14.05.2020 | Die Sprache der Krise

LET’S TALK ABOUT CORONA

Von der „Maskenpflicht“ bis zur „Notbremse“ – im Zuge der Auseinandersetzung mit der Corona-Krise verändert sich unser Sprachgebrauch. Alexandra N. Lenz, Linguistin an der ÖAW, über alte Ausdrücke in neuem Gewand und Sprachverhaltensmuster in Krisenzeiten.

© Unsplash/Matt Seymour

Noch vor wenigen Wochen wären Ausdrücke wie „Lockdown“ oder „Social Distancing“ wohl den wenigsten Menschen in Österreich geläufig gewesen. Inzwischen weiß vermutlich jeder, was damit gemeint ist. Das zeigt: Die aktuelle Coronakrise lässt auch unsere Sprache nicht unberührt. „Bis vor Kurzem eher unbekannte Bezeichnungen wie „Corona“ oder „COVID-19“ sind jetzt ganz selbstverständlich Teil der Alltagskommunikation“, sagt Alexandra N. Lenz, die das  Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) leitet.

Die Sprachwissenschaftlerin erzählt im Interview, warum in Zeiten von Corona auch „alte Begriffe“ wie Solidarität eine neue Konjunktur erfahren, welche neuen Begriffe sich gegen andere im Alltagsgebrauch durchsetzen und welche gesellschaftliche Funktion die Rede vom „Kampf gegen das Virus“ erfüllt.

Die Corona-Krise ist in vielfacher Hinsicht eine herausfordernde und hoch dynamische Zeit. Wie schlägt sich das in der Sprache nieder?

Alexandra N. Lenz: Wir beobachten vielfältige Auswirkungen auf die Sprache. Zunächst einmal kann man feststellen, dass Fachwörter, die zuvor nicht zum sprachlichen Alltag der Mehrheitsbevölkerung gehörten oder nur sehr selten gebraucht wurden, jetzt nicht nur in den Medien allgegenwärtig sind, sondern plötzlich auch Eingang in die Alltagsgespräche finden. Zu diesen neuen Klassikern gehören Wörter wie „Pandemie“, „Quarantäne“, „Neuinfektionen“, aber auch „Reproduktionszahl“, „Exitstrategie“ und „das Virus“. Auch bis vor Kurzem eher unbekannte Bezeichnungen wie „Corona“ oder „COVID-19“ sind jetzt ganz selbstverständlich Teil der Alltagskommunikation. Wir bilden mit ihnen vielfältige Komposita wie „Corona-Party“, „Corona-Ferien“, „Corona-Impfstoff“ et cetera.

Fachwörter, die zuvor nur sehr selten gebraucht wurden, finden Eingang in die Alltagssprache.

Man hat den Eindruck, dass die Beschäftigung mit der Pandemie die sprachliche Kreativität anregt, auch über die Grenzen des Deutschen hinaus.

Lenz: Es wollen und müssen neue Sachverhalte ausgedrückt werden und dazu dienen mitunter auch englische Ausdrücke, die im Kontext der Corona-Krise dann mit ganz speziellen Inhalten gefüllt werden, wie etwa die Anglizismen „Shutdown“, „Lockdown“ oder „Social Distancing“. Es werden aber auch kreativ neue Wörter gebildet, nicht selten geschieht das durch Zusammensetzungen aus bereits bekanntem Sprachmaterial. Ein Beispiel ist das Kompositum „Öffnungsdiskussionsorgien“, das zunächst von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel spontan in einem Interview gebraucht wurde. Wenn es weiterhin erfolgreich übernommen wird, könnte es seinen Originalzitat-Status verlieren, wie dies etwa bei dem Neologismus „Corona-Party“bereits geschehen ist.

Es fällt auf, dass im Zuge der Corona-Krise viele Begriffe wiederbelebt wurden, die lange vergessen schienen, „Solidarität“ zum Beispiel, „Gemeinschaft“ oder „Zusammenhalt“. Wie bewerten Sie das?

Lenz: Das ist der aktuell sicher am häufigsten zu beobachtende Fall der Sprachdynamik: Bereits bekannte Ausdrücke erfahren sozusagen eine „Hochkonjunktur“. Ihre Gebrauchsfrequenzen schnellen im Kontext der Krise nach oben, was natürlich auch dazu führt, dass diese Ausdrücke zunehmend mit speziellen Corona-Assoziationen verbunden sind. „Solidarität“ ist da nur ein Beispiel, andere wären „Obergrenze“, „Hamsterkauf“, „Fallzahlen“, „Kontaktverbot“, „Ausgangsbeschränkungen“, „Hygienerichtlinien“, „Schutzmaßnahmen“, „Maskenpflicht“, „Notbremse“ oder auch Verben wie „abflachen“ und „testen“ – es sind bekannte Ausdrücke, die jetzt auch neue Inhalte erhalten.

Manche Ausdrücke erfahren im Kontext der Corona-Krise eine Hochkonjunktur und werden zunehmend mit speziellen Corona-Assoziationen verbunden.

