26.06.2019 | Projektstart

Schutt auf Gletschern relevant für Hochgebirgsbäche

Kay Helfricht erforscht vergletscherte Gebirgsregionen. Sein Projekt Hidden.Ice wird in den kommenden drei Jahren an der ÖAW untersuchen, wie sich die Schuttbedeckung auf den Gletschern verändert und sich dieses Material im Vorfeld der schwindenden Gletscher ablagert. Dies wirkt sich auf den Transport von Geröll in Gebirgsbächen bis hin zu siedlungsnahen Verbauungen aus.

© ÖAW/Daniel Hinterramskogler

Die heimischen Gletscher sind ständigen Veränderungen unterworfen. Durch derzeitige klimatische Entwicklungen werden diese teilweise noch verstärkt, wobei einzelne Gletscher sehr individuell auf Veränderungen ihrer Umwelt reagieren. Am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) werden diese Veränderungen erforscht und dokumentiert. Kay Helfricht beschäftigt sich im Rahmen des Projekts Hidden.Ice mit den Auswirkungen der Schuttbedeckung von Gletschern auf den Geschiebetransport in Gebirgsbächen.

“Die Schuttbedeckung der einzelnen Gletscher ist regional und lokal sehr unterschiedlich. Wir wollen wissen, ob vermehrte Schuttbedeckung den Eisschwund verstärkt oder verlangsamt. Auch untersuchen wir, wie sich das auf den Transport von Geschiebe in Gebirgsbächen auswirkt, die am Fuße der Gletscher zutage treten”, erklärt Helfricht. Die Schuttschicht auf den Gletschern misst – falls überhaupt vorhanden – meist nur wenige Zentimeter bis mehrere Dezimeter. Stark schuttbedeckte Gletscher sind dabei für Laien nur schwer von Geröllhalden zu unterscheiden. Die Bedeckung kann je nach Ausprägung unterschiedliche Auswirkungen auf das Eis haben. “Eine entsprechend massive und geschlossene Schicht konserviert das Eis. Ist die Schicht eher dünn und uneinheitlich, schmilzt das Eis durch die zusätzliche Wärme, die von dem dunkleren Material abgestrahlt wird, schneller”, sagt Helfricht.

Instabile Felswände

Schutt gibt es vor allem auf Gletschern, die von steilen Felswänden gesäumt sind. “Bei vielen Gletschern nimmt die Schuttbedeckung derzeit zu, weil die Felswände durch die Erwärmung und das daraus folgende Auftauen des Permafrostes instabil werden. Das führt zu mehr Steinschlag und damit zu Ablagerungen von Geröll auf Gletscheroberflächen”, sagt Helfricht. Das Untersuchungsgebiet des aktuellen Forschungsprojekts ist vorrangig der Jamtalferner in der Silvretta. Für dieses Gebiet gibt es gute historische Daten, die belegen, wie die Geröllbedeckung zugenommen hat. “Es existieren alte Fotos und Karten, die wertvolle Informationen liefern. Das ist nicht für alle Gebirgsregionen gleich. Für die vergangenen 30 Jahre können wir auf Satellitenbilder zurückgreifen, die uns helfen, die Veränderungen auf möglichst vielen Gletschern in Österreich festzustellen”, sagt Helfricht.

Insgesamt haben wir in Österreich noch relativ wenig Schutt auf den Gletschern, wenn man etwa den Himalaya als Vergleich heranzieht. Aber dort wo es bereits Schuttbedeckung gibt, nimmt sie tendenziell zu.

 

Eine einheitliche Entwicklung der Schuttbedeckung ist aus den derzeit verfügbaren Daten über die österreichischen Gletscher nicht ableitbar. “Dort wo es bereits eine relevante Schuttbedeckung gibt, nimmt sie tendenziell zu. Insgesamt haben wir in Österreich noch relativ wenig Schutt auf den Gletschern, wenn man etwa den Himalaya als Vergleich heranzieht”, sagt der Forscher. Die Satellitendaten werden ständig genauer und auf modernen Aufnahmen lässt sich die Schuttbededeckung bereits gut erkennen.

