25.07.2018

Steinzeitliche Handelsrouten unter dem Mikroskop

Uralte Steine können Geschichten erzählen. Keiner weiß das besser als ÖAW-Archäologe Michael Brandl. Mit seinem einzigartigen Labor kann er anhand von Gesteinsanalysen erstmals präzise zurückverfolgen, wie Rohstoffe für die Herstellung von frühen Steinwerkzeugen gewonnen, bearbeitet und zum Teil gehandelt wurden.

Steinfunde von ÖAW-Archäolog/innen von einer Grabung in der Region Pusta Reka in Serbien. © Felix Ostmann/OREA/ÖAW

„Wir konnten beispielsweise vor Kurzem zeigen, dass erratische Feuersteine, die man in Krems-Wachtberg gefunden hat, vor ca. 31.000 Jahren von Jägern und Sammlern aus 300 Kilometer entfernten Lagerstätten in Nordmähren geholt wurden“, erklärt Archäologe Michael Brandl vom Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Feuerstein und Hornstein zählten von der Altsteinzeit an zu den wichtigsten Rohstoffen. Wollte man kratzen, schaben oder schneiden, brauchte man das Kieselgestein in guter Qualität. Da dieser Stein aber selten war, nahm man dafür auch lange Wege auf sich, wie die Analyse in Brandls Labor nun bestätigt.

Im Labor in die Tiefsee der Kreidezeit

Die Rede ist vom „Raw Material Lab“, also Rohmateriallabor, am Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der ÖAW. Ein Labor, das weltweit einzigartig ist, so Brandl. Mit Hilfe von hochauflösenden Mikroskopen kann der Archäologe hier feststellen, an welchem Ort ein Stein vor tausenden von Jahren aufgelesen oder abgebaut und zu Werkzeug verarbeitet wurde. „Um das Gestein in einem ersten Schritt einer Region zuzuordnen, suchen wir nach mikroskopisch kleinen Fossilien. Finden wir etwa Schnecken- und Schwammreste in dem Gestein, deutet das darauf hin, dass dieses in der Nähe von einem Riff gebildet wurde.“ Wurde das Gestein in der Tiefsee gebildet, erkennt das Brandl wiederum anhand der Strahlentierchen und anderen Tiefseebewohnern. Die Feuersteine aus Krems zeigen wiederum kreidezeitliche Fossilreste, wie sie für skandinavischen Flint typisch sind.

Im letzten Schritt werden die Gesteinsproben dann noch geochemisch untersucht und mit Material aus geologischen Lagerstätten verglichen, um sie endgültig ihrem Ursprung zuordnen zu können, erläutert Brandl, der hierfür mit Geochemikern der Universität Graz zusammenarbeitet.

Tauschhandel der Jäger und Sammler

Mithilfe des von Brandl entwickelten mehrstufigen Verfahrens, auch Multi-Layered-Chert-Sourcing-Approach genannt, kann man nun exakt nachzeichnen, welchen Weg die Jäger und Sammler nach Nordmähren gewählt haben. „Wir haben in Krems-Wachtberg abgesehen von Feuerstein auch andere Rohstoffe gefunden. Manche der Rohstoffreste können etwa der Region Südmährens zugeordnet werden. Daraus lässt sich schließen, dass die Jäger und Sammler starken Kontakt zu den Bewohnern dort hatten.“ Überhaupt zeigt das gesamte Fundspektrum von Krems-Wachtberg – auch die Funde, die nicht aus Stein bestehen, wie zum Beispiel Kunstgegenstände – starke Übereinstimmungen mit dem Material aus dem mährischen Raum.

 

 

Das Netzwerk, das hier in der Altsteinzeit zu entstehen beginnt, scheint sich in der Jungsteinzeit zunehmend zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu entwickeln. „Wir haben etwa in der Steiermark in einer Abbaugrube 6.000 Jahre alte Barren aus Hornstein gefunden. Das deutet darauf hin, dass es bereits eine Art Tausch- oder Handelsstandard gegeben haben könnte.“

Steinzeitmenschen waren Steinexperten

Darüber hinaus wird die Steingewinnung in der Jungsteinzeit, sprich ab etwa 11.000 v. Chr., immer komplexer. Während man Feuersteine und Co. zuvor aus Geröll oder Flusssedimenten gesammelt hatte, betreiben Menschen in der Jungsteinzeit zunehmend Bergbau. „In Wien-Mauer ist auf Radiolarit, ebenfalls ein Kieselgestein,  4.600 v. Chr. ein Bergbau mit bis zu acht Meter tiefen Schächten betrieben worden. Diese Menschen waren geologisch sehr gebildet und wussten, wo man welches Material findet.“

Um besser zu verstehen, wie sich bestimmte Praktiken in Europa verbreitet haben, fokussiert sich Brandl nun gezielt auf Fundstellen im Süden Serbiens. Hier sind vor allem Gesteine zu finden, die einen weiten Weg zurückgelegt haben, so der Archäologe. Darüber hinaus können die Steinfunde Aufschluss darüber geben, wie sich der Ackerbau in der Jungsteinzeit von Anatolien aus über den Süden Serbiens bis nach Europa ausgebreitet hat. „Mit dem Verfahren können wir nun das Netzwerk und Ressourcenmanagement, das sich bisher nur angedeutet hat, präzise und zuverlässig nachzeichnen.“

Geht es nach dem Gesteinsanalysten, könnten die Fundstellen Südserbiens darüber hinaus auch Aufschluss über die Entwicklung ökonomischen Denkens geben. „Wenn wir verstehen, wie sich Menschen damals verhalten haben und warum sie gewisse Entscheidungen getroffen haben, können wir auch besser verstehen, wie unser System heute noch funktioniert. Ich denke, das wird oftmals noch übersehen.“

 

Michael Brandl studierte Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien und spezialisierte sich bei seiner Dissertation auf naturwissenschaftliche Methoden der Gesteinsanalytik. Er unterrichtet an den Universitäten Wien und Graz und forscht am Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der ÖAW. Dort leitet er seit 2017 das Rohmateriallabor.

 

Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der ÖAW

Raw Material Lab