16.10.2020

Überlappende Pfade: Neue Methode zur Herstellung verschränkter PhotonenpaarE

Quantenphysiker der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Wien berichten im Fachjournal PNAS über eine neue Methode, mit der sich hochdimensional verschränkte Photonenpaare herstellen lassen. Auf dieser Basis könnten leistungsfähige Quantencomputer und abhörsichere Kommunikationssysteme gebaut werden.

Pressebild zum kostenfreien Download: Quantenphysiker bei Experimenten zur Verschränkung im Labor an der ÖAW. © ÖAW/Klaus Pichler

Um Quantencomputer oder abhörsichere Quantenkommunikationskanäle zu bauen, sind Systeme aus verschränkten Teilchen notwendig. Im einfachsten Fall besteht ein solches Ensemble aus einem Paar verschränkter Teilchen. Die Verschränkung kann zum Beispiel über die Polarisation realisiert werden. Das ist aber nur eine von mehreren Möglichkeiten. Die beiden Photonen eines verschränkten Paares können dann entweder horizontal (h) oder vertikal (v) polarisiert sein. Ein Paar hat dann die Zustände hh oder vv und ist in zwei Dimensionen verschränkt. Forscher/innen können inzwischen auch routinemäßig Quantensysteme mit höherdimensionalen Verschränkungen herstellen.
 
Physiker der Universität Wien und des Wiener Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben jetzt eine komplett neue Methode entwickelt, mit der sich Photonenpaare einfach in mehreren Dimensionen verschränken lassen. Die Forscher ordnen dafür spezielle Kristalle mit hohem Aufwand so an, dass sich nicht sagen lässt, welcher Kristall ein Photonenpaar emittiert, wenn das System mit einem Laser angeregt wird. “Wir haben den Fall für drei Dimensionen im Experiment realisiert. Ein verschränktes Paar kann dort die Zustände 00, 11 oder 22 einnehmen. Theoretisch lässt sich die Zahl der Verschränkungsdimensionen mit unserem Ansatz fast grenzenlos steigern. Die praktische Grenze liegt wahrscheinlich zwischen 10 und 20 Dimensionen”, sagt Jaroslav Kysela, Erstautor der kürzlich im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienenen Publikation.

Korkenzieher und Doughnut: Verdrehtes Licht

In ihren Experimenten verschränken die Forscher die Photonen nicht über ihre Polarisation, sondern über ihren Bahndrehimpuls. Einen Lichtstrahl mit Bahndrehimpuls kann man sich verdreht wie einen Korkenzieher vorstellen. “Wenn ein solcher Strahl auf eine Wand trifft, ist dort ein Doughnut zu sehen, mit einem dunklen Fleck in der Mitte umgeben von einem hellen Ring. Im Fall eines einzelnen Photons sieht die Wellenfunktion genauso aus. Je größer der Bahndrehimpuls des Photons, desto größer wird der Doughnut seiner Wellenfunktion”, sagt Kysela. Für ein verschränktes Photonenpaar bedeutet der Zustand 00, dass keines der Photonen eine verdrehte Wellenfunktion aufweist. Bei 11 haben beide Photonen einen bestimmten Bahndrehimpuls. Im Zustand 22 ist der Bahndrehimpuls doppelt so groß, die Wellenfunktion ist also stärker verdreht. Ein Photonenpaar, das im Experiment aus dem Versuchsaufbau kommt, liegt im überlagerten Zustand 00+11+22 vor, eine Messung findet dann mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils einem Drittel einen der drei Zustände. 
 
Die dreidimensional verschränkten Photonenpaare werden im Labor erzeugt, indem ein starker Laserstrahl durch eine serielle Anordnung von drei nichtlinearen Kristallen geschickt wird. Damit das funktioniert muss der Apparat so aufgebaut werden, dass es unmöglich ist, herauszufinden, welcher Kristall das Photonenpaar emittiert hat. “Im tatsächlichen Experiment ist das viel komplizierter, weil wir die möglichen Pfade der Photonen genau so anordnen müssen, dass sie sich überlappen, damit wir nicht sagen können, welchen Pfad sie tatsächlich nehmen. Wir nutzen dafür drei Laserstrahlen und müssen die Temperatur der einzelnen Kristalle und den Fokus der Laserstrahlen genau kontrollieren. Zudem ändern wir die Phase und das Bahndrehmoment gezielt mit Vorrichtungen zwischen den Kristallen”, sagt Kysela. 

Schneller rechnen und sicher kommunizieren

Ein Photonenpaar, das von einem der Kristalle emittiert wird, ist vorerst nicht verschränkt. Die Verschränkung entsteht erst dadurch, dass sich nicht sagen lässt, welcher Kristall das Paar erzeugt hat. Würden die Physiker mehrere Kristalle - und damit mehr mögliche Quellen für ein Photonenpaar - hinzufügen, würde sich dadurch die Zahl der Verschränkungsdimensionen erhöhen.  
 
Höherdimensional verschränkte Teilchensysteme haben den Vorteil, dass sie mehr Information übertragen können. Für Quantenkommunikation bedeuten höherdimensional verschränkte Systeme zudem auch mehr Sicherheit. “Quantenkommunikation ist theoretisch auch bei zweidimensionaler Verschränkung sicher. Aber im Rauschen des Signals kann sich immer ein unerwünschter Lauscher verstecken. Das wäre mit unserem Ansatz unwahrscheinlicher”, sagt Kysela. 

 

PUBLIKATION

„Path Identity as a Source of High-Dimensional Entanglement“, Jaroslav Kysela, Manuel Erhard, Armin Hochrainer, Mario Krenn, and Anton Zeilinger, PNAS, 2020
DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2011405117

Rückfragehinweis

Sven Hartwig
Leiter Öffentlichkeit & Kommunikation
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien
T +43 1 51581-1331
sven.hartwig(at)oeaw.ac.at

Alexandra Frey
Pressebüro und stv. Pressesprecherin
Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien
Universitätsring 1, 1010 Wien
T +43 1 4277-175 33
alexandra.frey(at)univie.ac.at

Wissenschaftlicher Kontakt:

Jaroslav Kysela
Institut für Quantenoptik und Quanteninformation Wien
Österreichische Akademie der Wissenschaften
und
Fakultät für Physik
Universität Wien
​Boltzmanngasse 3, 1090 Wien
T +43 1 4277-29568
jaroslav.kysela(at)univie.ac.at