Zusammengesetzt, geschmückt, gebildet. So lautet die wörtliche Übersetzung von Sanskrit. Es ist die älteste Sprache, die im KathmanduTal auf Inschriften vorkommt. Nina Mirnig befasst sich mit der Zeit, in der die Sanskritkultur in Nepal zum ersten Mal sichtbar geworden ist. Die kunstvoll verzierten und aufwändig geschmückten Steininschriften reichen bis in das 3. Jahrhundert n. u. Z. zurück – und sind nicht immer leicht zu entziffern. Dieser kniffligen Aufgabe widmet sich Mirnig.
Seit 2019 hat sie als PostDoc eine EliseRichterStelle inne und leitet am Institut für Kultur und Geistesgeschichte Asiens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein Forschungsprojekt zur religiösen, kulturellen und politischen Landschaft Nepals im frühen Mittelalter, genauer gesagt im Kathmandu-Tal.
Noch heute berufen sich Religionsformen wie der Shivaismus auf jahrhundertealte Sanskrittexte
Warum und für wen diese Inschriften damals angefertigt wurden, hänge vom jeweiligen Kontext ab, erzählt die Indologin. Könige erließen auf Stein gemeißelte Edikte. Praktische Angelegenheiten des Zusammenlebens, wie die Dokumentation von Steuern oder Spenden, wurden festgehalten. Eine große Anzahl der Inschriften war aber den Göttern und Göttinnen gewidmet, sagt Mirnig. „Was im rituellen Leben passiert, geht auf frühe Sanskritwerke zurück, die schon lange Gültigkeit besitzen.“
MYTHEN UND RITUELLE PRAKTIKEN
Noch heute berufen sich Religionsformen wie der Shivaismus auf jahrhundertealte Sanskrittexte, sie gelten als heilige Quellen der Mythen über Götter, von deren Verehrung schon die alten Steininschriften berichten. „Während im Westen alte Inschriften oft ins Museum wandern, ist das Besondere im Kathmandu-Tal, dass viele Inschriften auch mitten im Stadtgebiet noch in situ zu finden sind, wo einst alte Siedlungsgebiete und heilige Stätten waren“, so die Forscherin. Der Grund: Die Inschriften haben eine Bedeutung für bestimmte Plätze und lokale Gemeinschaften. Zu verstehen, weshalb etwas wo steht, das ist es auch, was Mirnig besonders interessiert. „Die Lokalität und Materialität der Objekte wirft neues Licht auf die Inhalte“, sagt sie.
Mit ihrer Arbeit nach dem Erdbeben 2015 hat Mirnig dazu beigetragen, das zerstörte Weltkulturerbe in Nepal wieder aufzubauen.
Indessen besteht aber auch die Gefahr, dass Inschriften in ihrer ursprünglichen Position verloren gehen, wie etwa beim verheerenden Gorkha-Erdbeben 2015 in Nepal. Mit ihrer Arbeit nach der Katastrophe hat Mirnig dazu beigetragen, das zerstörte Weltkulturerbe wieder aufzubauen. In Zusammenarbeit mit den National Archives und dem Department of Archaeology in Kathmandu rettete sie vor Ort die teilweise überfluteten Inschriften und reinigte sie von Algen.
NACH DEM ERDBEBEN
Besonders beschädigt wurde damals auch das Kasthamandap-Gebäude. Ein wichtiges Bauwerk, von dem der Lokalbevölkerung zufolge der Name „Kathmandu“ abgeleitet wurde und das schon in alten Palmblattmanuskripten vorkommt. Es war das älteste Holzgebäude der Stadt, diente einst als Rasthaus an der Handelsstraße nach Tibet und hatte schon viele Erdbeben überlebt.
Bei ihren Dokumentationsarbeiten stieß Mirnig auf eine Inschrift aus dem 8. Jahrhundert, die noch nicht übersetzt wurde. Ein Fund, der neue Einsichten in bisher unbekannte Militärallianzen Nepals lieferte.
Wie später bekannt wurde, stürzte es nicht aufgrund der traditionellen Bauweise ein, sondern weil bei späteren Restaurationsarbeiten eine der vier Holzsäulen nicht mehr richtig ins Fundament eingesetzt wurde. Zudem fanden ihre Kolleg/innen heraus, dass der Bau nicht wie bisher angenommen im 11. Jahrhundert, sondern bereits im 7. oder 8. Jahrhundert begonnen wurde. Die von Mirnig vor Ort dokumentierten Steininschriften aus dieser Periode, die von der Existenz einer wichtigen Siedlung sprechen, liefern einen wesentlichen Beitrag zur historischen Kontextualisierung dieser neuen Funde.
SCHWIERIGE ENTZIFFERUNG
Im Zuge ihrer Dokumentationsarbeiten stieß die Indologin auch auf eine größere Inschrift aus dem 8. Jahrhundert, die noch nicht übersetzt wurde. Ein besonders aufregender Fund also, der neue Einsichten in bisher unbekannte Militärallianzen Nepals lieferte. Bei der Entschlüsselung und Kontextualisierung der Inschrift können auch Palmblatthandschriften den einen oder anderen Hinweis liefern. Diese würden über religiöse, kulturelle und politische Entwicklungen berichten, die zur Zeit der Inschriften stattgefunden haben, erzählt die Forscherin. Dass diese Manuskripte auf Palmblättern erhalten geblieben sind, ist dem kühlen und trockenen Klima Nepals zu verdanken.
Manchmal hilft es aber auch, raus ins Grüne zu gehen. Viel Wichtiges ist ihr beim Spazierengehen eingefallen. Deshalb hat sie auch immer Stift und Notizblock dabei. Von großem Wert ist ihr dabei der Austausch mit ihren „hochqualifizierten Kolleg/innen sowie die großartige Unterstützung, die man an der ÖAW für Initiativen und Workshops bekommt“, sagt sie. Denn: „Als Philologin muss man aufpassen, dass man nicht immer isoliert an einem Text alleine vor sich hinarbeitet, sondern im Diskurs neue Perspektiven findet.“