04.09.2019 | Nachruf

TRAUER UM HELMUT RAUCH

Der Physiker und frühere FWF-Präsident ist mit 80 Jahren verstorben. Er war einer der prominentesten österreichischen Naturwissenschaftler und langjähriges Mitglied der ÖAW.

Helmut Rauch bei der feierlichen Erhebung des Atominstituts in den Status einer "EPS Historic Site" im Mai 2019. Zu diesem Anlass wurde auch sein 80. Geburtstag gefeiert. © Nico Einsidler/TU Wien

Als er einmal gefragt wurde, was bei seiner wissenschaftlichen Arbeit im Vordergrund stehe, antwortete er: „Die Lust des Naturwissenschaftlers am Wissen schlechthin.“ Nun nimmt die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) Abschied von einem der renommiertesten Naturwissenschaftler des Landes: Helmut Rauch ist am 2. September 2019 im Alter von 80 Jahren verstorben.

Rauch prägte nicht nur die Moderne Physik wie kaum ein anderer in Österreich, er setzte sich auch über Jahrzehnte und mit unermüdlicher Energie für die Förderung der Grundlagenforschung insgesamt ein. Seit 1978 war Rauch korrespondierendes, seit 1990 wirkliches Mitglied der ÖAW. Bis zuletzt engagierte er sich an der Akademie als Obmann der Kommission für die Beteiligung an internationaler Großforschung.

Physiker und Forschungsförderer

Helmut Rauch wurde 1939 im niederösterreichischen Krems an der Donau geboren. Das Interesse an Naturwissenschaft war bereits früh geweckt und führte ihn schließlich 1957 zum Studium der Technischen Physik an die TU Wien, an dessen Atominstitut er 1965 als einer der ersten Studierenden promovierte. Der Titel seiner Dissertation: "Anisotroper β-Zerfall nach Absorption polarisierter Neutronen". 1970 habilitierte er sich – mit gerade 31 Jahren – im Fachgebiet „Neutronen- und Reaktorphysik“.

Zwei Jahre später, 1972, wurde Helmut Rauch zum ordentlichen Universitätsprofessor für Experimentelle Kernphysik an der TU Wien berufen und gleichzeitig Vorstand des Atominstituts der Österreichischen Universitäten – eine Funktion, die er bis 2005, also bis kurz vor seiner Emeritierung im Jahr 2007 innehatte. Über fünfzehn Jahre, von 1980 bis 1996 war er zudem Vorstand des Instituts für Kernphysik der TU Wien.

Helmut Rauch war nicht nur Physiker, sondern begriff sich immer auch als Grundlagenforscher in einem sehr weiten Sinne. Als solcher engagierte er sich in der Forschungspolitik, um die Rahmenbedingungen der Grundlagenforschung in Österreich nachhaltig zu verbessern. Das gelang ihm zum Beispiel in seiner Position als Vizepräsident (1985 bis 1990) und später als Präsident des Wissenschaftsfonds FWF (von 1991 bis 1994). So ist die Einführung von Spezialforschungsbereichen als neue und bis heute bestehende Förderkategorie seiner Initiative zu verdanken.

Teilchen und Wellen

Rauch veröffentlichte über 400 wissenschaftliche Publikationen auf dem Gebiet der Neutronen- und Festkörperphysik sowie über Grundlagenexperimente zur Quantenmechanik. Besonders die Neutronen standen von Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn an im Zentrum seines Forschungsinteresses. Sie waren es auch, die ihm zu einem Meilenstein in der physikalischen Grundlagenforschung und einem festen Platz in den Lehrbüchern des Faches verhalfen.

Im Jahr 1974 gelang es Rauch gemeinsam mit seinen Kollegen Ulrich Bonse (Dortmund) und seinem damaligen Dissertanten Wolfgang Treimer (derzeit Berlin) ein Neutronen-Interferometer zu entwickeln. Dadurch konnte erstmals die quantenphysikalische Welle eines Neutrons über mehrere Zentimeter aufgespalten und wieder zur Überlagerung gebracht werden. Somit wurde der Quantenzustand eines massenreichen Teilchens direkt experimentell zugänglich. Dies ermöglichte zahlreiche spektakuläre Experimente, die bahnbrechend für das später entstandene Gebiet der Atom- und Molekülinterferometrie wurden. Einige dieser Resultate sind auch erstmalige Bestätigungen von Phänomenen, die heute in Quantencomputern und in der Quanteninformationstechnik zur Anwendung kommen. Gleichzeitig interessierte sich Helmut Rauch immer auch für fundamentale und philosophische Fragen, die die Quantenphysik aufwirft.

Lehrer und Schüler

Helmut Rauch war nicht nur selbst von der Wissenschaft begeistert, er konnte diese Begeisterung auch an viele Schüler weitergeben, die heute weltweit wissenschaftlich aktiv sind. So etwa der 2016 verstorbene Heinrich Kurz von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen – ein Pionier der Ultra-Kurzzeit-Laserphysik, oder ÖAW-Mitglied Kurt Binder von der Universität Mainz, der mit seinen Arbeiten zum statistischen Verfahren der Monte-Carlo-Methode zu den weltweit meistzitierten Physikern zählt. Zu Rauchs Schülern gehört auch Anton Zeilinger, Quantenphysiker und Präsident der ÖAW.

„Mit Helmut Rauch verlieren wir einen der führenden Experimentalphysiker. Seine Intuition hat ihn immer wieder neue Fragen stellen lassen. In Gesprächen zeigte er immer wieder eine beispielhafte Offenheit gegenüber neuen Ideen. Dies war stets – auch wenn er diese Ideen manchmal nicht teilte – von einem tiefen, ermunternden Respekt begleitet“, sagt Zeilinger zum Tod seines Doktorvaters.  

Rauch ist Träger zahlreicher Auszeichnungen und erhielt u.a. den Erwin-Schrödinger-Preis der ÖAW (1977), die Ernst-Mach-Ehrenmedaille der Tschechischen Akademie der Wissenschaften (2000) sowie den Ludwig-Wittgenstein-Preis (2006). 2015 erhielt er den Walter-Hälg-Preis – der als höchste Auszeichnung in der Neutronenphysik gilt – für seine „herausragenden und bahnbrechenden Beiträge zu grundlegenden Aspekten der Neutronenphysik und -optik sowie verwandten Aspekten der Quantenphysik“. Seit 2015 war auch Rauch Träger des Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst. Neben der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, war Helmut Rauch auch Mitglied der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften sowie der Academia Europaea.

Die ÖAW trauert um ihr wirkliches Mitglied Helmut Rauch. Mit seinem Tod verliert sie einen herausragenden Wissenschaftler. Sie wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.