06.08.2018

GLOBALISIERUNG IM ZEITRAFFER

Eine chinesische Grenzregion hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte vom ländlichen Gebiet zum boomenden Handels- und Tourismuszentrum verwandelt. Der ÖAW-Sozialanthropologe Roger Casas untersucht, wie sich dort die Globalisierung im Schnelldurchlauf ereignet.

Buddhistische Mönche in Jinghong, der Hauptstadt Sipsongpannas © WikimediaCommons/CC/Panoramio

Im Südwesten Chinas befindet sich Sipsongpanna. In Europa sagt die subtropische Region bisher nur wenigen etwas. Doch das könnte sich ändern. Denn Sipsongpanna boomt. Als Teil seiner Seidenstraßeninitiative investiert Peking massiv in die Gegend an der Grenze zu Myanmar und Laos. „In den letzten dreißig Jahren hat sich Sipsongpanna dadurch von einem ländlichen Gebiet in ein Handelszentrum und eine Touristendestination verwandelt“, sagt Roger Casas vom Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Casas interessiert sich in seiner Forschung dafür, wie sich die Transformation auf die Menschen in Sipsongpanna auswirkt und welche Dynamik das Zusammenspiel von buddhistischer Religion, Wirtschaft und Geschlechterrollen durch den rasanten Wandel erhält. Denn was sich in Sipsongpanna wie im Zeitraffer beobachten lässt, ist, wie die Globalisierung eine ganze Region in kurzer Zeit verändern kann.

Sie untersuchen die schnelle Transformation der multi-ethnischen Region Sipsongpanna. Wie hat sich die Region entwickelt?

Roger Casas: Für Jahrhunderte war die Region Sipsongpanna das Zentrum des regionalen Austausches. Heutzutage fließen private und öffentliche Gelder in diese Region, als Teil der chinesischen „One Belt, one Road“-Initiative. Mit dieser Initiative will China Milliarden in die Neue Seidenstraße investieren. In den letzten dreißig Jahren hat sich Sipsongpanna dadurch von einem ländlichen Gebiet in ein Handelszentrum und eine Touristendestination verwandelt, die alle Arten moderner Einrichtungen anbietet. Die buddhistischen Tempel und die praktizierenden Buddhisten sind zwar immer noch da, aber sie gehören mittlerweile zu einer Minderheit, die heute neben hunderttausenden Han-Chinesen in der Region lebt, die vom Osten des Landes nach Sipsongpanna gekommen sind. Diese kontrollieren auch die lokale Wirtschaft.

Im Zentrum ihres Forschungsprojekts stehen Buddhismus, Wirtschaft und Gender. Wie beeinflussen sich diese Bereiche gegenseitig? 

Casas: Eine Besonderheit ist zum Beispiel, dass in Sipsongpanna nur Männer als Mönche dienen können. Denn das Mönchswesen wird in dieser Kultur als Disziplin der Männer angesehen, ebenso als Weg zum „Mann werden“ und bleibt den Frauen daher vorenthalten. Bei meinen Forschungen untersuche ich etwa, wie sich die traditionelle Dominanz der Männer im öffentlichen Leben und die Dominanz der Frauen im privaten Bereich, das heißt im Haushalt, entwickelt haben. Natürlich sind diese Untersuchungen eingebettet in den heutigen Kontext des Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften.

 

„Die lokale religiöse „Elite“, bestehend aus buddhistischen Mönchen, wurde quasi eingetauscht durch eine neue Elite der Han-Chinesen, die sich als Unternehmer in der Region niedergelassen haben.“

 

In der traditionellen Wirtschaft haben Frauen in Sipsongpanna durchaus eine wichtige Rolle gespielt. Ändert sich diese Rolle gerade?

Casas: Frauen waren neben den Haushaltstätigkeiten auch zuständig für den lokalen Handel. Ihre Position war sogar sehr mächtig, weil sie das Recht hatten Land und Häuser zu besitzen. Männer haben sich hingegen in das prestigeträchtige Mönchswesen zurückgezogen. Dies ändert sich heute sehr stark unter dem Einfluss der modernen Marktwirtschaft. Die lokale religiöse „Elite“, bestehend aus buddhistischen Mönchen, wurde quasi eingetauscht durch eine neue Elite der Han-Chinesen, die sich als Unternehmer in der Region niedergelassen haben. Für Frauen gab es hingegen eine Verbesserung. Sie profitieren mit ihrem Besitz von Haus und Land ebenso von der Marktwirtschaft. Die Elite ist jedoch immer noch männlich.

Wie sind Sie als Sozialanthropologe eigentlich zu diesem Projekt gekommen?

Casas: Ich habe Sipsongpanna etwa vor 15 Jahren zum ersten Mal bereist, als ich in China und Südostasien unterwegs war. Und ich war sofort begeistert von der Kultur und den Menschen. Die Gastfreundschaft ist gleich geblieben, aber die Region hat sich seitdem stark verändert. Sipsongpanna erlebt gerade die Auswirkungen dieser Veränderungen, wie einen erweiterten und vernetzten Markt. Das sind Prozesse, denen sich zum Beispiel Europa bereits vor Jahrzehnten gestellt hat. Viele dieser Prozesse laufen gerade gleichzeitig ab, Säkularisierung, Urbanisierung oder auch Denkmalpflege sind nur einige davon.

 

„Viele Prozesse, denen sich Europa bereits vor Jahrzehnten gestellt hat, laufen gerade gleichzeitig ab, etwa Säkularisierung und Urbanisierung.“

 

Wie sieht die Zukunft von Religion, Wirtschaft und Gender in Sipsongpanna aus?

Casas: Diese drei Bereiche sind in einer konstanten Interaktion und heute werden ihre Beziehungen quasi neu durchmischt. In meinen Forschungen versuche ich die Dynamik der Macht zu verstehen, die sich im Wechselspiel dieser drei Bereiche immer wieder von neuem zeigt. Ich konzentriere mich dabei auch auf Minderheiten und Mehrheiten in politischen Prozessen verschiedener Gruppen in Sipsongpanna.

Eine entscheidende Frage – die sich der chinesische Staat noch nicht gestellt hat – ist übrigens auch, wie der Buddhismus die ökonomischen Entwicklungen in der Region unterstützen könnte. Da Sipsongpanna ein zentraler Anlaufpunkt für Tourist/innen ist, könnte diese Frage, wie man Tradition und Religion in der modernen Welt aufrecht erhält für die Zukunft immer wichtiger werden.

 

Roger Casas forscht als PostDoc am Institut für Sozialanthropologie der ÖAW in Wien. Zuvor war er an der Australian National University in Canberra tätig, wo er auch promovierte. Studien- und Forschungsaufenthalte führten ihn u.a. an die Universität Chiang Mai in Thailand und die Universität Peking. In der Region Sipsongpanna koordinierte über zwei Jahre das Projekt “Cultural Survival and Revival in the Buddhist Sangha“ der UNESCO.

Mit den Grenzregionen im Süden Chinas befasste sich im Juni 2018 auch ein internationaler Workshop am Institut für Sozialanthropologie unter dem Titel „Modernity, Mobility and Gender in the Upper Mekong Region“