21.01.2022 | Pocken und Corona

Aus der Geschichte der Impfpflicht: Debatten gab es schon unter den Habsburgern

Schon unter Maria Theresia wurde heftig diskutiert, ob man eine Impfpflicht gegen die Pocken einführen soll. Welche Aufklärungsarbeit damals geleistet wurde, warum Tirol gegen die Impfung war und welche Parallelen es zu Corona und der aktuellen Pandemie gibt, erklärt ÖAW-Medizinhistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer.

Mitglieder einer französischen Kommission, die sich gegen Impfungen aussprechen.
Mitglieder einer französischen Kommission, die sich gegen Impfungen aussprechen. © Wellcome Library, London, CC BY 4.0

Die österreichische Regentin Maria Theresia hat die Pocken einst als den Erzfeind des Hauses Habsburg bezeichnet und war eine der führenden Herrscherpersönlichkeiten, die sich für eine Impfung stark gemacht haben. Sie setzte dabei auf Freiwilligkeit und Motivation. Innerhalb des Kaiserhauses wurde aber auch heftig über die Einführung einer Impfpflicht diskutiert.

Die Medizinhistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer vom Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erklärt im Gespräch die Parallelen zwischen aktuellen Fake News über die Covid-19-Impfung und historischer Anti-Impfpropaganda. Aber auch, wie damals Aufklärungsarbeit geleistet wurde. Und was die historischen Impfgegner/innen mit dem Tiroler Freiheitskampf zu tun haben. „Der Volksaufstand unter Andreas Hofer 1809 stand auch unter dem Motto ‚Gegen eine Impfpflicht‘. In der katholischen Kirche gab es den Kapuziner-Pater Joachim Haspinger, der die Impfung als Teufelszeug abgetan hat. Er behauptete, mit der Impfung würde den Tirolern bayerisches Denken eingeimpft“, so Angetter-Pfeiffer. 

Maria Theresia war Impfbefürworterin

Maria Theresia hat sich für die Impfung gegen Pocken stark gemacht. Wie reagierte die Bevölkerung?

Daniela Angetter-Pfeiffer: Die Skepsis war groß, Maria Theresia hat sich immer wieder beschwert über das „dumme Bauernvolk“, das sich nicht impfen lassen wollte. Wobei sicher nicht nur Bauern gemeint waren. Vertreter/innen der Naturheilkunde argumentierten, die Impfung sei nicht gottgewollt, weil sie einen Eingriff in den menschlichen Körper darstelle. Als Edward Jenner 1796 eine Impfung gegen die Menschenpocken mit dem Kuhpockenvirus mit Erfolg erprobt hatte, gab es große Vorbehalte gegen tierische Substanzen. Der Philosoph Immanuel Kant meinte bereits 1797, den Leuten würde dadurch die tierische Brutalität eingeimpft. Es gab berühmte Karikaturen, wo den Geimpften Kuheuter wachsen oder sie Stierhörner bekommen.

Wie haben die Habsburger gegen diese Skepsis angekämpft?

Angetter-Pfeiffer: Heute würde man sagen, es wurde eine groß angelegte Aufklärungskampagne gestartet. Man hat versucht, mithilfe von Pfarrern und Hebammen die Leute zu motivieren. Geistliche gingen gemeinsam mit ihren Gemeindeärzten von Haus zu Haus. Bei der Taufe wurden in der Habsburgermonarchie allen Eltern Briefe übergeben, in denen stand, wie wichtig das Impfen ist. Diese gab es in allen Sprachen der Monarchie. Wer nicht lesen konnte, dem wurde der Inhalt vorgelesen und erklärt.

Bei der Taufe wurden in der Habsburgermonarchie allen Eltern Briefe übergeben, in denen stand, wie wichtig das Impfen ist. Diese gab es in allen Sprachen der Monarchie.

Massenimpfungen als Teil der Geschichte

Es klingt, als wäre man damals mehr auf die Menschen zugegangen als in der aktuellen Covid-19-Pandemie?

