08.03.2019

Holocaustforschung: Nur die Geigen sind geblieben

Alma und Arnold Rosé prägten das österreichische Musik- und Wiener Gesellschaftsleben. Mit dem „Anschluss“ 1938 wurden ihre Karrieren jäh beendet. Die ÖAW-Historikerin Michaela Raggam-Blesch gestaltete mit Kolleginnen die erste Wechselausstellung im Haus der Geschichte Österreich, die sich dem Leben der Stargeiger widmet.

© Haus der Geschichte Österreich/Markus Guschelbauer

Arnold Rosé war über 50 Jahre lang Konzertmeister des Hofopernorchesters, Mitglied der Wiener Philharmoniker und Gründer des renommierten Rosé-Quartetts. Seiner Tochter Alma Rosé, 1906 in Wien geboren, wurde die Musik in die Wiege gelegt. Ihre Mutter Justine war die Schwester Gustav Mahlers und von ihrer Tante Alma Mahler-Werfel erhielt sie den Vornamen. Als weltberühmte Geigerin und Gründerin des Damenorchesters „Die Wiener Walzermädeln“ tourte Alma Rosé durch die Konzertsäle Europas.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1938 wurden ihre Karrieren abrupt beendet: Bereits eine Woche nach dem „Anschluss“ wurde Arnold Rosé als Konzertmeister außer Dienst gestellt, die „Walzermädeln“ wurden von der Reichskulturkammer aufgelöst. Alma Rosé wurde 1943 nach Auschwitz deportiert, wo sie bis zu ihrem Tod am 5. April 1944 als Leiterin des Frauenorchesters jüdischen Musikerinnen das Leben rettete. Ihr Vater Arnold Rosé starb 1946 im Londoner Exil.

In Österreich waren die beiden Musiker/innen lange vergessen. Nun widmet das Haus der Geschichte (hdgö) unter dem Titel „Nur die Geigen sind geblieben“noch bis 12. Mai 2019 seine erste Wechselausstellung dem Leben von Alma und Arnold Rosé. Kuratiert wurde die Schau von hdgö-Direktorin Monika Sommer mit Heidemarie Uhl und Michaela Raggam-Blesch vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Die Ausstellung „Nur die Geigen sind geblieben“ dokumentiert das Leben des außergewöhnlichen Vater-Tochter-Duos Arnold und Alma Rosé. Inwiefern stand Alma im Schatten ihres Vaters?

Michaela Raggam-Blesch: Für Alma Rosé war es natürlich schwierig in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Bei ihrem Debüt im Wiener Musikverein spielte sie mit 20 Jahren ein sehr ambitioniertes Programm. Auf der Titelseite der „Neuen Freien Presse“ stand tags darauf: „Es war ein Triumph für Arnold Rosé“. Das ist bezeichnend: Sie wurde immer als die Tochter von Arnold Rosé oder als Nichte von Gustav Mahler gesehen. 1930 heiratete sie dann den tschechischen Starviolinisten Váša Příhoda. Beide waren sehr ambitioniert und strebten eine Solokarriere an. Aber: Alma hat es aus eigener Kraft geschafft, sich einen Namen zu machen – und aus dem Schatten dieser berühmten Männer zu treten.

Alma hat es aus eigener Kraft geschafft, sich einen Namen zu machen – und aus dem Schatten berühmter Männer zu treten.

Entscheidend dafür war die Gründung der „Wiener Walzermädeln“?

Raggam-Blesch: Die Gründung der Walzermädeln war ein Befreiungsschlag. Damit hatte sie für sich etwas völlig Neues geschaffen. Und sie war unheimlich geschickt in der Vermarktung. Auf die Gründung folgte eine gut gebuchte Tournee, die in Deutschland begann. Kurz nach der Machtergreifung Hitlers spielten sie im Frühjahr 1933 vier Wochen lang in Berlin – mit großem Erfolg. Sogar der „Völkische Beobachter“ fand damals lobende Worte.

In der Ausstellung erzählen sie das Leben der Rosés auf Notenständern, die wie für ein unsichtbares Orchester arrangiert sind. Inwiefern bilden die Geigen der beiden Musiker den Ausgangspunkt der Ausstellung?

Raggam-Blesch: Arnold und Alma Rosé fühlten sich sehr verbunden mit ihren Instrumenten. Alma besaß bis zu ihrer Flucht eine kostbare Guadagnini, Arnold spielte eine Stradivari. Anhand der Geigen lassen sich auch die Stationen ihres Lebens erzählen.

Bevor Alma aus den Niederlanden nach Frankreich flüchten musste, hatte sie ihrem damaligen Geliebten ihre Geige überlassen mit der Notiz: „Darf nicht verloren gehen“.

Ein Beispiel: Mit der Flucht aus Wien stand Arnold Rosé plötzlich ohne Einkommen da. Im Londoner Exil war er von Almosen abhängig. In Briefen raten ihm berühmte Freunde wie Bruno Walter, die Stradivari zu verkaufen. Alma Rosé war alarmiert. Um sicherzustellen, dass ihr Vater die Geige nicht verkauft, nahm sie sogar die Papiere in die Niederlande mit. Wahrscheinlich dachte sie, wenn ihr Vater die Geige verkaufe, dann gebe er gewissermaßen auch sein Leben auf. Oder: Bevor Alma aus den Niederlanden nach Frankreich flüchten musste, hatte sie ihrem damaligen Geliebten ihre Geige überlassen mit der Notiz: „Darf nicht verloren gehen“. Dieser Wunsch ging auch in Erfüllung. Die Geigen werden bis heute noch von prominenten Musiker/innen gespielt. Auch auf Initiative der Wiener Philharmoniker hat die Österreichische Nationalbank 2005 die Stradivari gekauft.