Wasserbau

In den kommenden drei Jahren will Helfricht die Auswirkungen der Schuttbedeckung von Gletschern auf den Transport von Geröll in Hochgebirgsbächen untersuchen. “Wir werden uns auf einige Gletscher konzentrieren, wo bereits eine Zunahme der Schuttbedeckung zu beobachten ist. Am Jamtalferner schauen wir uns im Projekt Hidden.Ice den Übergang vom schuttbedeckten Eis zum eisfreien Gletschervorfeld genauer an. In diesem Bereich ist mit einem erhöhten Abtransport von lockerem Geröll durch Gletscherbäche zu rechnen. Wie sich die Schuttbedeckung dabei im Detail auswirkt, ist sicher eine komplexe Frage. An den Flanken der Gletscherzunge rutscht das Gesteinsmaterial ab und gelangt somit direkt in den Abfluss, wobei es auch das bis dahin abgedeckte Eis wieder exponiert”, sagt Helfricht.

Unsere Arbeitsthese ist, dass ein großer Teil des lockeren Schutts auf den Gletschern direkt an den Gletscherzungen in den Abfluss gelangt. Dort nimmt das Schmelzwasser das Material mit. Dies kann bis zu Rückhaltebecken und Wasserfassungen gelangen und diese verstärkt verlegen.

Für die Abteilung Wasserbau der Universität Innsbruck ist vor allem die Menge des aus den Gletschervorfeldern transportierten Gerölls interessant. Die ÖAW-Glaziolog/innen arbeiten im aktuellen Projekt deshalb eng mit Expert/innen des Wasserbaus zusammen. “Unsere Arbeitsthese ist, dass ein großer Teil des lockeren Schutts auf den Gletschern direkt an den Gletscherzungen in den Abfluss gelangt. Dort nimmt das Schmelzwasser das Material mit. Besonders bei Starkniederschlägen und an heißen Sommertagen landet deshalb sehr viel Geröll in den Bächen und wird talwärts transportiert. Dies kann bis zu Rückhaltebecken und Wasserfassungen (alle baulichen Anlagen zur Gewinnung von Wasser aus Grundwasser, Quellen etc., also etwa Brunnen) gelangen und diese verstärkt verlegen”, sagt Helfricht.

Luftaufnahmen

“Man muss hier unterscheiden. Das Sediment ist das feine Material, das ständig in Schwebe im Bach gehalten wird. Das Geschiebe ist das gröbere Material, das vom fließenden Wasser am Grund mitgenommen wird. Bei Hidden.ice wird vor allem der Transport größerer Gesteinsteile untersucht”, erklärt der Gletscherforscher. Das gröbere Material ist aber schwierig zu messen. “Man kann zwar Fangkörbe einbringen, aber es ist oft sehr unsicher, wie repräsentativ solch eine Messung wirklich ist”, sagt Helfricht. Deshalb wird die Oberfläche der Gletscherzunge und des Gletschervorfeldes zusätzlich mit präzisen geo-physikalischen Messmethoden erfasst. Mit bis zu 20 Messpunkten pro Quadratmeter werden die betreffenden Areale mit Luftaufnahmen kartografiert. Das erlaubt bei regelmäßiger Durchführung eine genaue Berechnung von Höhenunterschieden und damit eine Vermessung der an- oder abgelagerten Geröllvolumen.

Die erste Bestandsaufnahme der Gletschervorfelder läuft derzeit. In den kommenden Sommern sollen dann wiederholte Messungen durchgeführt werden. Mithilfe der Daten vom Jamtalferner wollen die Forscher/innen den Geschiebetransport in den Bächen dann auch am Computer simulieren. “Die abgeführte Menge schwankt je nach Jahres- und Tageszeit allein durch die Schnee- und Eisschmelze. Starkniederschlags-Ereignisse haben nochmals einen besonders großen Einfluss”, sagt Helfricht.

 

Kay Helfricht studierte Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck, wo er auch promovierte. Auslandsaufenthalte führten ihn unter anderem an das University Centre in Svalbard (Spitzbergen). Seit 2014 ist er zunächst als Junior Researcher und inzwischen als PostDoc am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW tätig.

Das Projekt Hidden.Ice wird im Rahmen der Earth System Sciences von der ÖAW gefördert und läuft bis zum Jahr 2021. Projektpartner sind die Universität Innsbruck, die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, ENVEO Environmental Earth Observation IT GmbH sowie die Universität für Bodenkultur Wien.

Projekt Hidden.Ice

Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW