09.04.2021 | Pflanzenbiologie

Lockdown für Genom-Parasiten

„Springende Gene“ können ihre Position im Genom verändern und dadurch Schäden anrichten. Pflanzenforscher/innen der ÖAW haben nun den molekularen Mechanismus geklärt, wie die Modellpflanze Arabidopsis diese Genabschnitte immobil macht. Den evolutionär konservierten Mechanismus im Detail zu kennen, eröffnet neue Perspektiven auf vergleichbare Prozesse in Mensch und Tier, sagen die Wissenschaftler/innen in der Fachzeitschrift „Nature Cell Biology“.

An der Modellpflanze Arabidopsis konnten Pflanzenbiolog/innen der ÖAW zeigen, wie diese sogenannte „springende Gene“ im Griff behält.
An der Modellpflanze Arabidopsis konnten Pflanzenbiolog/innen der ÖAW zeigen, wie diese sogenannte „springende Gene“ im Griff behält. © ÖAW/Klaus Pichler

Evolutionär gesehen haben Transposons - zum „Springen“ befähigte Genabschnitte - die Vielfalt des Lebens vergrößert. Aus der Perspektive einzelner Organismen aber sind sie eher als Genom-Parasiten einzuschätzen, die versuchen, den Regulierungsmechanismen bei der Vervielfältigung zu entkommen. Unreguliert würden sie die Integrität des Genoms und dadurch die Lebensfunktionen beeinträchtigen. Doch auch den Transposons sind in intakten Zellen Grenzen gesetzt. Bereits früh in der Evolution haben sich in verschiedenen Organismengruppen molekulare Mechanismen entwickelt, die imstande sind Transposons immobil zu halten. Wie das im Detail bei der Modellpflanze Arabidopsis funktioniert, haben Frédéric Berger und sein Team am GMI - Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) geklärt. Ihre Arbeit wurde nun in der Fachzeitschrift „Nature Cell Biology“ veröffentlicht.

Den Hauptakteur zur Stilllegung der Transposons in Arabidopsis kennt die Molekularbiologie seit etwa drei Jahrzehnten: DDM1 - Decreased DNA Methylation I. Wie DDM1 arbeitet, und dass es in Arabidopsis als einzelnes Genprodukt spezifisch für das Silencing verantwortlich ist, konnten die Wissenschaftler/innen der ÖAW nun durch Experimente klären.

Fangen, bevor sie springen!

Die DNA liegt normalerweise dicht gepackt im Zellkern. Der gesamte Komplex aus Histon-Verpackungsproteinen und DNA wird als Chromatin bezeichnet, der sich nur dann öffnet, wenn Information ausgelesen werden muss. Im Blick auf die Transposons liegt es also nahe, gefährliche Transposons möglichst in der Verpackung zu halten.

Das Team um Frédéric Berger, Gruppenleiter am GMI der ÖAW, mit den Co-Erstautoren Akihisa Osakabe und Bhagyshree Jamge konnte in Experimenten zweierlei zeigen: Erstens, dass für die Verpackung von Transposons eine besondere Variante des Histons, H2A.W, wichtig ist, und weiter, dass DDM1 die Verpackungsarbeit exklusiv mit dieser Variante leistet. Fehlt DDM1, kann die Information springender Gene ausgelesen werden und den Stoffwechsel durcheinanderbringen. Frédéric Berger veranschaulicht den Prozess mit einem Bild: Sieht man das Chromatin als Behausung für proteinkodierende Gene, wären unregulierte Transposons mobile Eindringlinge, die sich in diesen Häusern verstecken. DDM1 baut nun mithilfe der Histonvariante H2A.W ein Haus aus etwas anderen Bausteinen. Dadurch ist es möglich, die Transposons am Verlassen des Hauses zu hindern und vor der Transkriptionsmaschinerie zu verstecken.

Per DHL verpackt in die „Hölle“ geschickt

Was bedeutet diese Erkenntnis für andere Arten, insbesondere Säugetiere und Menschen? Sind Therapien denkbar, die sich diesen Mechanismus zunutze machen können? Der Gedanke liegt nicht so fern. Denn sowohl beim Menschen als auch bei der Maus hat man bereits entsprechende Gegenstücke zu DDM1 gefunden: als „Hells“ beim Menschen und „Lsh“ bei der Maus bezeichnet. Die Forscher/innen schlagen daher vor, diese chromatinmodellierenden Genprodukte zu einer neuen Klasse „DHL“ zusammenzufassen. Ihre gemeinsamen Eigenschaften: Die DHL-Chromatin-Remodeler zeigen konservierte Bindungsstellen für die Histonvarianten. Wenn sie mutieren, kann das zu genomischer Instabilität und Krankheiten führen. Frédéric Berger beschreibt den Mechanismus mit einer humorvollen Eselsbrücke: "Im Grunde genommen lautet die Strategie: Schließe deinen Feind in Bausteinen aus speziellem Material ein und schicke ihn in die Hölle!"

Frédéric Berger, der vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des 1000-Ideen-Programms für völlig neue und gewagte Forschungsideen unterstützt wird, denkt jedenfalls bereits weiter. Er versucht das in Arabidopsis gefundene Prinzip, dass DDM1 die Transposons vor der Transpriptionsmaschinerie „versteckt“,  für neuartige Silencing-Wege in Hefe zu adaptieren.

 

AUF EINEN BLICK

Publikation:

"The chromatin remodeler DDM1 prevents transposon mobility through deposition of histone variant H2A.W", Jamge Osakabe et al., Nature Cell Biology, 2021.
DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41556-021-00658-1