Aus welchen Gründen verließ Alma Rosé 1939 das Londoner Exil?

Raggam-Blesch: Im Zuge unserer Recherche haben wir einen Zeitungsausschnitt gefunden, mit einem Foto von Arnold und Alma, wo angekündigt wurde, dass die beiden jetzt in London sind. Sie waren bekannt und in einer privilegierten Position im Vergleich zu vielen anderen Flüchtlingen. Und obwohl Arturo Toscanini und Bruno Walter Geld für sie sammelten, war es sehr schwierig den Lebensunterhalt zu bestreiten. Alma Rosé erhielt ein Angebot aus den Niederlanden. Als Musikerin war es eine legitime Entscheidung diesem Engagement zu folgen. Im Dezember 1939 verlässt sie Großbritannien und reist in die Niederlande, obwohl sie in London schon in Sicherheit gewesen wäre. Aber zur damaligen Zeit konnte man das nicht wissen.

Als Dirigentin des Frauenorchesters in Auschwitz-Birkenau rettet Alma Rosé einem Großteil ihrer Musikerinnen das Leben. Sie selbst überlebt das KZ nicht.

Am Anfang hat es in den Niederlanden auch gut geklappt. Deshalb hatte sie ihre Rückreisebewilligung auslaufen lassen. Doch im Mai 1940 marschieren deutsche Truppen ein und sie sitzt in der Falle. Sie spielt bei Hauskonzerten, weil es Juden und Jüdinnen nicht mehr erlaubt ist, öffentlich aufzutreten. Als sich 1941 das Netz immer mehr zusammenzieht, geht sie eine Scheinehe ein, um sich zu schützen. Ihr Bruder Alfred, der in den USA lebt, besorgt ihr eine Einreisegenehmigung. Doch sie hat keine Möglichkeit mehr an die Papiere heranzukommen, weil die Konsulate geschlossen werden. Sie versucht über Frankreich in die Schweiz zu flüchten, wird aber verhaftet und von Frankreich nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort wird sie als Musikerin erkannt und kommt in die Position als Dirigentin des Frauenorchesters, wo sie dem Großteil ihrer Musikerinnen das Leben retten kann. Sie selbst überlebt das KZ nicht.

Warum war die Geschichte der Rosés lange Zeit so wenig bekannt?

Raggam-Blesch: Arnold und Alma Rosé gehörten zur Wiener Musikprominenz über die vor 1938 viel berichtet wurde. Dass jemand wie Arnold Rosé derart in Vergessenheit geraten konnte, ist tatsächlich erstaunlich. Er war ein musikalisches Wunderkind. Über 50 Jahre lang war er Erster Konzertmeister, höchstgeehrter Musiker der Wiener Philharmoniker und ungemein wichtig für das österreichische Musikleben. Aber: Es gab in den letzten Jahren kleine Initiativen gegen das Vergessen.

Viele Überlebende haben sich engagiert und das Gedenken an Alma Rosé hochgehalten.

Welche waren das?

Raggam-Blesch: Ganz wichtig war natürlich, dass mit dem Buch von Fritz Trümpi und Bernadette Mayrhofer 2014 die Geschichte der Philharmoniker aufgearbeitet wurde. Darin wurde auch auf die Bedeutung von Arnold Rosé verwiesen. Die Rolle von Alma Rosé im Frauenorchester von Auschwitz-Birkenau wurde in der Holocaustforschung rezipiert. Viele Überlebende haben sich engagiert und das Gedenken an Alma Rosé hochgehalten. Anita Lasker-Wallfisch in London und Hilde Grünbaum Zimche in Israel zum Beispiel, beide waren Mitglieder des Frauenorchesters im KZ. In Österreich gab es bisher jedoch wenig Erinnerungsarbeit. 1969 wurde eine Gasse in der Per-Albin-Hansson Siedlung nach ihr benannt.

Mit der Eröffnung des Hauses der Geschichte Österreich bekam die Ausstellungsfläche im ersten Stock der Neuen Burg den Namen „Alma Rosé Plateau“.

Raggam-Blesch: Für Zeitzeuginnen wie Anita Lasker-Wallfisch hat die Umbenennung des Plateaus in der Neuen Burg eine große Bedeutung. Mit der Umbenennung wird der Altan kontextualisiert, jener Balkon von dem Adolf Hitler am 15. März 1938 den „Anschluss“ verkündete. Das ist auch für die Geschichte Österreichs ein wichtiges und starkes Zeichen.

 

Michaela Raggam-Blesch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW. Sie studierte Geschichte und Erziehungswissenschaften an der Universität Graz und war DOC- und APART-Stipendiatin der ÖAW. Seit 2017 ist sie Elise Richter Stipendiatin des FWF mit einem Habilitationsprojekt zum Alltag und den Verfolgungserfahrungen von Frauen und Männern „halbjüdischer“ Herkunft im nationalsozialistischen Wien.

Die Ausstellung „Nur die Geigen sind geblieben“ ist noch bis 12. Mai 2019 im Haus der Geschichte Österreich (Neue Burg, Heldenplatz, 1010 Wien) zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr, Donnerstag 10 – 21 Uhr.

Für die Kuratierung der Ausstellung sprachen die Forscherinnen mit Zeitzeug/innen und sichteten zahlreiche Originalquellen, wie Briefe und Fotos aus einem Archiv in Kanada, das den Nachlass von Alfred Rosé, Arnold Rosés Sohn, übernommen hat.

 

Infos zur Ausstellung

Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW