11.07.2016

„MÖCHTE ZUM AUSTAUSCH VON WISSEN BEITRAGEN“

Neunzehn geflohene Akademiker/innen haben im Rahmen der ÖAW-Initiative „Flüchtlinge fördern, Flucht erforschen“ ein Praktikum an Forschungseinrichtungen der ÖAW absolviert. Eine von ihnen ist die syrische Architektin Lynn Karkouki.

„Eine Mitschülerin im Deutschkurs hat mir von der Praktikumsinitiative der ÖAW erzählt“, berichtet Lynn Karkouki. „Also habe ich zum Hörer gegriffen und dort angerufen“. Kurze Zeit später fing sie bereits ihr Praktikum am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) an. In der Institutszentrale im Wiener 19. Bezirk arbeitet Karkouki nun seit Mai 2016 an der Erforschung des Territoriums der antiken lykischen Stadt Limyra in der heutigen Südwest-Türkei mit. Eine ihrer Aufgaben ist es, aus Vermessungsdaten und 3D-Laserscans Pläne zu erstellen und damit die archäologischen Befunde aus dem Umland exakt und maßstabsgerecht zu kartieren.   

„Das Praktikum ist für mich eine tolle Chance, um in Österreich einen beruflichen Einstieg zu bekommen“, sagt die 25-Jährige. „Ich konnte erste Kontakte knüpfen und meine Kenntnisse einbringen. Auch habe ich viel über die heimische Arbeitskultur erfahren.“ Der jungen Architektin aus Damaskus, die zuvor an architekturtheoretischen Konzepten zur touristischen Erschließung der sogenannten „Toten Städte“ aus spätrömischer und byzantinischer Zeit im Norden Syriens mitgewirkt hat, sind im Vergleich zu ihrem Heimatland unter anderem die flachen Hierarchien an ihrem aktuellen Arbeitsplatz positiv aufgefallen. Auch die konzentrierte Forschungsatmosphäre hat die seit November 2015 in Wien lebende Frau überrascht. „In Syrien geht es bei der Arbeit sehr lebhaft und hektisch zu. Man raucht bei der Arbeit, hört Musik oder diskutiert mit Kollegen.“ Diese kulturellen Besonderheiten zu beobachten, sowie auch technische und wissenschaftliche Expertisen neu dazuzulernen empfindet Karkouki als wertvolle Erfahrung für ihre Zukunft in ihrer neuen Heimat Österreich.

Archäologie in Damaskus allgegenwärtig

Die Verbindung von Architektur und Archäologie ist so etwas wie ein berufliches Leitmotiv Karkoukis. „Dadurch dass ich in Damaskus aufgewachsen bin, haben archäologische Stätten praktisch zu meinem natürlichen Lebensraum gehört.“ Die Straßen und Gebäude der ältesten durchgängig bewohnten Stadt der Welt mit ihrer reichen kulturellen Vergangenheit haben in der jungen Syrerin das Interesse an geschichtsträchtigen Stätten geweckt. Man spüre in Damaskus geradezu auf Schritt und Tritt den Spirit längst vergangener Zivilisationen, sagt Karkouki. Das habe sie sehr geprägt. „Ich habe mir immer versucht mir vorzustellen, wie die Menschen vergangener Jahrhunderte hier gelebt haben und mit welchen Intentionen die Herrscher ihre stadtplanerischen Entscheidungen getroffen haben.“

Die Architektin hat also nicht nur einen wissenschaftlichen Zugang zur Archäologie, sondern bringt auch ihre Erfahrungen und Perspektiven aktiv ein: „Ich habe beim wissenschaftlichen Arbeiten am ÖAI so viel gelernt und ich hoffe mit meinem Blickwinkel zu einem Austausch von Wissen beitragen zu können“.

Praktikum als Sprungbrett

Ein Ziel, das auch die ÖAW mit ihrer Initiative „Flüchtlinge fördern, Flucht erforschen“ verfolgt. Angesichts der Flüchtlingssituation hat die größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung des Landes Ende 2015 ein Praktikumsprogramm für Menschen auf der Flucht gestartet, um qualifizierte asylberechtigte Personen bei ihrer Integration in Österreich zu unterstützen. Durch die Mitarbeit an einer Forschungseinrichtung der Akademie sollten für Geflohene mit wissenschaftlichem Hintergrund Brücken für die weitere berufliche Perspektiven gebaut werden.

Inzwischen konnten neunzehn Personen im Rahmen der Initiative ein Praktikum an der ÖAW absolvieren – mit nachhaltigem Erfolg. So war es möglich, vier Praktikanten nach Ablauf der drei Monate Laufzeit am jeweiligen Institut weiter zu beschäftigen. Und auch für weitere Praktikant/innen haben sich neue Türen durch qualifizierte Jobangebote von anderen Institutionen geöffnet. Ein ehemaliger syrischer Praktikant des Phonogrammarchivs der ÖAW arbeitet beispielsweise heute beim Bundeskanzleramt, ein geflohener Betriebsökonom, der am ÖAW-Institut für Sozialanthropologie tätig war, ist heute an der Wirtschaftsuniversität Wien in einem Praktikum beschäftigt.

Chancen für die Zukunft

Lynn Karkouki gehört zu jenen Praktikant/innen, die durch eigens eingeworbene Drittmittel am ÖAI der ÖAW weiterbeschäftigt werden kann. Wenn alles gut läuft, möchte die junge Syrerin in ein paar Jahren ihren Master machen und zusammen mit ihrem Mann, einem Maschinenbauingenieur, ein eigenes Unternehmen in Wien gründen. „Ich habe viele Chancen in Österreich bekommen und möchte damit gerne meinen Beitrag leisten, mit dem ich der österreichischen Gesellschaft auch etwas zurückgeben kann.“

 

 

 

Lynn

Karkouki hat einen Bachelorabschluss in Architektur der Universität Damaskus

und hat vor ihrer Flucht in mehreren Forschungsprojekten in Syrien

mitgearbeitet. Seit Mai 2016 ist sie als Praktikantin am ÖAI der ÖAW tätig.

 

Weiterführende Informationen zur ÖAW-Initiative

„Flüchtlinge fördern, Flucht erforschen“ unter http://www.oeaw.ac.at/fluechtlingsinitiative/

Österreichisches Archäologisches Institut der ÖAW