19.04.2016

Gerald Holton wird Ehrenmitglied der Akademie

Der 1938 aus Wien vertriebene Physiker und Wissenschaftshistoriker hat über Kontinente hinweg Wesentliches für die Forschung und die Vermittlung der österreichischen Wissenschaftstradition geleistet.

Bild: STANDARD/Peter Illetschko
Bild: STANDARD/Peter Illetschko

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) begrüßt einen außergewöhnlichen Wissenschaftler in ihren Reihen: Der US-amerikanische Physiker und Wissenschaftshistoriker Gerald Holton wird als Ehrenmitglied der Gesamtakademie aufgenommen. Der ursprünglich aus Wien stammende Holton gilt als einer der führenden Vertreter der Hochdruckphysik sowie der Geschichte und Philosophie der Naturwissenschaften. Mit der Wahl zum Ehrenmitglied würdigt die ÖAW sein vielfältiges wie beeindruckendes Lebenswerk, das mit der Vertreibung aus Österreich eine entscheidende Wende erfuhr.

Zwei Welten

Der im Jahr 1922 geborene Holton besuchte im Wien der Zwischenkriegszeit das humanistische Maximilians-Gymnasium, das ihn, wie er später betonte, nicht nur in Berührung mit den Naturwissenschaften brachte, sondern auch mit mehreren Sprachen, Geschichte und weiteren Geisteswissenschaften. Diese Kombination von oft getrennt betrachteten Wissenschaftszweigen sollte bezeichnend für Holtons späteres wissenschaftliches Wirken werden.

Als der Österreicher jüdischer Abstammung mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1938 flüchten musste, ließ er nicht nur seine Heimatstadt Wien hinter sich, sondern auch den Lebensentwurf seines Vaters, der für ihn eine Zukunft als Jurist vorgesehen hatte. Stattdessen setzte Holton nach seiner Emigration zunächst im britischen Oxford seine Ausbildung fort, wo er einen Abschluss in Elektrotechnik erwarb. Ab 1943 studierte er dann Physik an der Harvard University. Dort promovierte er bei Percy Williams Bridgman, der 1946 den Nobelpreis für Physik erhielt.

Harvard sollte Holtons neue wissenschaftliche Heimat bleiben. Hier, wo er sich anfangs ein Büro mit dem ebenfalls vor den Nazis geflüchteten österreichischen Physiker und Philosophen Philipp Frank teilte, wurde er zunächst Assistent, später Forschungsprofessor für Physik und Wissenschaftsgeschichte. Mit zahlreichen Arbeiten auf dem Gebiet der Hochdruckphysik sowie zur Geschichte und Philosophie naturwissenschaftlicher Forschung erlangte er in der Folge weltweite Anerkennung. Höchstrangige Auszeichnungen, von der Mitgliedschaft in der American Physical Society bis hin zur Aufnahme in die American Philosophical Society, belegen Holtons Reputation und seinen Status als herausragender Forscher in zwei wissenschaftlichen Welten.

Botschafter der Wissenschaften

Seit Jahrzehnten wirkt Holton nicht nur als Forscher sondern auch als Botschafter der Wissenschaften. So konnte er als akademischer Lehrer neue Perspektiven auf die Entwicklung der modernen Wissenschaften in ihrem gesellschaftlichen Kontext vermitteln und hielt, etwa mit der Förderung des Wiener Kreises in den USA, die österreichische Wissenschaftstradition in Erinnerung. Noch heute forscht Holton zu den wissenschaftlichen Anstößen, die insbesondere von Ernst Mach ausgingen und in seiner Nachfolge von Wien und Österreich in die ganze Welt ausstrahlten.

Neben Vorträgen und Buchpublikationen für eine breite Öffentlichkeit, darunter das 2008 gemeinsam mit Gerhard Sonnert publizierte „Was geschah mit den Kindern?“ über junge Menschen, die vor den Nazis flüchten mussten, wirkte Holton auch als Ko-Produzent von Wissenschaftsfilmen wie „The World of Enrico Fermi“, eine Dokumentation über den Kernphysiker und Nobelpreisträger.

Für seine Leistungen in den und für die Wissenschaften wurde Holton schließlich auch von Österreich, jenem Land, das er einst gezwungen war zu verlassen, ausgezeichnet. 2008 erhielt er das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften ist dankbar, dass Gerald Holton nun die Ehrenmitgliedschaft mit großer Freude angenommen hat.