30.10.2019 | Chancen und Risiken

Sonnencreme statt Science Fiction

Nanotechnologien und Nanomaterialien beweisen ein enormes Anwendungspotenzial – bergen aber auch gewisse Risiken. ÖAW-Technikfolgenabschätzer André Gazsó spürt diese auf, um sie zu bewerten und zur Diskussion zu stellen.

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Am 29. Dezember 1959 hat der US-Amerikanische Quantenphysiker Richard Feynman mit seinem Vortrag There's Plenty of Room at the Bottom die Basis für die heutige Nanotechnologie gelegt. Sechzig Jahre später sind Nanomaterialien längst in vielen Bereichen unseres Alltags angekommen.

Am Institut für Technikfolgenabschätzung  der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erforscht André Gazso, wie die Zukunft der Nanotechnologie abseits von Science Fiction aussieht. Im Interview erklärt er, warum die Arbeit an einem Moving Target so spannend ist und warum Graffitisprayer/innen wohl weniger begeistert von Nanomaterialien sein dürften.

Sie schrieben vor vielen Jahren, dass es keine allgemeingültige Definition der Nanotechnologie gibt. Wie schaut das heute aus?

André Gazsó: Eine solche Generaldefinition gibt es auch heutzutage nicht, sie wäre auch nicht sehr sinnvoll. Was es aber sehr wohl gibt, sind einzelne Teildefinitionen. Nanomaterialien sind Gebilde, die zumindest in einer Dimension unter hundert Nanometer groß sind. Ein Nanometer entspricht dabei ungefähr der Größe eines menschlichen Haares, das hunderttausend Mal geteilt wurde. Eine andere Teildefinition besagt, dass es sich dabei um Materialien handelt, die in dieser Größenordnung neue Eigenschaften erwarten lassen.

Wo begegnen uns in unserem Alltag Nanomaterialien?

Gazsó: Dank Nanotechnologie gibt es antibakterielle Oberflächen und Sonnencremes, die nicht schmieren. Tennis- und Badmintonschläger besitzen mehr Zugfestigkeit, Zeltplanen sind reißfester und wasserabweisender. Bei Fassaden können Nanomaterialien eingesetzt werden, um das Auftragen von Graffitis zu verhindern oder zumindest zu erschweren. All das wäre ohne Nanomaterialien nicht denkbar.

Neue Technologien bergen mitunter auch Gefahren. Wie gehen Politik und Wissenschaft damit um?

Gazsó: In Folge der Europäischen Forschungsstrategie zur Nanotechnologie entstanden nationale Nanoaktionspläne. Der österreichische Aktionsplan, in dessen Ausarbeitung wir involviert waren und dessen Umsetzung wir begleiten, sieht unter anderem die Möglichkeit einer qualifizierten Meinungsbildung durch die Bevölkerung vor.

Wohin geht die Reise im Bereich Nanotechnologie langfristig?

Gazsó: Wir erleben gerade eine Entwicklung in Richtung Advanced Materials. Dieser Begriff umfasst auch Kombinationen aus Nanomaterialien mit anderen Stoffen. Also zum Beispiel auch Kunststoffe, in denen Nanomaterialien automatisch den Gasaustausch steuern.

Wie reagieren Nanomaterialien, wenn sie deponiert oder verbrannt werden und welche Rückstände bleiben zurück?

Also eher praxisorientierte Weiterentwicklung als großspurige Science Fiction-Vision?

Gazsó: Es geht uns um die regulativen und prozessualen Anforderungen der nächsten fünf bis zehn Jahre. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Entsorgung zu: Wie reagieren Nanomaterialien, wenn sie deponiert oder verbrannt werden und welche Rückstände bleiben zurück?

Sie beschäftigen sich schon lange mit der Nanotechnologie. Was fasziniert Sie so sehr daran?

Gazsó: Die Forschung findet an einem sehr spannenden Schnittpunkt der klassischen Physik und der Ingenieurwissenschaften mit den Biowissenschaften statt. Hinzu kommt, dass wir uns ständig mit einem ‚Moving Target‘ mitbewegen, weil sich die Erkenntnislage bei den Nanotechnologien ständig verändert. Und das Beste ist: Wir arbeiten auch selbst noch an der Veränderung dieser Erkenntnislage mit.

 

Auf einen Blick

André Gazsó vom Institut für Technikfolgenabschätzung der ÖAW leitet seit 2013 die Österreichische Nanoinformationskommission des Gesundheitsministeriums. Hier werden sicherheits- und risikorelevante Publikationen zu Nanotechnologien und Nanomaterialien bewertet. In seiner Funktion als Vorsitzender wurde André Gazsó kürzlich bis ins Jahr 2023 bestätigt. 

Institut für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW