Spricht man über mongolische Eroberer, kommt man an ihm nicht vorbei: Dschingis Khan. Der Outlaw aus der Steppe einte vor rund 800 Jahren die mongolischen Stämme und drang mit seinem berüchtigten Heer bis nach Osteuropa vor. Aber es war nicht der mythenumrankte Eroberer, der Bruno De Nicola bei seiner ersten Reise in die Mongolei faszinierte, sondern die nomadische Lebensweise. Seine spätere Beschäftigung mit der Fülle mittelalterlicher Handschriften zeichnete den weiteren Weg vor: Seither erforscht er anhand von Manuskripten die Zeit mongolischer Herrschaft und die kulturellen Beziehungen zwischen Nomaden und Sesshaften. Genauer: Er durchleuchtet alles, was in der Periode vom 13. bis 15. Jahrhundert schriftlich produziert wurde. Denn ausgerechnet in der Zeit nomadischer Herrschaft erlebte das mittelalterliche Asien eine Hochblüte an literarischem Schaffen und in der Wissensproduktion, wie tausende handschriftliche Quellen belegen.
Wie das zusammenpasst? „Es gibt einen Widerspruch zwischen dem Ausmaß an Kulturproduktion und der Vorstellung von barbarischen Reiterhorden, die à la Dschingis Khan durch endlose Steppen jagen“, sagt er. De Nicola arbeitet am Institut für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und hat einen Lehrstuhl für die Geschichte des Mittleren Ostens am Londoner Goldsmith College inne.
„Die historische Perspektive, dass die Nomaden wenig zur kulturellen Entwicklung beitrugen und jegliches kulturelles Schaffen von Sesshaften ausging, verändert sich mittlerweile“, so der Iranist. Nicht zuletzt durch seine Forschung. De Nicola möchte mehr über den Einfluss der nomadischen Eroberer auf den damaligen Kulturwandel in Iran herausfinden. Der größte Teil der persischen und arabischen handschriftlich überlieferten Bücher sei bislang nicht erforscht worden. Um diese Lücke zu schließen, hat er 2019 einen STARTPreis des Wissenschaftsfonds FWF bekommen.
RELEVANTE RANDNOTIZEN
„Es ist eine sehr interessante Periode in der Geschichte, in der die Outlaws von den Rändern der Welt große Teile Asiens und Europas eroberten. Sie haben für immer die Geschichte verändert“, so der Forscher. Für ihn steht fest: Ohne die Geschichte der Mongolen würde man Marco Polos Weg nach China nicht verstehen.
In den nächsten sechs Jahren wird De Nicola jedenfalls tausende Manuskripte, die in verschiedenen Sprachen verfasst wurden und sich in Dutzenden verschiedenen Bibliotheken befinden, analysieren. „Alleine könnte ich diese Arbeit nicht bewältigen“, sagt De Nicola. Gemeinsam mit seinem Team untersucht er nicht nur den Inhalt der Buchhandschriften. Relevant sind für ihn auch die oft wenig beachteten Randnotizen. „Sie geben Auskunft über Auftraggebende und Lesende einer Handschrift“, erklärt er. Und im Rahmen eines Digital Humanities-Projekts finden all diese Informationen erstmals in einer dafür aufgebauten Datenbank Eingang.
TRADITIONELL GUTE KONTAKTE
Ob es schwierig sei, sich Zugang zu den in aller Welt verstreuten Bibliotheken zu verschaffen? „Wir haben hier an der ÖAW perfekte Rahmenbedingungen, um dieses Projekt zu realisieren“, sagt De Nicola. Großartig findet er die vielen Kontakte des ÖAW-Instituts zu Wissenschafts und Kulturinstitutionen in Iran. „Da gibt es eine lange Tradition. In einem anderen Land wäre das so nicht möglich.“ Zudem schätze er die besonders gut bestückte Bibliothek und den inspirierenden Austausch mit Kolleg/innen am Institut. „Die einzige Möglichkeit, besser zu werden, ist, sich der Kritik auszusetzen“, ist er überzeugt.
Der Ort, um gute Ideen zu finden, ist für ihn die Bibliothek. „Ich habe nicht diese romantische Vorstellung, dass ich bei Sonnenaufgang auf einen Berg gehe und dann die Geistesblitze kommen. Für mich funktioniert das nicht.“ Im Gegenteil: Die Arbeit als Historiker brauche viel Disziplin. Für ihn ist es die tägliche Arbeit, die Stunden, die er sitzt, arbeitet und Verschiedenes ausprobiert. Trial and error sei eher sein Ansatz, als auf die Inspiration zu warten. Klar gibt es spontane Einfälle, aber der Hauptteil der Arbeit passiere am Text, über Bücher gebeugt in der Bibliothek.