtig.

 

Francesca Ferlaino kam vor zehn Jahren nach Innsbruck, wo sie zunächst als Gastwissenschaftlerin, dann als Postdoc und Lise-Meitner-Fellow tätig war. Seit 2011 ist sie Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW und seit 2014 Professorin für Atomphysik an der Universität Innsbruck sowie wissenschaftliche Direktorin am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der ÖAW. Die 39-jährige italienische Wissenschaftlerin ist ERC-Preisträgerin und wurde zuletzt mit dem Erwin Schrödinger-Preis der ÖAW sowie dem italienischen Antonio-Feltrinelli-Nachwuchspreis ausgezeichnet.
 

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation Innsbruck der ÖAW


Die Erwin Schrödinger Lectures widmen sich 2018 den neuesten Erkenntnissen aus der Physik. Den nächsten Vortrag in der Reihe hält am 24. Jänner der US-amerikanische Physiker Steven E. Koonin zum Thema „Certainities and Uncertainities in our Energy and Climate Futures“.