02.03.2018

Die „vergessene“ Revolution von 1848

Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Redefreiheit – die Revolution von 1848 forderte vieles, was heute selbstverständlich scheint. Was sich vor 170 Jahren bei der ersten bürgerlich-demokratischen Revolution des Landes abspielte und warum sie im Gedächtnis Österreich kaum präsent ist, erklärt ÖAW-Mitglied und Historikerin Brigitte Mazohl.

Der Universitätsplatz (heute: Dr. Ignaz Seipel-Platz) in der Nacht vom 13. zum 14. März 1848 © Archiv der Universität Wien, Bildarchiv, Urheberin: R. Swoboda (Xylographie)
Der Universitätsplatz (heute: Dr. Ignaz Seipel-Platz) in der Nacht vom 13. zum 14. März 1848 © Archiv der Universität Wien, Bildarchiv, Urheberin: R. Swoboda (Xylographie)

Der Platz war gefüllt mit Menschen, Fahnen wurden geschwungen, Rufe nach Pressefreiheit erklangen. So in etwa kann man sich die Tage um den 12. März 1848 am heutigen Dr. Ignaz Seipel-Platz in der Wiener Innenstadt vorstellen, glaubt man zeitgenössischen Stichen. Damals verfassten in der Aula der Universität – dem heutigen Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – Studierende und liberale Professoren eine Petition für mehr Freiheit. Revolution lag in der Luft.

170 Jahre später sollte sich der Festsaal ein weiteres Mal füllen, um an diese entscheidenden Momente zu erinnern. Unter dem Titel „Was kommt heran mit kühnem Gange“ fanden am 12. März Lesungen, musikalische Beiträge und ein Vortrag des 1848-Experten Wolfgang Häusler an der ÖAW statt. Organisiert wurde die Gedenkveranstaltung von den beiden Historiker/innen und ÖAW-Mitgliedern Brigitte Mazohl und Ernst Bruckmüller. Im Interview erzählte Brigitte Mazohl, warum die Erinnerung an das Revolutionsjahr 1848 auch heute noch wichtig ist.

Das Hauptgebäude der ÖAW in Wien war 1848 Teil der Universität. Was genau spielte sich dort in den Revolutionstagen vor 170 Jahren ab?

Brigitte Mazohl: Das heutige Hauptgebäude der Akademie war seit seiner feierlichen Eröffnung im Jahr 1756 durch Maria Theresia auch das zentrale Gebäude der Universität, einschließlich der „Neuen Aula“, dem heutigen Festsaal der ÖAW. Hier trafen sich am 12. März 1848, einem Sonntag, zahlreiche Studierende und sympathisierende Professoren, um eine Petition an den Kaiser zu richten. Es gab ein ziemliches Durcheinander, weil man sich so rasch nicht auf einen Text einigen konnte. Die Petition sollte am nächsten Tag den niederösterreichischen Ständen vorgelegt werden. Dabei kam es in der Herrengasse zu den ersten Schüssen – angeordnet vom Militärkommandanten Erzherzog Albrecht.
 

Die Forderungen der Studenten zielten auf eine parlamentarische Verfassung ab und auf mehr „bürgerliche“ Freiheiten – Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Redefreiheit.


In der Petition forderten die Studierenden nicht nur soziale Reformen, sondern auch eine Universitätsreform.

Mazohl: Die wichtigsten Forderungen der Studenten zielten auf eine parlamentarische Verfassung ab und auf mehr „bürgerliche“ Freiheiten – Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Redefreiheit. Was die Universität betrifft, wurde Lehr- und Lernfreiheit gefordert. Dass die reichlich „verschulte“ – wie man heute sagen würde – Universität reformiert werden müsse, wusste man in der Studienhofkommission, das war die Vorgängerinstitution des späteren Unterrichtsministeriums, sowieso seit Jahrzehnten.

Und was änderte sich nach 1848 an der Universität?

Mazohl: Die Revolution wurde zwar – in der dritten Revolutionswelle im Oktober – blutig niedergeschlagen, doch für die Universitäten wurden die wichtigsten Forderungen umgesetzt. In der Ära des nachrevolutionären Reform-Ministers Leo Thun-Hohenstein erlebten sie einen ungeheuren Aufschwung.

Damals zogen Studierende und Lehrende neben Arbeitern aus der Vorstadt durch die Straßen. Denken Sie, so etwas wäre heute noch möglich?

