11.05.2018

Nepals Kulturerbe drei Jahre nach dem Beben

Es waren die stärksten Erdbeben in der Region um Kathmandu seit 80 Jahren. Der Zerstörung durch die Naturgewalt fielen 2015 auch zahlreiche Kulturerbestätten zum Opfer. Wie es heute um diese bestellt ist, erzählt ÖAW-Indologin Nina Mirnig, die bei Forschungen zum Wiederaufbau vor Ort war.

Die hinduististische Tempelstätte Pashupatinath war vom Erdbeben glücklicherweise kaum betroffen. © Nina Mirnig

Am 25. April 2015 um 11:56 Uhr Ortszeit begann in Nepal die Erde zu beben. Mit einer Stärke von 7,8 wurde die Region um Kathmandu, der Hauptstadt des Himalaya-Staates, erschüttert. Es blieb nicht bei diesem einen Beben. Noch bis zum Juli folgten weitere. Die Naturgewalten forderten tausende Menschenleben und gelten als die tödlichste Katastrophe in der Geschichte Nepals.

Auch bedeutende Kulturgüter wurden massiv in Mitleidenschaft gezogen. So wurden etwa viele der historischen Gebäude am Durbar-Platz in Kathmandu, der zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt, beschädigt und stürzten teilweise ein. Drei Jahre nach dem Beben konnten bereits rund 100 Kulturstätten im Land wieder aufgebaut werden. Über 300 weitere liegen jedoch noch immer in Trümmern.

Nina Mirnig vom Institut für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), war nach dem Erdbeben als Expertin für die frühe Kulturgeschichte Nepals und für Sanskrit-Inschriften an Forschungsprojekten vor Ort beteiligt. Ziel der Forschungen war es auch, die verantwortlichen Stellen beim Wiederaufbau von Kulturgütern zu beraten. Im Interview erzählt Mirnig, wie sich die Rekonstruktion tausende Jahre alter Monumente in Nepal derzeit gestaltet.

Heuer jährt sich das Erdbeben von Kathmandu, bei dem wertvolles UNESCO-Kulturerbe zerstört wurde, zum dritten Mal. Wo stehen die Aufbauarbeiten gegenwärtig? 

Nina Mirnig: Am 15. August 2015, kurz nach dem Erdbeben, hat die nepalesische Regierung die so genannte National Reconstruction Authority (NRA) gegründet. Diese hat es sich zum Ziel erklärt, den Wiederaufbau innerhalb von fünf Jahren durchzuführen, mit der Option auf eine Verlängerung um ein Jahr. Laut den offiziellen Berichten der NRA sind heute, drei Jahre nach dem Erdbeben, rund 100 Kulturstätten wiederaufgebaut und etwa 324 Kulturstätten stehen noch aus.

 

Drei Jahre nach dem Erdbeben sind rund 100 Kulturstätten wiederaufgebaut und etwa 324 stehen noch aus.

 

Das heißt: Es ist noch viel zu tun.

Mirnig: Man muss beachten, dass der Wiederaufbau ein sehr langwieriger Prozess ist und viele Interessensgruppen beteiligt sind. Einerseits gibt es sozialen und ökonomischen Druck, dass die Kulturstätten schnell wiederhergestellt werden, da sie auch wichtig für den Tourismus sind. Gleichzeitig müssen diese Stätten gut untersucht werden, bevor sie wiederaufgebaut werden. Die Expertenteams aus internationalen und lokalen Archäolog/innen, Ingenieur/innen und weiteren Forscher/innen müssen erst verstehen, warum die Gebäude zusammengebrochen sind, damit man beim Wiederaufbau keine Fehler macht. Außerdem muss gesichert werden, dass die historisch wichtigen Materialien dokumentiert und interpretiert werden, damit die Identität des Denkmals nicht verloren geht.

Hunderte historische Gebäude beschädigte das Erdbeben, viele wurden ganz zerstört. Was ist vom Kulturerbe erhalten geblieben und welche Stätten wurden besonders stark zerstört?

Mirnig: Das weltberühmte mittelalterliche Zentrum Kathmandus, der Hanuman Dhoka Durbar Square, wurde stark zerstört. Hier ist vor allem das Kasthamandap-Gebäude sehr wichtig, weil die Einwohner sagen, dass der Name „Kathmandu“ von ihm abgeleitet wurde. Es war das älteste Holzgebäude der Stadt und diente einmal als Rasthaus an der Handelsstraße nach Tibet. Weitere zerstörte Denkmäler sind Teile des königlichen Palastes, der Trailokya-Mohan-Tempel, der Maju-Dewal-Tempel oder der Riddhi-Lakshmi's-Śiva-Tempel.

