02.10.2020 | Innovationsfonds

Die Position von Quanten liegt im Auge des Betrachters

Wie ein physikalischen Vorgang sich manifestiert, hängt vom gewählten Bezugssystem ab. Das hat bereits Albert Einstein gezeigt. Physiker der ÖAW übertragen diese Idee nun auch auf Quantenfelder. Gefördert wird das Vorhaben durch den Innovationsfonds der Akademie, der außergewöhnliche Ideen mit hohem Zukunftspotential unterstützt.

Wenn ein Zug in den Bahnhof einfährt, ist das auf den ersten Blick ein relativ einfacher Vorgang. Diesen physikalisch zu beschreiben ist aber gar nicht so leicht. Dafür muss zum Beispiel erst ein Bezugssystem gewählt werden. Das kann etwa der Bahnhof sein oder der Zug. Diese Wahl hat Konsequenzen. Aus Sicht des Zugsbezugsystems nähert sich der Bahnhof, aus Sicht des Bahnhofsystems nähert sich aber der Zug. Auf die Ergebnisse von Messungen und damit die Konsequenzen von physikalischen Interaktionen hat das Bezugssystem keinen Einfluss, auf die Beschreibung der Vorgänge aber sehr wohl. Albert Einstein hat gezeigt, dass Dinge wie Position, Geschwindigkeit, Masse oder Zeit vom Bezugssystem abhängen und dass alle möglichen Bezugssysteme gleichwertig sind.

“Bezugssysteme sind eine Konstruktion, die wir verwenden, um physikalische Systeme zu beschreiben. Sie sind üblicherweise makroskopisch und folgen den Regeln der klassischen Physik, auch wenn wir Quantensysteme damit beschreiben. Unser Ziel ist es, die Quantenfelder selbst als Bezugssysteme zu verwenden. Dabei müssen wir natürlich auch Quantenphänomene berücksichtigen, es gibt zum Beispiel keine klar definierte Position von Teilchen mehr und es können Überlagerungen aus mehreren Zuständen auftreten”, sagt Luis Cortés Barbado, der das Forschungsprojekt „Quantum Reference Frames for Quantum Fields“ gemeinsam mit seinen Kollegen Časlav Brukner und Markus Aspelmeyer leitet. Das Projekt ist am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien angesiedelt und wird vom Innovationsfonds der ÖAW unterstützt.

Messung schafft Realität

Ein Zwischenschritt auf dem Weg zu Quantenbezugssystemen für Quantenfelder ist bereits gemacht: Forscher/innen können einzelne Partikel als Referenzsysteme festlegen und errechnen, wie sich das Universum aus diesen Perspektiven präsentiert. “Das hat interessante Konsequenzen, etwa dass auch Phänomene wie Verschränkung oder Superposition vom Bezugssystem abhängen”, sagt Cortés Barbado. In der Quantenphysik sind Partikel aber Anregungen von Quantenfeldern. Ein echtes Quantenbezugssystem muss deshalb in einem Feld lokalisiert sein.

“Diese Idee ist neu und wir wissen noch nicht genau, wie die Welt sich aus Sicht eines Quantenfeldes präsentiert”, sagt Cortés Barbado. Schon sagen kann man aber, dass die Quantenbezugssysteme weitere Dinge relativieren. So ist auch die Beschreibung der Zahl der Partikel oder der Energieverteilung in einem System abhängig vom jeweils gewählten Bezugssystem. “Man darf nicht vergessen, dass das alles nur mögliche Beschreibungen von Vorgängen sind. Die Messungen, die gemacht werden können, hängen zum Glück nicht vom Bezugssystem ab, sonst gäbe es keine objektive Realität”, sagt Cortés Barbado.

Wird ein System wie ein Wasserstoffatom in zwei verschiedenen Quantenbezugssystemen betrachtet, kann es sein, dass die Zahl der Elektronen sich unterscheidet. Dem Experiment sind diese Unterschiede aber nicht zugänglich. “Das ist nur bei hohen Energien relevant. Auf uns geläufigen Skalen entstehen und verschwinden üblicherweise keine Elektronen. Um hier experimentell Unterschiede zwischen den Beschreibungen aus verschiedenen Quantenbezugssystemen feststellen zu können, müsste man die Detektoren für die Messungen sehr, sehr stark beschleunigen”, sagt Cortés Barbado. Nur dann könnte sich ein zusätzliches Elektron, das im Quantenbezugssystem eines Feldes auftaucht, für ein anderes Bezugssystem als Effekt der Beschleunigung darstellen.

 

AUF EINEN BLICK

Das Projekt „Quantum Reference Frames for Quantum Fields“ wird von den ÖAW-Quantephysikern Luis Cortés Barbado, Časlav Brukner und Markus Aspelmeyer durchgeführt und vom Innovationsfonds der ÖAW gefördert.

Der Innovationsfonds „Forschung, Wissenschaft und Gesellschaft“ wurde von der ÖAW eingerichtet, um außergewöhnlich innovative Projekte zu unterstützen. Ziel ist die Förderung von Forschungsvorhaben, die neue Paradigmen eröffnen sowie neue methodische Wege einschlagen.