24.11.2017

Leonardo da Vinci computeranimiert

Die Zeichnungen des italienischen Meistermalers sind perfekte Vorlagen für moderne Computerdesignprogramme, erzählt der Da Vinci-Experte Martin Kemp. Welche neuen Erkenntnisse das den digitalen Geisteswissenschaften ermöglicht, erklärte er an der ÖAW, wo eine Tagung Wissenschaft und Medienkunst zusammen brachte.

© Wikimedia Commons/Public Domain

Welche neuen Erkenntnisse entstehen, wenn Medienkunst, Wissenschaft und Technologie fusionieren? Das zeigten Historiker/innen, Kunstwissenschaftler/innen und zahlreiche weitere Expert/innen vom 23. bis 25. November 2017 bei der internationalen Tagung „RE:TRACE“, an der Donau Universität Krems, dem Stift Göttweig und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Martin Kemp, Kunsthistoriker von der Oxford University, war bei der Tagung an der ÖAW zu Gast und sprach über Computeranimationen von Werken Leonardo da Vincis. Im Interview erklärte er, warum sich Zeichnungen des berühmten Renaissance-Künstlers besonders gut animieren lassen und wo der Meister trotz aller Detailgenauigkeit von Bewegungsabläufen irrte.

Man muss hier betonen, dass niemand zuvor so gezeichnet hat.


Sie sagen, es gibt einen Zusammenhang zwischen Leonardo da Vincis Werken und Computer-Design? Wie meinen Sie das?

Martin Kemp: Computergraphiken bzw. Animationen arbeiten mit dem dreidimensionalen Raum – also mit den Achsen x, y und z. Auf diesen Ebenen kann man die erstellten 3D-Figuren bewegen. Wir alle kennen wunderbar animierte Filme und wissen, wie das aussieht. Diese Bewegung im Raum hat auch Leonardo versucht, zu erfassen.

Das macht sich vor allem bei seinen Zeichnungen bemerkbar, weniger bei seinen Gemälden. So zeichnet er etwa die Beine eines Pferdes aus allen Perspektiven oder deutet die unterschiedlichen Positionen eines sich aufbäumenden Pferdes durch schnell übereinander gekritzelte Linien an. Man muss hier betonen, dass niemand zuvor so gezeichnet hat.

Ist es also leichter, seine Zeichnungen zu animieren, als jene von anderen Zeitgenossen?

Kemp: Das ist auf jeden Fall so. Ich habe im Jahr 2006 zusammen mit dem Animator Steve Maher anlässlich der Ausstellung „Leonardo da Vinci. Experience, Experiment, Design“ einige seiner Zeichnungen animiert. Darunter eine Zeichnung von einem Mann, der einen großen Hammer schwingt.

Leonardo hat dabei die gesamte Bewegungsabfolge gezeichnet: Von dem Moment, als der Mann mit dem Hammer hinter seinem Kopf ausholt, ihn mit gestreckten Beinen und Armen über sich schwingt und mit Wucht, in den Boden schlägt. Steve meinte damals, dass Leonardo hier perfekte Schlüsselpositionen gezeichnet hat, mit denen sich die Bewegung durchgehend animieren lässt.

Was heißt das?

Kemp: Wenn man eine Bewegung animiert, hat man beispielsweise vier oder fünf Hauptpositionen. Den Rest füllt man dann nur noch aus. Es ist erstaunlich, dass Leonardo hier alle Schlüsselpositionen gezeichnet hat, die heute für das durchgängige Animieren mit Computer notwendig sind. Steve musste dadurch nur noch die Zwischenpositionen ausfüllen.

Leonardo erkannte also, dass der Raum zusammenhängend ist und somit auch die Bewegungen einer Person. Das zu erkennen ist das eine, es zu in eine graphische Form zu übersetzen, ist aber eine andere Sache. Das bedarf eines herausragenden Genius.

Man sieht also, auch er machte mal Fehler.


Was können wir Neues von Leonardo da Vincis Werken lernen, indem man quasi einen digitalen Blickwinkel einnimmt?

Kemp: Es gibt viele Bestrebungen, seine Arbeiten zu animieren – auch seine Maschinen, etwa um herauszufinden, ob sie funktionieren und ob die Zeichnungen realistisch sind. Nicht alles funktioniert dabei, wie Leonardos „Panzer“. Nach seinen Entwürfen würden die von den Soldaten zu bewegenden Räder in die entgegengesetzte Richtung laufen. Man sieht also, auch er machte mal Fehler.

Könnte man auch das letzte Abendmahl animieren?

Kemp: Ich habe schon oft darüber nachgedacht, es zu tun. Es wäre aber unglaublich aufwendig und teuer. Bei dem Gemälde handelt es sich um eine sehr malerische Konstruktion. Damit meine ich, es funktioniert als Bild bzw. als Geschichte: Wir sehen Christus und die Apostel hinter dem Tisch. Das zu animieren, stellt einen Wissenschaftler wie Animator allerdings vor physikalische Rätsel. Man weiß etwa nicht, ob der Raum recht- oder dreieckig ist. Zudem befinden sich mehr Menschen hinter dem Tisch, als dort sitzen können.

Als Kunsthistoriker muss man aber das Bild genau verstehen und besser analysieren, als es die normale, wissenschaftliche Arbeit erfordert. Vage Beschreibungen von dem Abgebildeten bzw. den Geschehnissen sind unzulässig. Man kann nicht sagen: „Es könnte sein, dass“ oder „Es funktioniert wahrscheinlich so und so“. Wenn man ein etwas animiert oder auch nachbaut, muss man klare Aussagen treffen.

Martin Kemp ist Emeritus Research Professor in the History of Art an der Oxford University. Er war British Academy Wolfson Research Professor und forschte an der University of Glasgow und der University of St Andrews in Schottland. Gastprofessuren führten ihn u.a. nach Princeton, New York, Los Angeles und Montreal. Er hat sich in zahlreichen Publikationen mit dem Werk Leonardo da Vincis auseinandergesetzt und kuratierte die Ausstellung „Leonardo da Vinci: Experience, Experiment, Design“, die 2006 am Victoria and Albert Museum in London zu sehen war. 

Die Tagung „RE:TRACE“ fand bereits zum siebten Mal als „International Conference for Histories of Media Art, Science and Technology” statt. Vom 23. bis 25. November 2017 war sie an der Donau Universität Krems, dem Stift Göttweig und an der ÖAW zu Gast unter der Leitung von Oliver Grau (Donau Universität Krems). Sie wurde mitorganisiert vom Austrian Centre for Digital Humanities der ÖAW.

Der öffentliche Vortrag „Computerising Leonardo: a visual dialogue from 1988 to now“ von Martin Kemp, fand am 25. November um 18.30 Uhr an der ÖAW statt.