18.09.2020 | Klimawandel

Mehr Hochwasser nördlich der Alpen

Der Klimawandel aber auch Flußbegradigungen oder Veränderungen von Windströmngen werden in manchen Regionen Europas zu mehr Hochwasser führen. Österreich ist derzeit beim Hochwasserschutz gut aufgestellt, sagt ÖAW-Mitglied und Hydrologe Günter Blöschl. Bei einem ganzheitlichen Hochwasserrisikomanagement sieht er allerdings Nachholfbedarf.

© Unsplash/Jonathan Ford

500 Jahre europäische Hochwassergeschichte zu analysieren ist eine Herkulesaufgabe. Der Hydrologe Günter Blöschl hat sie, gemeinsam mit 34 Forschungsgruppen aus mehreren Ländern, gewagt. Das Ergebnis wurde im Juli 2020 im Fachjournal Nature publiziert. Für diesen Forschungserfolg wurden zehntausende historische Hochwasserberichte aus dem Zeitraum von 1500 bis 2016 ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass Überschwemmungen sich heute anders verhalten als in früheren Zeiten.

Und auch regional ist es zu Verschiebungen gekommen: „Im Nordwesten von Europa, also nördlich des Alpenhauptkammes, ist eine Zunahme der Intensität und Häufigkeit von Überschwemmungen zu erkennen. Im Osten von Europa ist hingegen eine Abnahme zu beobachten“, sagt Blöschl, der an der TU Wien forscht und seit 2019 Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist. Im Interview erklärt er, was sich noch verändert hat und wo er beim Hochwasserschutz Nachholbedarf sieht.

Wie hat sich die Wahrscheinlichkeit für Hochwasserereignisse in den vergangenen 50 Jahren geändert?

Günter Blöschl: Sowohl die Häufigkeit als auch die Intensität der Ereignisse haben sich geändert, allerdings nicht überall im gleichen Maß. Im Nordwesten von Europa, also nördlich des Alpenhauptkammes, ist eine Zunahme der Intensität und Häufigkeit von Überschwemmungen zu erkennen. Im Osten von Europa ist hingegen eine Abnahme zu beobachten, im Süden gibt es keinen einheitlichen Trend. Lokale Hochwasserereignisse durch Gewitter sind eine eigene Kategorie, die separat betrachtet werden muss.

Worauf sind die unterschiedlichen Entwicklungen zurückzuführen?

Blöschl: Die Abnahme von Überflutungen in Osteuropa hängt mit der geringeren Schneemenge zusammen, die zu weniger Schmelzwasser führt. Im Nordwesten Europas ist die erhöhte Wahrscheinlichkeit für Überflutungen auf veränderte Windmuster aufgrund der schwindenden Temperaturunterschiede zwischen Nordpol und Äquator erklärbar. Die Windströmungen zwischen den USA und Europa haben sich tendenziell nach Norden verschoben. Dadurch wird mehr Feuchtigkeit nach Nordwesteuropa geliefert.

Im Nordwesten Europas ist die erhöhte Wahrscheinlichkeit für Überflutungen auf veränderte Windmuster aufgrund der schwindenden Temperaturunterschiede zwischen Nordpol und Äquator erklärbar.

Die höhere Feuchtigkeit der wärmeren Luft spielt keine Rolle?

Blöschl: Die höhere Wasseraufnahmefähigkeit der wärmeren Luft spielt nur eine geringe Rolle, weil die Wassermenge in einer Luftsäule bis in zehn Kilometer Höhe an jedem Ort gering ist, auch bei wärmerer Luft. Der Nachschub an feuchter Luft durch die veränderten Windströmungen ist hier relevanter.

Welche Faktoren spielen noch eine Rolle?

Blöschl: Die Niederschlagsverteilung über die Jahreszeiten ist nicht einheitlich. Zudem spielt die Bodenfeuchtigkeit eine große Rolle, weil wenig gesättigte Erde ein besserer Puffer für starke Regenfälle ist. Die Verdunstung hat auf der ganzen Welt in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen. In Österreich etwa um 17 Prozent in den vergangenen 30 Jahren. Wir haben dadurch häufigere Trockenphasen, besonders im Sommer, und auch das überlagert das Auftreten von Hochwassern.

In Österreich, ist bei starken Gewittern tendenziell eine Zunahme zu verzeichnen, wie in vielen Regionen Europas, ausgelöst durch die die wärmere Luft.

Wie sieht es mit Extremereignissen wie starken Gewittern aus?

Blöschl: In Österreich ist bei starken Gewittern tendenziell eine Zunahme zu verzeichnen, wie in vielen Regionen Europas, ausgelöst durch die die wärmere Luft. Ein zweiter Faktor ist die häufige Bildung labiler Luftschichten, die mit den Großwetterlagen über Europa zusammenhängen. Daraus resultieren aber keine Donauhochwasser, die Auswirkungen sind regional begrenzt. Allerdings können starke Gewitter lokal zu Sturzfluten und Hangrutschungen führen.

