10.09.2015

Die Vermessung der Weltbevölkerung

Das ÖAW-Institut für Demographie feierte sein 40. Gründungsjubiläum und stellt die Weichen Richtung Zukunft.

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Ein behelfsmäßig eingerichtetes Büro im Look der 70er in der Neuen Burg in Wien. Ein Direktor, der zwar gründen soll, aber noch kein Budget hat. Und ein Forschungsplan, der zunächst ohne Forscher/innen auskommen muss: Es sind keine einfachen Verhältnisse, die im Jahr 1975 die Anfänge einer besonderen wissenschaftlichen Einrichtung prägen. 40 Jahre später sieht das freilich ganz anders aus. Denn was damals als „Institut für Demographie“ im denkbar kleinsten Maßstab begann, steht heute für einen modernen Forschungsbetrieb auf internationalem Niveau, der nicht nur dem Anspruch gerecht wird, ein globales wissenschaftliches Publikum zu erreichen, sondern auch, Antworten auf einige der drängendsten gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit zu finden.

„Vor 40 Jahren etablierte die ÖAW das Institut, weil man zu der Erkenntnis gelangt war, dass Demografie zählt“, erinnerte ÖAW-Vizepräsident Michael Alram bei der Festveranstaltung zum Geburtstag des Instituts am 9. September 2015 an die Gründungszeit. Tatsächlich wurde dem Institut für Demographie (Vienna Institute of Demography, VID) die Aufgabe, zu Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen beizutragen, bereits in die Wiege gelegt. Angesichts der in den 70er Jahren mit Sorge beobachteten sogenannten „Bevölkerungsexplosion“ in Schwellenländern und des plötzlichen Rückgangs der Geburtenrate in Europa wurde damals der Ruf nach wissenschaftlichen Entscheidungsgrundlagen laut. Eine Aufgabe, der sich das neu gegründete Institut – gemeinsam mit dem gleich alten World Population Program am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) – annahm. Mit Forschungen unter anderem zum Bevölkerungswachstum, zu Wechselwirkungen zwischen Population, Wirtschaft und Umwelt sowie zu Migration und Humankapital schuf man speziell für den österreichischen Raum wertvolles Grundlagenwissen.

Lokal global

Von einer Forschungseinrichtung, die 1977 ihren ersten Forscher einstellte, wuchs das Institut in den folgenden Jahrzehnten zu einer wissenschaftlichen Einrichtung mit heute knapp 40 Wissenschaftler/innen heran. Den anfänglichen Fokus auf die österreichische Demografie weitete es dabei insbesondere ab der Jahrtausendwende auf eine europäische und eine globale Dimension aus. Den Forscher/innen gelang es dabei, wichtige demografische Erkenntnisse zu gewinnen, die auch außerhalb Österreichs große Aufmerksamkeit erregten. Stets blieb dabei der Anspruch zentral, grundlegendes Wissen für die Gesellschaft zu schaffen. „Das VID forscht keineswegs nur, um Erkenntnisse für wissenschaftliche Journale zu produzieren“, betonte folglich VID-Direktor Wolfgang Lutz bei der Jubiläumsveranstaltung, „sondern auch, um zur Lösung von Problemen in der Welt beizutragen“.

So konkretisierten VID-Forschungen unter anderem, etwa am Beispiel Griechenlands, Zusammenhänge zwischen der Reproduktion einer Bevölkerung und ökonomischen Entwicklungen. Ferner wurden neue Erkenntnisse über das in Europa verbreitete Ideal einer Zwei-Kind-Familie zutage gefördert sowie Korrelationen zwischen der Bevölkerungsentwicklung und Bildung, Religion, als auch weiteren bis dahin vielfach vernachlässigten Faktoren festgestellt. Wissen, das nicht zuletzt von politischer Seite auf rege Nachfrage stößt, wie neben Familienministerin Sophie Karmasin auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer in seiner Festrede unterstrich: „Die demografischen Entwicklungen, die das VID analysiert, die Fakten und Zahlen, die es zutage fördert, sind von großer Bedeutung für unsere Politik.“

Auszeichnungen und eine Gründung

Die Anerkennung dieser Leistungen ließ nicht lange auf sich warten. Sie fand ihre Höhepunkte etwa in der Zuerkennung eines Starting Grants des Europäischen Forschungsrates an einen Gruppenleiter des VID sowie in der Verleihung des Wittgenstein Preises an Wolfgang Lutz im Jahr 2010. Der Preis bereitete der Gründung des Wittgenstein Centre durch IIASA, ÖAW und Wirtschaftsuniversität Wien (WU) den Weg, das heuer sein fünftes Jubiläum begeht.

Dass der Wissensdrang der Wissenschaftler/innen am VID mit diesen Erfolgen allerdings noch keineswegs gestillt ist, verdeutlichen jüngste Forschungen. So gingen im Vorjahr am VID gewonnene Ergebnisse zur internationalen Migration um die Welt. Die überraschendste Erkenntnis: International betrachtet blieb die Migration ungeachtet der fortschreitenden Globalisierung in Summe weitgehend konstant. Die einzigartige Visualisierung dieser Ergebnisse im Web verschaffte den Forschungen zusätzliche Aufmerksamkeit: Allein in den ersten zwölf Monaten verzeichnete die Website des Forschungsprojekts über eine halbe Million Zugriffe – aus 225 Ländern.

Um der demografischen Forschung eine ebenso ertragreiche Zukunft zu sichern erfolgten in jüngster Vergangenheit zudem weitere wichtige Weichenstellungen. So wurde die Anzahl der Forschungsgruppen seit 2009 auf heute sieben Bereiche erhöht, sodass inzwischen unter anderem auch die Themenfelder „Health and Mortality“, „Human Capital and Migration“ sowie „Human Capital Data Lab“ besetzt sind.

Räumliches Zusammenwachsen

Zum 40. Jubiläum der Demografie übersiedelte das VID nun in neue Räumlichkeiten am Campus der WU Wien, wo man sich mit der Abteilung Demografie und dem Human Capital and Development Institut der WU einen Neubau teilt. Für Christoph Badelt, Rektor der WU Wien, ist das räumliche Zusammenwachsen der ideale Nachweis dafür, dass Einrichtungen wie das VID  „auch in einem Alter, in dem man bereits vieles erreicht hat, mit unverminderter Kraft daran gehen können, die Probleme der Zukunft zu lösen.“

Die Aussichten erscheinen somit für die Wiener Demografie überaus vielversprechend, wie auch ÖAW-Präsident Anton Zeilinger betont: „Das VID ist fest verankert in einer globalen scientific community und hat sich zu einer dynamischen wie fruchtbaren Arbeitsumgebung für herausragende Forscherinnen und Forscher aus ganz Europa entwickelt.“ Eine steile und erfreuliche Karriere für ein Institut, das vor knapp 40 Jahren noch nicht viel mehr vorzuweisen hatte, als ein schlichtes Büro, einen Direktor und einen vagen Forschungsplan.

40 years of the Vienna Institute of Demography 1975–2015

ÖAW-Institut für Demographie