29.05.2019 | Anch-Hor

Grab-Recycling im Alten Ägypten

Särge wurden im Alten Ägypten nicht nur einmal benutzt. Das konnte ÖAW-Archäologin Julia Budka bei der Analyse einer Grabstätte in der Nähe von Luxor erneut belegen: Die Inschrift in einem gefundenen Sarg gibt nicht den Namen der darin liegenden Mumie wieder.

© Julia Budka

Denn wie ein mit Name und Titel versehenes kleines Holzstück, ein sogenanntes Mumientäfelchen, verrät, hat ein gewisser Wahibre knappe 250 Jahre nach der Erstnutzung den Sarg erworben und für sich selbst recycelt – ohne dabei die Texte und Inschriften des ersten Besitzers zu ändern.

Überraschungen wie diese lassen sich so manche erleben in der Grabanlage des Anch-Hor, der letzten Ruhestätte eines hohen altägyptischen Würdenträgers, der um 590 v. Chr. gelebt haben dürfte. Nahe dem berühmten Luxor gelegen widmen sich Julia Budka und ihr Team dort in einem Forschungsprojekt der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) der Auswertung aller bis dato gemachten – tausenden – Funde. Was sie dabei bisher entdecken konnte und welche Zukunftspläne sie für die weitere Erforschung dieser weitgehend von Grabräubern unberührten Stätte hat, erzählt Budka im Interview.

Worum geht es in Ihrem aktuellen Forschungsprojekt Anch-Hor in Ägypten?

Julia Budka: Das neue Anch-Hor-Projekt baut auf den österreichischen Grabungen in den frühen 1970er-Jahren im Asasif auf, einem Areal im Vorfeld des berühmten Terrassentempels der Königin Hatschepsut im heutigen Luxor. Dort wurde damals eine große Grabanlage des Anch-Hor, eines hohen Verwaltungsbeamten, entdeckt und freigelegt. Das damalige Team hat die Architektur studiert, die Reliefs dokumentiert und Mitte der 1980er-Jahre sind zwei tolle Bände zum Anch-Hor-Grab entstanden.

Aus dem Grab des Anch-Hor stammen tausende von Fragmenten und hunderte von Stücken, die jetzt unter die Lupe genommen werden.

Was diese Mission damals aber auch aus Zeitgründen noch nicht leisten konnte, war die Bearbeitung aller Funde. Damals lag der Fokus auf der Grabarchitektur und der Dekoration. Doch aus dem Grab des Anch-Hor stammen tausende von Fragmenten und hunderte von Stücken, die jetzt im neuen Projekt unter die Lupe genommen werden. Dieses widmet sich nämlich dem Fundmaterial. Wir bearbeiten Funde vom 6. Jahrhundert vor Christus bis zum 6. Jahrhundert nach Christus und überbrücken damit tausend Jahre Nutzungsgeschichte.

Sie erforschen das monumentale Familiengrab Anch-Hor mit über 250 Bestattungen. Warum ist die Untersuchung dieser Funde so wichtig für die Nutzungsgeschichte des Ortes?

Budka: Wir wissen durch ägyptische Texte, dass es wie bei Anch-Hor auch in anderen Gräbern massive Wiederbenutzung gegeben haben muss. Beim Anch-Hor-Grab ist vor allem die Fülle an Fundmaterial ein großer Bonus für unsere Untersuchungen. Bei anderen Gräbern wurde viel Material bei unwissenschaftlichen Raubzügen im 19. Jahrhundert geplündert. Anch-Hor hat hier sozusagen Glück gehabt. Bei der Ausgrabung in den 1970er-Jahren wurde eine intakte Grabkammer aus dem 4. Jahrhundert vor Christus entdeckt. Das ist bisweilen einzigartig.

Wir können Familienbeziehungen rekonstruieren und vieles mehr. Wir wissen zum Beispiel, dass es eine enge Verbindung der Priester des Haupttempels von Theben, von Karnak, zum Anch-Hor-Grab gab und wir sehen auch, wie stark dieses riesige Areal ins Alltagsleben der Menschen durch Feste und den Götterkult eingebunden war. Zudem werden viele Personen, die wir durch Statuen in den Tempelanlagen belegt haben, durch unsere Forschung greifbarer. Wir können sie und ihre Familienangehörigen besser datieren und ihr Leben somit besser rekonstruieren.

Und welche Erkenntnisse haben Sie bislang durch Ihre Arbeit gewonnen?

Budka: Faszinierend finde ich vor allem den Aspekt der Wiederbenutzung der Särge. Wir haben bei unserer Restaurierung ein Mumientäfelchen gefunden und den Torso einer männlichen Mumie. Bei unseren Forschungen haben wir gesehen, dass der Name der Mumie nicht mit den Inschriften aus dem Sarg übereinstimmt. Das ist wirklich spannend. Ich spiele mit der Idee, dass andere Menschen samt Mumientäfelchen im 2. Jahrhundert vor Christus in die alten Särge gelegt wurden. Natürlich könnte unsere Entdeckung nur ein Einzelfall sein. Aber das glaube ich kaum.

Wir haben bei unserer Restaurierung ein Mumientäfelchen gefunden und eine männliche Mumie. Doch der Name der Mumie stimmt nicht mit den Inschriften aus dem Sarg überein.

Ein interessanter Befund ist auch der Kult-Hof im Grab. Wir nennen ihn Lichthof, weil er nach oben hin offen ist. Dort haben wir verschiedene Einrichtungen für den Kult gefunden, darunter auch eine große Opferplatte für Anch-Hor selbst. Direkt darauf hat jedoch der erste Nachnutzer der Anlage gute 200 Jahre später eine eigene kleine Opferplatte gelegt. Das sind schöne Details, die beweisen, dass die Nachnutzung sehr bewusst unter der Einbeziehung der Erstnutzung stattgefunden hat.

Was sind die Zukunftspläne für die Erforschung des Anch-Hor-Grabes?

Budka: Wir werden noch etwa drei bis fünf Jahre brauchen, um das gesamte Material zu sichten und zu dokumentieren. Dies würde dann in eine oder eher zwei Monographien münden. Angedacht ist auch eine Online-Datenbank für die Verlinkung mit den einzelnen Museen in Turin, Paris oder London, bei denen sich einige Objekte des Grabes befinden.

Mein persönlicher Wunsch wäre es, zuerst die Altgrabungen abzuschließen und dann gezielt mit Neugrabungen in dem Gebiet zu beginnen. Denn hier habe ich große Hoffnungen, dass auch die umliegenden Grabanlagen sehr gut erhalten sein müssten. Das gesamte Areal hat eine Nutzungszeit von über 2.000 Jahren. Es wäre fantastisch, wenn wir andere Gräber untersuchen, und in Beziehung zum Anch-Hor-Grab setzen könnten.

 

Julia Budka ist Ägyptologin.Sie forscht am Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der ÖAW und ist Professorin für Ägyptische Archäologie und Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2019 wurde sie zum korrespondierenden Mitglied der ÖAW gewählt.

Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der ÖAW