Angetter-Pfeiffer: Absolut, man versuchte, Impfskeptiker/innen zu überzeugen, indem man sie direkt angesprochen hat. Die erste große Massenimpfaktion fand im Dezember 1800 in Brunn am Gebirge statt, die hat einen hohen Erfolg erzielt. In den kommenden Jahren gab es in Wien fast keine Pockenerkrankungen bei Kindern. Man hat also die positiven Auswirkungen sofort gesehen. Das hat zur Debatte geführt, ob man eine allgemeine Impfpflicht einführen soll. Im 19. Jahrhundert war das ein zentrales Thema, das im Herrscherhaus ständig hin und her gegangen ist.

Welche Haltung hatte Maria Theresia?

Angetter-Pfeiffer: Sie setzte auf Freiwilligkeit und Motivation. Sie schrieb auch ihre Verwandten direkt an, dass sie sich impfen lassen sollen. Gleichzeitig hat sie immer wieder darüber nachgedacht, ob es die richtige Maßnahme ist. Die hygienischen Verhältnisse waren problematisch, man hat mit der Impfung oft auch Syphilis übertragen. Sie hat sich mit Experten aus aller Welt ausgetauscht – und darauf verlassen, was diese sagen.

1948 wurde die Impfpflicht gegen Pocken eingeführt.

Impfpgegner setzten schon vor Corona auf Fake News

Es gab Diskussionen im Kaiserhaus um die Impfpflicht?

Angetter-Pfeiffer: Im 19. Jahrhundert war das ein internationales Thema. Wenn man von Österreich nach Bayern fahren wollte, musste man gegen Pocken geimpft sein. Von Bayern nach Österreich aber nicht. Es war genauso chaotisch wie heute. Jedes Land hatte eigene Meinungen, das Impfen war schon damals föderalistisch. Besonders Tirol war gegen eine Impfpflicht. Der Volksaufstand unter Andreas Hofer 1809 stand auch unter dem Motto „Gegen eine Impfpflicht“. Man hatte Angst, wenn die bayerische Herrschaft nach Tirol kommt, dass die Impfpflicht mitgebracht wird. In der katholischen Kirche gab es den Kapuziner-Pater Johann Hassinger, der die Impfung als Teufelszeug abgetan hat. Er behauptete, mit der Impfung würde den Tirolern bayerisches Denken eingeimpft.

Besonders Tirol war gegen eine Impfpflicht. Der Kapuziner-Pater Joachim Haspinger hat die Impfung als Teufelszeug abgetan. Er behauptete, mit der Impfung würde den Tirolern bayerisches Denken eingeimpft.

Impfgegner/innen haben also auch damals schon auf Fake News gesetzt?

Angetter-Pfeiffer: Ja, und es kam auch regelmäßig zu heftigen Auseinandersetzungen. 1907 gab es, über hundert Jahre nach Einführung der Kuhpocken-Impfung, im Wiener Rathaus eine Schlägerei zwischen Impfgegnern und Impfbefürwortern. Im „Neuen Wiener Journal“ gibt es Beschreibungen, wie mit Sesseln und Stöcken geworfen wurde. Letztendlich hat die Polizei diese Versammlung gewaltsam aufgelöst.

Verschwörungstheorien zu COVID-19 in trauriger Tradition

Wann wurde die Impfpflicht eingeführt?

Angetter-Pfeiffer: In Österreich wurde die Impfpflicht gegen Pocken 1948 eingeführt. Es kursiert aber auch immer wieder das Jahr 1938: Damals galt das Reichsdeutsche Gesetz auch in Österreich. Die Nationalsozialisten standen der Impfung aber ambivalent gegenüber. Es wurde immer wieder behauptet, dass die Impfpflicht und das Impfen von jüdischer Seite aufoktroyiert würde, dass die Juden damit Geld verdienen wollten. Viele der Verschwörungstheorien, die man heute bei Demonstrant/innen hört, haben also eine traurige Tradition. 

 

AUF EINEN BLICK

Daniela Angetter ist Historikerin und Literaturwissenschaftlerin. Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig. Zudem ist sie Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Geschichte der Medizin der Kommission für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften der ÖAW. 2021 erschien von ihr das Buch „Pandemie sei Dank!“ im Amalthea Verlag.