28.03.2018

„Law and Order“ in der Antike

Wie sah die Rechtsprechung in Ägypten vor rund 2.000 Jahren aus? Dieser Frage geht Althistoriker und ÖAW-Mitglied Bernhard Palme nach. Anhand originaler Prozessprotokolle möchte er den Einfluss des Römischen Rechts über Jahrhunderte nachzeichnen.

Augustusstatue von Primaporta (Vatikanische Museen) © Wikimedia/ Public Domain/By Till Niermann
Augustusstatue von Primaporta (Vatikanische Museen) © Wikimedia/ Public Domain/By Till Niermann

„Wir bringen die Gerechtigkeit“, soll der Leitspruch der Römer gewesen sein, als sie das ptolemäische Königreich in Ägypten im Jahre 30 v. Chr. annektierten und damit die Gerichtsbarkeit und die Verwaltung an das Römische Recht anpassten.

„Es gab eine Reihe von institutionellen und sozialen Veränderungen“, schildert der Althistoriker Bernhard Palme, der an der Universität Wien und dem Institut für Kulturgeschichte der Antike der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) forscht. „Das heißt aber nicht, dass man das alte System von heute auf morgen beiseite geschoben hat.“ Die lokalen Gerichte blieben nach wie vor aktiv, erklärt Palme. Nur wurde ihnen eine übergeordnete Instanz vorgeschoben, das Gericht des Statthalters, auch Präfekt genannt.

Ägyptisches Bezirksgericht, römischer Statthalter

Dieser übernahm vor allem Kriminal- und andere bedeutende Fälle. Die Bagatelldelikte und kleineren Angelegenheiten verblieben hingegen in der Zuständigkeit der etwa 40 ägyptischen Bezirksgerichte. „Jeder Bezirk unterstand einem Strategos. Das waren in der Regel reiche Alexandriner mit einem griechischsprachigen Hintergrund, Grundbesitz oder Handelsbeziehungen, die für die Verwaltung und eben auch die Rechtsprechung zuständig waren“, erklärt Palme. Dem Statthalter stand es allerdings frei, überall einzugreifen. Auf diese Weise demonstrierte Rom seine Herrschaft, so der Historiker.

Bis sich die römische Gerichtsbarkeit und Verwaltung auf allen Ebenen durchsetzte, vergingen allerdings Jahrhunderte. „Erst Anfang des 3. Jahrhunderts sehen wir, dass sich mit der sogenannten Bule, also einer Art Gemeinderat, eine weitere Instanz in der Verwaltung etabliert. Es dauert aber noch einmal rund einhundert Jahre, bis sie allein die Verwaltungsaufgaben und damit vermutlich auch die Bagatellgerichtsbarkeit übernehmen.“

Papyri zeigen: Es gab viel zu tun

Wie dieser Wandel im Detail vonstattenging, untersuchen Palme und seine Kollegin Anna Dolganov in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt – und zwar anhand von originalen Prozessprotokollen. „Dank des trockenen Klimas hat sich die auf Papyrus geschriebene Dokumentation der Prozesse so gut erhalten wie nirgendwo sonst“, so Projektleiter Palme.

 

 

Als besonders gut dokumentiert schildert der Historiker die Prozesse des Statthalters. Zu seinen Tätigkeiten gehörte es unter anderem, einmal im Jahr in den Bezirken der römisch-ägyptischen Provinz nach dem Rechten zu sehen. „Man nannte diese Inspektionsreise conventus. Es war eine der wenigen Gelegenheiten, wo der Präfekt in der Öffentlichkeit auftrat. Meist hielt er sich dabei gleich mehrere Wochen in einem Bezirk auf.“ Der Grund: es gab für ihn viel zu tun.  

Denn auf dem Konvent hatte jeder die Gelegenheit, dem Statthalter ausnahmsweise seinen oder ihren Fall als Petition vorzutragen – egal ob es um Besitzstreitigkeiten oder Familienangelegenheiten ging. Innerhalb von zweieinhalb Tagen wurden dem Präfekten allein mehr als 1.800 Petitionen überreicht, schildert Palme. In der Regel entschied er in der Sache nicht selbst, sondern verwies den Fall lediglich wieder an das lokale Gericht zurück.

Damals wie heute: Prozesse konnten Jahre dauern

Diese Rückverweisung an die Strategoi war im römischen Ägypten die einzige Möglichkeit, einigermaßen schnell zu einem Urteil zu kommen. Da die Gerichte zu dieser Zeit stark überlastet waren, konnten Prozesse Jahre dauern. Durch den Verweis rutschten sie auf der Prioritätenliste nach oben.

Für die Forscher/innen sei das Projekt nun die einmalige Chance, herauszufinden, wie die Praxis der Rechtsprechung vor über 2.000 Jahren tatsächlich funktioniert hat, so Palme. „Wir legen die Texte zum ersten Mal quasi nebeneinander und studieren sie im Kontext des gesamten Genres. Dadurch können wir Zusammenhänge besser erkennen und die Texte vollständiger verstehen.“

 

Bernhard Palme ist Professor für Alte Geschichte und Papyrologie an der Universität Wien und Direktor der Papyrussammlung und des Papyrusmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek. Er ist seit 2012 Mitglied der ÖAW und ehrenamtlicher wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturgeschichte der Antike der ÖAW.

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Institut für Kulturgeschichte der Antike der ÖAW