26.06.2016

Die Suche nach der Weltformel

Kann es eine physikalische Theorie geben, die alle Kräfte im Universum erklärt? Ja – meinte der Physiker und Nobelpreisträger David Gross bei der ersten ÖAW – IST Austria Lecture. Wie diese „Theorie für alles“ aussehen könnte, erklärte er im Festsaal der Akademie.

Bild: ÖAW

Schon Albert Einstein war auf der Suche nach einer „Weltformel“ – einer Theorie also, die alle Kräfte im Universum beschreibt und die Quantenmechanik und Relativitätstheorie vereint. Denn Einsteins allgemeine Relativitätstheorie besagt, dass Raum und Zeit dynamisch sind und durch die Schwerkraft bestimmt werden. Das lässt sich jedoch nicht mit den Prinzipien der Quantenmechanik in Einklang bringen.

Doch weder Einstein noch Generationen von Physiker/innen nach ihm konnten eine „Theorie für alles“ entwickeln. Die vier Grundkräfte in der Natur – die elektromagnetische, die schwache und die starke Wechselwirkung sowie die Gravitation – scheinen sich bislang erfolgreich gegen eine einheitliche Beschreibung zu sträuben.

Wie heute die Chancen auf die Entdeckung einer solchen Theorie stehen, wie sie aussehen könnte und warum sie wichtig ist – darüber sprach der US-amerikanische Physiker und Nobelpreisträger David Gross am 22. Juni 2016 an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sein Vortrag mit dem Titel „The Frontiers of Fundamental Physics“ bildete zugleich den Auftakt zu den neuen ÖAW – IST Austria Lectures.

Stringtheorie als vielversprechender Kandidat

Eine Theorie, die dem Versuch am nächsten zu kommen scheint, ist die Stringtheorie – wenngleich sie nicht unumstritten ist: „Eigentlich wissen wir nicht, was uns an der nächsten Schwelle der fundamentalen Physik erwarten wird – wo physikalische Grundgesetze, die wir uns bis heute zurechtgelegt haben, womöglich aufbrechen werden“, sagte David Gross in einem bis auf den letzten Platz besetzten Festsaal. Er fügte hinzu: „In diesem Fall haben wir nur eine Wahl: Entweder wir nehmen solche neuen Ansätze sehr ernst – was viele von uns tun – oder wir ignorieren sie." Gross selbst zählt zu den prominentesten Verfechtern der Stringtheorie.

Ihr Grundgedanke ist schnell erklärt: Alle Materie besteht aus schwingenden Saiten – sogenannten Strings und weniger aus punktförmigen Teilchen. Die Schwingungen der „Saiten“ sollen demnach alle Teilchen und Kräfte erzeugen ähnlich wie Gitarrensaiten unterschiedliche Töne und Akkorde. Das, so Gross, würde das große Problem mit der Gravitation lösen, denn auch sie ist eine Saite – der Theorie nach eine zu einem Kreis „geschlossene“.

Was hält Quarks zusammen?

Mithilfe der Stringtheorie lässt sich aber noch eine weitere Frage beantworten, die Physiker wie Gross lange beschäftigt hat: Welche seltsamen Kräfte halten Quarks zusammen – also jene kleinsten Bausteine, aus denen Protonen und Neutronen im Inneren des Atomkerns bestehen?

„Wir gehen in unserer Theorie davon aus, dass Quarks eine Ladung haben – so wie Elektronen. Nur dass es im Falle der Quarks-Teilchen drei verschiedene Ladungen gibt, die wir mit den Farben rot, weiß und blau bezeichnen“, so Gross.

Die negative Ladung führt bei Elektronen dazu, dass, wenn man sie mit einem Positron zusammenbringt, sie sich gegenseitig anziehen – Minus und Plus. Unterschiedlich geladene Quarks verhalten sich diesbezüglich anders: Denn je näher man sie zusammenführt, desto schwächer wird die Anziehungskraft, die zwischen ihnen wirkt. Sind die Quarks nahe genug beieinander, verhalten sie sich fast wie freie Teilchen, weshalb dieses Phänomen auch "Asymptotische Freiheit" genannt wird – eine Entdeckung, für die Gross, gemeinsam mit seinen Kollegen Frank Wilczek und David Politzer, 2004 den Nobelpreis erhielt.

Aber die Kraft zwischen Quarks ist auch in die entgegengesetzte Richtung „seltsam“: Denn je weiter sich Quarks voneinander entfernen, desto stärker wird die Kraft zwischen ihnen, weshalb sie nicht entwischen können und wieder zurückgezogen werden, erklärte der Physiker: „Dennoch ist das Gesetz, das die Kraft zwischen Quarks und Elektronen beschreibt, grundsätzlich ident – sprich Elektromagnetismus.“ Der Grund für das unterschiedliche Verhalten liegt für den Nobelpreisträger mitunter darin, dass Quarks mehr als nur eine Ladung haben.

Leben im Superraum

Und Albert Einstein? Gross widmete sich auch der großen Frage von Raum und Zeit – jenem Raster, in dem sich alle Erscheinungen der Natur abspielen: „Die Raumzeit können wir nicht direkt messen. Es ist vielmehr ein Modell einer physikalischen Realität, die jeder von uns seit der frühesten Kindheit konstruiert hat – eine großartige Leistung unseres Gehirns“, stellte Gross klar.

Nun könnten neue Erkenntnisse aus dem Kernforschungszentrum CERN in Genf jedoch unser bisheriges Verständnis von Raum und Zeit auf den Kopf stellen: „Es ist möglich, dass unser Modell unvollständig ist und wir in Wirklichkeit im Superraum leben.“ In diesem Fall gäbe es mehr Raum- und Zeitdimensionen als die vier bisher von Einstein angenommenen. Eine Idee, die auf das in den meisten Stringtheorien vertretene Prinzip der Supersymmetrie zurückgeht.

Neue Physik am Horizont

Supersymmetrie geht aber nicht nur von zusätzlichen Dimensionen aus, sondern erwartet auch die Existenz mehrerer „symmetrischer“ Elementarteilchen. Ob es diese tatsächlich gibt, könnte sich vielleicht schon bald mithilfe des Large Hadron Colliders am CERN zeigen. Physiker/innen haben hier im Dezember letzten Jahres ein Lichtsignal entdeckt, das über das bisherige Standardmodell der Teilchenphysik hinausweist. „Es könnte eines jener neuartigen Teilchen sein, die von der Supersymmetrie vorhergesagt werden, vielleicht erweist es sich aber auch als Dunkle Materie“, so Gross.

Oder gar nichts von beidem – das wird sich voraussichtlich in naher Zukunft zeigen. Dass aber Theorien wie das Standardmodell der Teilchenphysik, das alles erklärt, was wir sehen können, nicht mehr lange bestehen werden, davon ist Gross überzeugt: „Die Standardtheorie ist noch ausgesprochen erfolgreich. So haben wir kaum Hinweise darauf, wann und wo sie scheitern wird – klar ist aber, sie muss scheitern.“ Und wenn es soweit ist, sagte Gross abschließend, „brauchen wie eine umfassendere und vereinheitlichende Theorie.“ Man darf gespannt sein, ob die Stringtheorie der beste Kandidat sein wird.