Unabhängig davon, um welche der genannten Neuerungen der Sprache es sich handelt: Wer bestimmt eigentlich über den Gebrauch der Begriffe und welche Wendungen setzen sich am besten durch?

Lenz: Wir können beobachten, dass oft wenn eine sprachliche Neuerung auftritt, ein Prozess des sprachlichen Aushandelns stattfindet, in dessen Verlauf ein Ausdruck im Vergleich mit seinen potentiellen „Konkurrenten“ kontrastiert, verteidigt oder auch wieder aufgegeben wird. Dieses Aushandeln zeigte sich etwa im Ringen um das angemessene Wort für die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19: Handelte es sich um eine Phase des „Kontaktverbots“, der „Kontaktsperre“ oder der „Kontaktreduktion“?

Die meisten Begriffe und Redewendungen beruhen – mehr oder weniger offensichtlich – auf Metaphern. So wird etwa jetzt vom „Hochfahren“ des öffentlichen Lebens gesprochen, was die Vorstellung nahelegt, die Gesellschaft sei eine Maschine. Welche Funktion erfüllen diese metaphorischen Redeweisen?

Lenz: Die gegenwärtige Krisensituation löst sprachliche Reaktionen aus, die den Sprachverhaltensmustern gleichen, mit denen wir als sprechende Individuen und Gruppen generell auf katastrophale Ereignisse „von außen“ zu reagieren neigen. Metaphorische Konzepte können dazu beitragen, das Neue, Unbekannte und – gerade im Falle von Corona – auch mit Unsicherheiten und Risiken Behaftete kognitiv zu (be)greifen. Bei dem Versuch, Umweltkatastrophen, Krankheitswellen, Klimaveränderungen und andere „Schicksalsschläge“ greifbarer und damit auch vermeintlich handhabbar und veränderbar werden zu lassen, helfen sprachliche Metaphern, die dem äußeren „Feind“ etwas Menschliches und damit auch Vertrautes anheften.

Die gegenwärtige Krisensituation löst sprachliche Reaktionen aus, die den Sprachverhaltensmustern gleichen, mit denen wir generell auf katastrophale Ereignisse „von außen“ zu reagieren neigen.

Viel war und ist auch von „Krieg“ und „Kampf“ gegen das Virus die Rede – warum ist ausgerechnet diese Metapher so beliebt?

Lenz: Dass sich gerade in politischen Diskussionen im Kontext der Corona-Zeit gerne des metaphorischen Konzepts des Kampfs bedient wird, lässt die/den kämpfenden Politiker/in selbst in einer besonders anpackenden und kraftvollen Kampfeshaltung erscheinen. Andererseits kann zu viel „Kriegsrhetorik“ natürlich auch negativ wahrgenommen werden, wie es jüngst die Vorwürfe der Opposition gegenüber Kanzler Kurz zeigen. Indem man den Umgang mit dem Corona-Virus mit metaphorischen Konzepten wie Kampf/Krieg fasst, werden aber auch emotionale Kräfte auf überindividueller Ebene gemeinschaftlich und gesellschaftlich gebündelt; es ist der „gemeinsame Kampf“, der geführt wird, und es ist der „gemeinsame Sieg“, der am Ende errungen werden soll. Dieser verbalen Strategie folgt auch die behördenübergreifende Plattform oesterreich.gv.at mit ihrer Titelzeile „Gemeinsam gegen das Coronavirus.“

Indem man den Umgang mit dem Corona-Virus mit metaphorischen Konzepten wie Kampf/Krieg fasst, werden emotionale Kräfte auf überindividueller Ebene gemeinschaftlich und gesellschaftlich gebündelt.

Was denken Sie: Werden die Erfahrungen der Pandemie unseren Wortschatz nachhaltig beeinflussen? Was wird bleiben? Und welche Begriffe sollten uns erhalten bleiben?

Lenz: Inwiefern die skizzierten sprachlichen „Nebenwirkungen“ der Corona-Krise stabil bleiben und sich auch mittelfristig im Sprachgebrauch beziehungsweise dem Sprachsystem erhalten, können wir jetzt noch nicht absehen. Es wird aber – wie so vieles – auch mit der Dauer der Krise zusammenhängen. Die „Sprache der Corona-Zeit“ wird uns Sprachwissenschafter/innen in nächster Zukunft in jedem Fall noch sehr beschäftigen. Wir arbeiten derzeit an großangelegten Sprachkorpora, die es uns ermöglichen – auch im Vergleich mit den Diskursen, wie sie in anderen Ländern geführt wurden – quantitative und qualitative Analysen auf der Basis großer Datenmengen durchzuführen, um auch in sprachlicher Hinsicht vieles aus der Krise zu erfahren und zu lernen.

 

Auf einen Blick

Alexandra N. Lenz ist Direktorin des Österreichischen Zentrums für Digitale Geisteswissenschaften und Kulturelles Erbe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), wo sie die Forschungsabteilung „Variation und Wandel des Deutschen in Österreich“ leitet. Sie ist Professorin am Institut für Germanistik der Universität Wien und wirkliches Mitglied der ÖAW.