Mazohl: Es waren damals die Arbeiter, die sich den Studenten angeschlossen haben, nicht umgekehrt. „Arbeiter“ im damaligen Sinne gibt es ja heute kaum noch, und die Solidarität mit studentischen Anliegen hält sich in der heutigen Gesellschaft meiner Ansicht nach in Grenzen. Das Interesse an der Wissenschaft, an den Universitäten und deren akademischen Institutionen, und daher auch an Studierenden, ist in Österreich ja bekanntermaßen wenig ausgeprägt.

Und die Studierenden selbst?

Mazohl: Die sind heute vor allem für ihre eigenen studentischen Interessen zu mobilisieren. Ich denke da mit Freude und zugleich mit Wehmut an die Demonstrationen gegen das Universitätsgesetz von 2002, dem sich ja auch Professor/innen angeschlossen hatten. Genützt haben sie nichts. Die organisatorische Umgestaltung der Universität im neoliberalen betriebswirtschaftlichen Sinn wurde damals politisch gewollt, was das Ende der „alten“ Universität einleitete.

Lässt sich die Situation von damals überhaupt mit heute vergleichen?

Mazohl: In vieler Hinsicht waren es andere Zeiten. Allein, was die Zahl der Studierenden - damals ja nur Männer – betrifft: Diese bewegte sich noch Ende des 19. Jahrhunderts um knappe drei Prozent eines Jahrgangs. Die Macht von „Thron und Altar“ war weitgehend ungebrochen, die soziale Gliederung zwischen „unten“ und „oben“ noch wenig durchlässig – allerdings boten Studium und Bildung gute Möglichkeiten für sozialen Aufstieg. Es ist ähnlich wie mit der Zeit vor 1968 – die heute junge Generation kann sich kaum mehr vorstellen, wogegen und wofür „wir“ (ich studierte in den Jahren zwischen 1966 und 1971) damals kämpfen mussten!
 

In Österreich ist das Gedenken an die damals so entscheidenden Freiheitsforderungen kaum Gegenstand des zeitgenössischen politischen Diskurses.


Sind die Ereignisse von 1848 Ihrer Meinung nach präsent genug im historischen Gedächtnis Österreichs?

Mazohl: Nein. In anderen europäischen Staaten wurde zum Beispiel im Jahr 1998 vielfach des 150. Jubiläums von 1848 gedacht. In Österreich hingegen ist das Gedenken an die damals so entscheidenden Freiheitsforderungen kaum Gegenstand des zeitgenössischen politischen Diskurses. 1998 hing das wohl damit zusammen, dass die damals noch „großen“ Parteien sich nicht mit 1848 identifizieren konnten. Die „linke“ Revolution galt als „gescheitert“, die „rechte“ Seite wollte sie gar nicht erst zur Kenntnis nehmen und das „dritte Lager“ hatte sich im Jahrhundert danach bis zur Unkenntlichkeit von den liberalen Ursprungsideen entfernt. Heuer wird das 170. Jubiläum der Revolution 1848 vom Gedenken an den „Anschluss“ 1938 überlagert.

Was könnten wir denn heute von 1848 lernen?

Mazohl: Auf der Seite der Machthabenden: dass es allemal zur Eskalation von Konflikten kommt, wenn Gewalt eingesetzt wird – die Märztage wären ohne Schießbefehl völlig anders verlaufen. Auf der Seite der Studierenden: wie wichtig es ist, sich politisch zu engagieren und die Bedeutung der eigenen Forderungen auch in die breitere Öffentlichkeit zu tragen. Und Verantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen insgesamt zu übernehmen und dabei nicht nur die eigene „akademische“ Welt im Auge zu haben.

 

Brigitte Mazohl ist wirkliches Mitglied der ÖAW und em. Professorin am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck. Von 2013 bis 2017 war sie Präsidentin der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der österreichischen, deutschen und italienischen Geschichte in der Zeit zwischen dem 18. Jahrhundert und dem Ersten Weltkrieg. Mazohl erhielt zahlreiche Auszeichnungen, wie den Theodor Körner-Preis oder das Ehrenzeichen des Landes Tirol.

„Was kommt heran mit kühnem Gange“ – unter diesem Titel finden am 12. März 2018 ab 18 Uhr im Festsaal der ÖAW Lesungen, musikalische Beiträge und ein Vortrag des Historikers Wolfgang Häusler von der Universität Wien statt. 

Einladung

Anmeldung

 

Ein Blog-Beitrag zur „vergessenen Revolution“ von 1848 von Brigitte Mazohl ist auf auf derstandard.at nachzulesen.

März 1848 – die vergessene Revolution?