 

Der Pashupatinath-Tempel nahe Kathmandu hat beim Erdbeben nur leicht gewackelt. Die Einwohner führen das auf die starke Gottheit zurück, die in dem Tempel leben soll.

 

Andere Orte hingegen wie Pashupatinath, die wichtigste hinduistische Tempelstätte, die ebenfalls sehr alt ist, waren nicht so stark betroffen. Der Tempel hat beim Erdbeben nur leicht gewackelt. Die Einwohner führen das auf die starke Gottheit zurück, die in dem Tempel leben soll. Hier wird der Gott Shiva als Pashupati, also als Gott der Wesen, als Schutzgottheit Nepals verehrt.  

Wie kann man sich die Arbeit der Archäolog/innen beim Aufbau vor Ort vorstellen?

Mirnig: Wenn ein Gebäude zusammenbricht, denkt man als Laie vielleicht als Erstes an das Monument an der Oberfläche. Aber auch die Erdschichten erzählen eine Geschichte. Die Archäolog/innen erforschen in einem ersten Schritt, warum das Gebäude, beispielsweise der Kasthamandap, der seit dem 11. und 12. Jahrhundert steht und bereits viele Erdbeben überlebt hat, ausgerechnet diesmal eingestürzt ist.

Weiß man bereits, warum das Kasthamandap-Gebäude eingestürzt ist?

Mirnig: Einerseits haben die Forscher/innen herausgefunden, dass das Gebäude nicht aufgrund der traditionellen Bauweise eingestürzt ist, sondern weil bei späteren Restaurationsarbeiten eine der vier alten Holzsäulen nicht mehr richtig in das Fundament eingesetzt wurde. Und die Expert/innen fanden heraus, dass der Bau nicht wie bisher angenommen im 11. Jahrhundert, sondern schon im 7. oder 8. Jahrhundert begonnen wurde. Das ist besonders interessant, denn die Steinschriften, die wir im Zuge dieser Forschungen nach dem Erdbeben in der Umgebung dokumentiert hatten, datieren in das 7. Jahrhundert und sprechen dort schon von einer Siedlung. Nach der Erstellung einer „Risk Map“, um kulturell wichtige Plätze zu markieren, diskutieren die Expertenteams dann in einem weiteren Schritt über das richtige Material für den Wiederaufbau. 

 

Die Tempel und Paläste sind belebt, dort finden regelmäßig Riten statt. Auch diese rituellen Praktiken stellen einen wichtigen Bestandteil des Weltkulturerbes dar.


Welche Bedeutung haben die Tempel und Paläste in Kathmandu für unser kulturelles Erbe?

Mirnig: Die Bauten sind Zeugen der architektonischen und künstlerischen Errungenschaften des Kathmandu-Tals. Neben den alten Palästen gibt es dort eine der ältesten Heiligenstätten in Südasien. Die Kulturstätten sind natürlich nicht nur für die Forschung wichtig, sondern auch für die Gemeinschaft vor Ort. Die Tempel und Paläste sind belebt, dort finden regelmäßig Riten statt. Auch diese rituellen Praktiken stellen einen wichtigen Bestandteil des Weltkulturerbes dar und sind für die Identität der lokalen Bevölkerung von großer Bedeutung. Gehen die Aufzeichnungen der Fundamente und Materialien in Kathmandu verloren, führt das zum Verlust der Zeugnisse der frühesten Geschichte des Tals.

 

Nina Mirnig ist Indologin und promovierte an der Oxford University. Seit 2014 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens der ÖAW. Zuvor war sie u.a. an der Universität Groningen, dem International Institute for Asian Studies im niederländischen Leiden sowie an der Cambridge University tätig.

Mirnig war 2016 und 2017 an Forschungsprojekten in Nepal beteiligt. Diese wurden von Robin Coningham, UNESCO Chair an der britischen Durham University, und Kosh Prasad Acharya, dem ehemaligen Direktor des Department of Archaeology in Kathmandu, geleitet sowie vom AHRC Global Challenge Research Fund und von National Geographic finanziell unterstützt. Die Projekte befassten sich mit der Erforschung der Fundamente von zerstörten Kulturstätten sowie mit der Dokumentation und Analyse von gefährdeten Inschriften, um den verantwortlichen Stellen Empfehlungen für die Rekonstruktion und Konservierung dieser Kulturgüter zu geben. 

 

Institut für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens der ÖAW