02.12.2021 | Schwangerschaft

Embryonenmodelle ebnen Weg zu neuen Methoden der Geburtenkontrolle

Die Möglichkeit, Zellmodelle im Reagenzglas das machen zu lassen, was menschliche Embryonen normalerweise im Mutterleib tun, eröffnet neue Wege zur Verbesserung der In-vitro-Fertilisationsverfahren (IVF) und zur Entwicklung verträglicherer Verhütungsmittel.

Das Team von Nicolas Rivron forscht mit Blastoiden, einer ethischen Alternative zu Tieren oder menschlichen Embryonen. © IMBA/ÖAW

Hormonelle Verhütungsmittel werden seit langem eingesetzt und funktionieren bei vielen Frauen. Sie haben jedoch mitunter beträchtliche Nebenwirkungen, und ihre Wirksamkeit lässt nach, wenn sie nicht täglich eingenommen werden. Viele Brustkrebspatientinnen können zudem nicht mit Hormonen behandelt werden.

Mit Hilfe von sogenannten Blastoiden identifizierte Nicolas Rivron, Gruppenleiter am IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Moleküle, die sowohl als Verhütungsmittel als auch als Fruchtbarkeitsförderer in Frage kommen. Blastoide sind zelluläre Modelle von menschlichen Embryonen im Frühstadium. Nicolas Rivron: „Wir möchten die Familienplanung einfacher machen und sie an die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen anpassen.“

Molekül könnte zukünftig hormonfreie Verhütung ermöglichen

Mit SC144, einem Molekül mit Zulassung durch die Food and Drug Administration, der US-Behörde für Arznei- und Lebensmittelsicherheit, hat Rivrons Team am IMBA der ÖAW in Wien einen vielversprechenden Weg für eine neue Generation von nicht-hormonellen Verhütungsmitteln gefunden. Diese Verhütungspillen könnten bei Bedarf eingenommen werden. Dadurch werden die Belastung und der Stress, der täglichen Einnahme verringert. Dass die Frau die Pille in diesem Szenario nur gelegentlich einnehmen muss, könnte auch zu deutlich weniger Nebenwirkungen im Vergleich zu einer täglichen Hormonpille führen.

Wie die Forschenden nun im Wissenschaftsjournal Nature berichten, gelang es, menschliche Stammzellen zu stimulieren, sich effizient in realistische Modelle der frühesten Stadien der Embryonalentwicklung zu verwandeln. Diese In-vitro-Modelle –Blastoide genannt – ermöglichten es den Forschenden, die Grundprinzipien der frühen menschlichen Entwicklung zu beobachten und nach neuen Therapeutika zu suchen. Die Blastoide wurden bis zu 13 Tage lang kultiviert und enthielten etwa 300 Zellen.

Ein Blastoid besteht aus drei Hauptzelltypen, die vor dem Einnistungsversuch gebildet werden: Epiblasten, aus denen sich der Embryo bilden würde; Trophoblasten, aus denen sich die Plazenta bilden würde; und Hypoblasten, die den Dottersack bilden würden.

Anhand dieser neu gebildeten menschlichen Blastoide haben Rivron und sein Team entdeckt, dass die Epiblasten molekulare Signale an die Trophoblasten senden, die eine Seite des Blastoids „klebrig“ machen. Werden die Blastoide auf Zellkulturen aus der menschlichen Gebärmutterschleimhaut abgelegt, landen sie auf ihrer klebrigen Seite und heften sich an die Zellkulturen an. In weiterer Folge setzen sie die ersten Entwicklungsschritte der Schwangerschaft fort. Das Forschungsteam entdeckte, dass SC144 diese Anheftung wirksam hemmt und die Einnistung verhindern kann. Damit weist es den Weg zu einer neuen Generation von Verhütungsmitteln.

Verbesserung der Erfolgsquote bei der In-vitro-Fertilisation

Neben der Wirkung von SC144 haben Nicolas Rivron und sein Forschungsteam mit Hilfe von Blastoiden eine neue Wirkung des natürlichen Moleküls LPA entdeckt. LPA verbessert die Selbstorganisation der Stammzellen stark und könnte somit die Bildung natürlicher Embryonen bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) fördern. Hilde Van de Velde von der Vrije Universiteit Brussel wartet derzeit auf die belgische Genehmigung, um mit der Erprobung dieses Moleküls in IVF-Verfahren beginnen zu können. „Wir planen LPA und andere Moleküle in naher Zukunft zu testen,“ sagt Van de Velde.

Die vom IMBA der ÖAW patentierten Technologien könnten das Verständnis der frühen Stadien der Schwangerschaft radikal verbessern. Nicolas Rivron dazu: „Wir hoffen, dass wir mit Hilfe dieser Moleküle die Anzahl und die Qualität der IVF-Embryonen und damit die Chance auf eine Schwangerschaft verbessern können.“ Er fügt hinzu: „Unser Ziel ist es, Frauen in die Lage zu versetzen, ihre Fruchtbarkeit besser zu kontrollieren, ob sie nun eine Schwangerschaft verhindern oder ihre Chancen auf ein Kind erhöhen wollen.“

Blastoide werden aus erwachsenen menschlichen Stammzellen gebildet und sind somit eine leistungsstarke ethische Alternative zur Verwendung befruchteter menschlicher Eizellen. ÖAW-Forscher Rivron prognostiziert: „Blastoide werden den Erkenntnisgewinn rasant beschleunigen.“

 

AUF EINEN BLICK

Publikation:
„Human blastoids model blastocyst development and implantation“, Javali Kagawa, Heidari Khoei, et al., Nature, 2021.
DOI: 10.1038/s41586-021-04267-8.