02.11.2016

MENSCHEN DER JUNGSTEINZEIT WAREN HOCHSPEZIALISIERT UND GUT VERNETZT

Die prähistorische Siedlung Çukuriçi Höyük in der heutigen Türkei war ein früher Dreh- und Angelpunkt für Handwerk und Seehandel am Rande Europas. Das belegen aktuelle archäologische Funde von Forscher/innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie haben die Geschichte des Ortes vom 7. bis ins 3. Jahrtausend v. Chr. untersucht.

Zu den Pressefotos. © Çukuriçi Höyük-Film/OREA/7Reasons
Zu den Pressefotos. © Çukuriçi Höyük-Film/OREA/7Reasons

Entgegen dem gängigen Klischee vom rudimentär mit Fellen und einfachen Geräten ausgestatteten Ackerbauern verfügte der prähistorische Mensch vor tausenden Jahren bereits über weitgespannte maritime Handelsnetze und ein großes technisches Know-how.

Zu diesem Ergebnis kommen Barbara Horejs und ihre Kolleg/innen vom Institut für Orientalische und Europäische Archäologie (OREA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie haben im Rahmen des ERC-Projekts „Prehistoric Anatolia“ die prähistorische Siedlung Çukuriçi Höyük in der heutigen Westtürkei von 2011 bis 2016 eingehend erforscht. Dem internationalen Team aus Kultur- und Naturwissenschaftler/innen gelang es, zahlreiche bis zu 9.000 Jahre alte Funde freizulegen und die Entwicklung des Ortes von einer bäuerlichen Siedlung in der Jungsteinzeit zu einem frühen protourbanen Handwerks- und Handelsplatz der Bronzezeit nachzuzeichnen.

9.000 Jahre alte Obsidian-Klingen entdeckt

Als besonders aufschlussreich für die Forscher/innen erwies sich dabei etwa der Fund einer großen Menge sogenannter „Obsidian-Klingen“. Obsidian ist ein vulkanisches Glas, das sich zu scharfen Klingen fertigen lässt, mit denen Leder bearbeitet oder Erntegeräte ausgestattet werden können. Die etwa 9.000 Jahre alten Klingen lassen auf ein hohes handwerkliches Können der damaligen Menschen und eine lokale Spezialisierung zur Herstellung der Werkzeuge in der westanatolischen Siedlung schließen.

„Da der Rohstoff in der Umgebung nicht vorkommt, musste er über das Meer von der 300 Kilometer entfernten ägäischen Insel Melos an den Ort der Verarbeitung gebracht werden“, erklärt ÖAW-Archäologin und Institutsdirektorin Barbara Horejs. „Das bedeutet nicht nur, dass die Siedlung ein frühes regionales Produktionszentrum für Obsidian-Klingen war, sondern auch Teil eines überregionalen maritimen Austauschnetzwerks – und das zu einer Zeit, als sich die Menschheit gerade erst von der Lebensweise der Jäger und Sammler gelöst hatte, um sesshaft zu werden“, so Horejs weiter.

Städtischer Vorläufer der frühen Menschheit

Auch Funde, die in spätere Epochen datieren, deuten darauf hin, dass es sich bei der Siedlung Çukuriçi Höyük um einen florierenden Wirtschaftsstandort der frühen Bronzezeit handelte. Der auf einem Hügel gelegene Ort, der 2015 in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde, beherbergte mehrere Werkstätten zur Metallherstellung und Textilproduktion. Das zeigen rund fünfzig Öfen und zahlreiche metallurgische Gegenstände sowie Spinnwirtel und Webgewichte, die bei den Ausgrabungen entdeckt wurden.

Spätestens mit dem Beginn der Bronzezeit ab 3.000 v. Chr. hatte sich der Ort schließlich zu einer der frühesten heute bekannten protourbanen Siedlungen am Rande Europas entwickelt. Mehrräumige Gebäude mit Mauern aus Stein und Lehmziegeln, Plätze und Wege zeugen von einer dichten Besiedlung. Ackerbau, Viehhaltung und maritime Fischerei, das zeigen etwa Funde von Muscheln und Fischknochen, ernährten die wachsende Bevölkerung. Metallherstellung und Textilproduktion standen in voller Blüte.

„Spezialisierte Handwerkstätigkeiten neben Viehhaltung und Landwirtschaft außerhalb der zentralen Siedlung lassen auf eine arbeitsteilige Gesellschaft schließen, in der sich deutlich der protourbane Charakter bereits vor 5.000 Jahren erkennen lässt“, fasst Barbara Horejs die archäologischen Erkenntnisse zusammen. Gleichzeitig betont sie, dass nun weitere Grundlagenforschung notwendig ist: „Denn wie die Geschichte der Bewohner/innen der Siedlung Çukuriçi Höyük weitergeht, ist bisher noch völlig unbekannt.“ Mehrere Follow-up-Projekte, etwa zur Ausbreitung des Neolithikums oder zur Nahrungsversorgung der Bewohner/innen des Siedlungshügels, seien daher bereits in Vorbereitung, so die ÖAW-Wissenschaftlerin.

Forschungsergebnisse als Science Film

An dem vom Europäischen Forschungsrat ERC mit einem „Starting Grant“ und einem START-Preis des Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt waren rund fünfzig Wissenschaftler/innen und Studierende aus der Archäologie, Anthropologie, Biologie, Mineralogie, Chemie, Physik, Geographie und Zoologie aus mehr als zehn Ländern beteiligt. Bislang sind über fünfzig Publikationen aus dem Projekt am OREA der ÖAW hervorgegangen, weitere sind derzeit in Arbeit.

Zum Abschluss des Projekts ist auch ein Kurzfilm erschienen, der mit zahlreichen 3D-Rekonstruktionen die zentralen Ergebnisse für alle Wissenschaftsinteressierten anschaulich präsentiert und faszinierende Einblicke bietet in die über 9.000 Jahre alte Geschichte der frühen Menschheit in der Siedlung Çukuriçi Höyük. Der Film ist im Internet verfügbar unter: http://defc.digital-humanities.at/movie/

 

 

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Rückfragehinweis

Sven Hartwig
Leiter Öffentlichkeit & Kommunikation
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien
T +43 1 51581-1331
sven.hartwig(at)oeaw.ac.at
Twitter: @oeaw
Web: www.oeaw.ac.at

Wissenschaftlicher Kontakt:
Barbara Horejs
Direktorin
Institut für Orientalische und Europäische Archäologie
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Hollandstrasse 11-13, 1020 Wien
T +43 1 51581-6101
barbara.horejs(at)oeaw.ac.at
Web: www.orea.oeaw.ac.at