14.04.2016

Fortpflanzungsstress in Zellen: DNA-Reparatur schafft Abhilfe

Bei der Zellteilung kommt es immer wieder zu DNA-Schäden, sie zu reparieren ist für jeden Organismus lebensnotwendig. Wissenschaftler/innen am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben nun die Mechanismen aufgeklärt, die das Erbgut während der Zellteilung intakt halten. Ihre in „Cell Reports“ veröffentlichte Studie könnte neue Ansatzpunkte für die Krebs- und Alzheimertherapie bieten.

(©CeMM Research Center for Molecular Medicine of the Austrian Academy of Science, Abdruck honorarfrei): Bindegewebszellen der Maus, für 24 Stunden mit Aphidicolin behandelt (Induziert Fortpflanzungsstress). Rot gefärbt: Cytoskellet. Grüne (=gelbe, wenn mit rot überlappende) Färbung: Von ATMIN verändertes Protein CRMP2, das bei Alzheimer auf dieselbe Art verändert wird.

Sich zu vermehren bedeutet Stress. Was allen Eltern bekannt sein dürfte, gilt auch für die kleinste Einheit des Lebens - die Zelle. Sie pflanzt sich fort, indem sie sich teilt. Dazu muss sie zunächst ihr komplettes Erbgut verdoppeln: Milliarden genetischer Buchstaben werden kopiert, was immer wieder zu Schäden an den riesigen DNA Molekülen führt – die Zelle steht unter „Fortpflanzungsstress“. Joanna Loizou, Forschungsgruppenleiterin am CeMM der ÖAW, konnte nun in internationaler Kollaboration bisher unbekannte Mechanismen aufklären, die Zellen vor diesen Schäden schützen.

Damit die Doppelhelix der DNA kopiert werden kann, wird ihre verdrehte Strickleiterstruktur zunächst entwunden und anschließend an den Sprossen aufgeschnitten. Beide Einzelstränge werden schließlich durch einen neu hergestellten, gegenüberliegenden Strang ergänzt – das Resultat sind zwei neue, vollständig identische Doppelstränge. Zellen sind wahre Meister in diesem Prozess: Manche schaffen es, die insgesamt fast zwei Meter langen DNA-Stränge in wenigen Stunden zu verdoppeln. Doch es ist ein hochkomplexer Vorgang, an dem viele verschiedene Moleküle beteiligt sind - und er läuft nicht immer reibungslos ab.

„Das Aufspalten der DNA in zwei Einzelstränge - die Bildung der sogenannten ‚Replikationsgabel‘ - gerät häufig ins Stocken“, erklärt Joanna Loizou. „In dieser Phase ist die DNA besonders empfindlich und kann leicht brechen, für die Zelle bedeutet das Stress. Eine ganze Reihe an Mechanismen steht deshalb parat, um eventuelle Schäden möglichst schnell zu reparieren.“ Unzählige verschiedener Moleküle sind an solchen Reparaturen beteiligt, doch gesteuert werden sie nur von wenigen Proteinen, den sogenannten „Kinasen“. Sie lösen komplexe Kaskaden biochemischer Reaktion aus, von denen noch längst nicht alle verstanden sind.

Eine dieser Kinasen hat Loizou daher in ihrer Arbeit genauer unter die Lupe genommen: ATM, eine Kinase, die eigentlich für andere DNA-Reparaturprozesse bekannt ist, offenbarte in vorangegangenen Experimenten, dass sie auch während der Zellteilung eine entscheidende Rolle spielt. Das nahm die Wissenschaftlerin zum Anlass, in einer großangelegten Studie die genauen Reaktionswege von ATM und seinem Aktivierungsprotein, ATMIN, nachzuzeichnen. Mit durchschlagendem Erfolg: „Wir konnten erstmals den vollständigen Mechanismus dieser wichtigen Kinase aufklären“, sagt Joanna Loizou.

Für ihre Studie verglich die Wissenschaftlerin mit ihrem Projektteam sowohl den vollständigen RNA-Satz – und damit die Genaktivität – als auch alle Proteine aus mutierten Zellen, denen das Gen für ATM oder dessen Aktivierungsprotein ATMIN fehlt, mit RNA und Proteinen von normalen Zellen. Solche Hochdurchsatzanalysen sind ein Spezialgebiet des CeMM, das durch die enge Zusammenarbeit und vielfältigen Expertisen seiner Arbeitsgruppen die Entwicklung einer personalisierten Medizin vorantreibt. „Mit diesen großen, vollständigen Datensätzen konnten wir die Funktionsweise von ATM sehr unverfälscht untersuchen, das war ein großer Vorteil für unsere Arbeit“, betont Loizou. „Die so gewonnen Erkenntnisse könnten neue Ansatzpunkte im Kampf gegen Krebs oder Alzheimer liefern“.

Krebszellen teilen sich extrem schnell und sind daher besonders auf die Reparaturmechanismen angewiesen – das macht die Reaktionspartner von ATM und ATMIN zu attraktiven Angriffspunkten für einen Wirkstoff. Auch bei Alzheimer könnten sie eine Rolle spielen: „Wir haben herausgefunden, dass durch ATMIN ein Protein (CRMP2) chemisch auf die gleiche Art verändert wird, wie wir es auch in den Nervenzellen von Alzheimerpatienten beobachten“, erklärt Loizou. „Und es ist bekannt, dass neurodegenerative Erkrankungen oft mit einer Anhäufung von DNA-Schäden im Gehirn einhergehen. Das stellt eine interessante Verbindung zwischen ATMIN und Alzheimer her, die man in Zukunft vielleicht therapeutisch nutzen kann“. Sie erhofft sich in Zukunft mit ihrer experimentellen Methode noch weitere Schlüsselmoleküle zu finden, die bei Fortpflanzungsstress in Zellen aktiv werden.

Die Studie wurde vom Wissenschaftsfonds (FWF) sowie einem DOC Fellowship der ÖAW gefördert. Die Loizou Gruppe wird von einem Marie-Curie Career Integration Grant unterstützt.

 

Publikation:
A Comprehensive Analysis

of the Dynamic Response to Aphidicolin-Mediated Replication Stress

Uncovers Targets for ATM and ATMIN. Abdelghani Mazouzi, Alexey Stukalov,

André C. Müller, Doris Chen, Marc Wiedner, Jana Prochazkova, Shih-Chieh

Chiang, Michael Schuster, Florian P. Breitwieser, Andreas Pichlmair,

Sherif F. El-Khamisy, Christoph Bock, Robert Kralovics, Jacques Colinge,

Keiryn L. Bennett and Joanna I. Loizou. Cell Reports, 2016

Rückfragehinweis:
Mag. Wolfgang Däuble
Media Relations Manager
CeMM Research Center for Molecular Medicine of the Austrian Academy of Sciences
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