09.05.2016

Molekularmediziner sehen Rot

Leuchtzellen helfen Forscher/innen des CeMM der ÖAW beim Auffinden epigenetischer Angriffspunkte gegen Leukämie

Chronische myeloische Leukämie – Zellen (KBM-7) mit rot fluoreszierendem Reportergen. ©CeMM Research Center for Molecular Medicine of the Austrian Academy of Science
Chronische myeloische Leukämie – Zellen (KBM-7) mit rot fluoreszierendem Reportergen. ©CeMM Research Center for Molecular Medicine of the Austrian Academy of Science

Wenn es unter dem Mikroskop leuchtet, bedeutet das für Stefan Kubicek, Forschungsgruppenleiter am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), einen Treffer: Die Zellen in seinem Labor zeigen ihm durch rote Lichtsignale, dass eine Substanz als potentieller Wirkstoff gegen Krebs in Frage kommt. Denn das rote Licht signalisiert, dass sie bestimmte epigenetische Veränderungen nicht mehr durchführen können – für viele Arten von Tumorzellen ist das tödlich. Knapp neunzigtausend chemische Substanzen konnte Kubiceks Team so auf ihre epigenetische Wirkung überprüfen. Mit dieser groß angelegten Studie fanden sie eine Substanz, die zukünftige Therapien gegen einige der wichtigsten Krebsarten wie Akute Myeloische Leukämie (AML) entscheidend verbessern könnte.

Um zu diesen Ergebnis zu kommen, mussten die CeMM-Forscher/innen den Zellen zunächst ihre außergewöhnliche Fähigkeit verleihen. Das gelang durch einen besonderen Versuchsaufbau: Als erstes verabreichten sie den Zellen eine Substanz, die epigenetische Veränderungen unterbindet und bereits als Wirkstoff gegen Krebs getestet wird – ein sogenannter „BRD4 Bromodomänen-Inhibitor“. Derart gehemmt, wurde den Zellen anschließend das Gen für ein rot fluoreszierendes Protein eingebaut, an zufälligen Stellen ihres Genoms. Nun besaßen sie die Fähigkeit, bei Bestrahlung mit hellgrünem Licht rot zu leuchten.

Schließlich entfernte man den Inhibitor wieder und beobachtete unter dem Mikroskop, in welchen Zellen das Leuchten erlosch. Genau auf diese hatten es die Wissenschaftler abgesehen: Sie trugen das Leuchtgen an einer Stelle in ihrer DNA, die nur dann aktiv ist, wenn man epigenetische Veränderungen unterbindet – und genau diese Wirkung sollte ein Krebstherapeutikum haben. Mit diesen Zellen in Reinkultur konnte das Forscherteam nun eine riesige Bibliothek von etwa 90.000 Substanzen darauf testen, ob sie denselben Effekt auf die Zellen haben wie ein Bromodomänen-Inhibitor. Und sie wurden fündig.

„Wir konnten 13 Substanzen identifizieren, bei denen diese Wirkung noch nie beschrieben wurde“, beschreibt Stefan Kubicek die Ergebnisse der Analyse. „Die zwei vielversprechendsten haben wir dann in Zusammenarbeit mit den Gruppen von Susanne Müller und Stefan Knapp von der Universität Oxford, Johannes Zuber vom IMP, sowie Giulio Superti-Furga und Christoph Bock am CeMM genau untersucht – eine davon war ein neuer BRD4 Bromodomänen-Inhibitor. Richtig spannend wurde es aber bei der zweiten Substanz, von der wir keine Ahnung hatten, wie sie wirkt“. Durch aufwendige chemische, biologische und genetische Analyseverfahren gelang es den Forschern schließlich, das Rätsel zu lösen. Der Stoff inhibiert TAF1, ein Protein, dessen Einfluss auf die epigenetischen Veränderungen bisher unbekannt war.

„Wir konnten nicht nur zeigen, dass dieser neue Stoff TAF1 in seiner Wirkung hemmt und damit die gleichen Effekte wie ein BRD4 Bromodomänen-Inhibitor auslöst“, erklärt Sara Sdelci, Postdoktorandin in Stefan Kubiceks Labor und Erstautorin der Studie. „Wir konnten darüber hinaus beweisen, dass TAF1 direkt an das BRD4-Protein bindet.“ Ein wichtiges Ergebnis: Der neue Stoff konnte in ersten Experimenten gemeinsam mit dem BRD4 Bromodomänen-Inhibitor eingesetzt werden, wobei sich die Wirkung der beiden gegenseitig um ein Vielfaches verstärkte. Die Therapie von häufigen Krebsarten wie Leukämie könnte ein solches Zusammenwirken in Zukunft entscheidend verbessern, da sie Krebszellen effektiver bekämpft und gleichzeitig durch minimale Konzentrationen weniger Nebenwirkungen verursacht.

 

Die Studie “Mapping the chemical chromatin reactivation landscape identifies BRD4-TAF1 cross-talk” erscheint in der Zeitschrift Nature Chemical Biology's vorab online am 09. Mai 2016 um 17:00h (MESZ). 10.1038/nchembio.2080

Rückfragehinweis:
Mag. Wolfgang Däuble
Media Relations Manager
CeMM - Research Center for Molecular Medicine of the Austrian Academy of Sciences
+43-1/40160-70 057
wdaeuble(at)cemm.oeaw.ac.at