Was hat mehr Bedeutung für den Katastrophenschutz, Flusshochwasser oder Gewitter?

Blöschl: Beides muss berücksichtigt werden. Am Inn und an der Donau spielen Flusshochwasser natürlich eine größere Rolle. In den vergangenen 100 Jahren wurden zehntausende Rückhaltebecken in Österreich gebaut. Verbauungen sind aber nicht die einzige Lösung. Für das 21. Jahrhundert brauchen wir integriertes Hochwasserrisikomanagement, das auf einer ganzheitlichen Betrachtung beruht. Es müssen verschiedene Ansprüche an Sicherheit, Landflächen und Gewässer berücksichtigt werden. Dabei müssen Kompromisse zwischen wirtschaftlichen Interessen, Landwirtschaft, Gewässerschutz und Biodiversität gefunden werden.

Ist dieser ganzheitliche Ansatz bereits Konsens?

Blöschl: Traditionell werden Szenarien entworfen und dann Einzelmaßnahmen entwickelt. Die Wechselwirkungen wurden dabei oft vernachlässigt. Das neue Fachgebiet der Soziohydrologie, an dessen Gründung ich beteiligt war, befasst sich mit genau diesen Wechselwirkungen. Die Kommission für Interdisziplinäre Ökologische Studien der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist ebenfalls ein ausgezeichnetes Forum, um diese Aspekte zu diskutieren, da hier die Expertise von den Naturwissenschaften bis hin zu den Gesellschaftswissenschaften auf hohem Niveau vertreten ist. Dieser Diskurs ist äußerst wichtig um den ganzheitliche Ansatz weiter zu treiben.

Der Trend sagt, dass wir nördlich der Alpen mehr Hochwasser haben werden.

Welcher Art sind die Wechselwirkungen zwischen der Natur und den Menschen in diesem Zusammenhang?

Blöschl: In der Vergangenheit wurden etwa Flüsse begradigt, ohne zu berücksichtigen, dass sich die Fließgeschwindigkeit dadurch erhöht, was eine ganze Reihe unerwünschter Konsequenzen mit sich bringt. Derartige Wechselwirkungen sind mathematisch aber gut erfassbar. So können wir Modelle entwickeln, die das Zusammenspiel aus Natur und Mensch besser abbilden. Damit können wir mittlerweile gut einordnen, wie sich Hochwasser und gesellschaftliche Entscheidungen gegenseitig beeinflussen.

Worauf müssen wir uns in Österreich in den nächsten Jahrzehnten einstellen, wenn es um Hochwasserereignisse geht?

Blöschl: Der Trend sagt, dass wir nördlich der Alpen mehr Hochwasser haben werden. Diese Tendenzen werden im Risikomanagement bereits berücksichtigt, um die Schäden möglichst klein zu halten. Überflutungen durch Gewitter werden sich wohl fast überall häufen und auch hier passieren schon viele geeignete Maßnahmen.

Wie können die Managemententscheidungen unterstützt werden?

Blöschl: In verschiedenen Projekten haben wir an der TU Wien Simulationsmodelle für Österreich entwickelt, in denen wir die Wahrscheinlichkeiten für eine Überflutung in den nächsten Jahrzehnten ausweisen. Zudem haben wir Prognosemodelle entwickelt, die angeben wie sich die Wasserstände bei Hochwasser in den nächsten Tagen entwickeln. Das sind wertvolle Werkzeuge, die helfen die richtigen Entscheidungen beim Hochwasserrisikomanagement zu treffen.

Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, denn nur mit Dämmen und Rückhaltebecken ist es nicht getan.

Wie dramatisch werden die Probleme, die durch die steigende Hochwassergefahr entstehen?

Blöschl: Grundsätzlich sind wir für die nächsten 20 Jahre in Österreich gut aufgestellt, wenn auch Hochwasserschäden nicht gänzlich zu vermeiden sind. Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, denn nur mit Dämmen und Rückhaltebecken ist es nicht getan. Ebenso wichtig ist es, die Versickerung zu maximieren, um den Einfluss der vielen versiegelten Flächen auf die Hochwasser zu reduzieren. Zudem müssen weitere Instrumente des integrierten Hochwasserrisikomanagement, je nach lokaler Situation unterschiedlich, geschickt eingesetzt werden. Die Arbeit der ÖAW-Kommission ist hier befruchtend für den Austausch zwischen den Disziplinen.

 

AUF EINEN BLICK

Günter Blöschl leitet an der TU Wien das Institut für Wasserbau und Ingenieurhydrologie. Er ist ERC-Preisträger und wurde 2020 in die US National Academy of Engineering aufgenommen. Seit 2019 ist er wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Mitglied der Kommission für Interdisziplinäre Ökologische Studien der ÖAW.