11.05.2020 | Geschlechtsbestimmung

Der Urgeschichte auf den Zahn gefühlt

Bub oder Mädchen? Aus einem winzigen Körnchen Zahnschmelz können Wissenschaftler/innen mit einer neuen Methode das Geschlecht von prähistorischen Kinderskeletten bestimmen. Für die Archäologie eröffnet das ein weites Feld an Fragestellungen rund um Geschlecht und Gesellschaft, die man erstmals systematisch erforschen kann.

Chemiker Lukas Janker entnimmt eine Probe des Zahnschmelzes. © Katharina Rebay-Salisbury/ÖAW

An vollständig erhaltenen erwachsenen Skeletten können geschulte Augen anhand von Form und Gestalt bestimmen, ob es sich um die Überreste eines Mannes oder einer Frau handelt. Man sieht sich dafür das Becken oder auch den Schädel der verstorbenen Person an. Bei Skeletten von Kindern ist eine solche morphologische Bestimmung jedoch nicht möglich, da sich die geschlechtsspezifischen Merkmale erst während und nach der Pubertät ausbilden. Archäologische Funde von Kinderskeletten werden daher normalerweise nicht nach Geschlecht unterschieden. Dabei könne gerade bei ihnen eine Geschlechtsbestimmung Auskunft über zahlreiche spezifische Fragestellungen geben, erklärt Katharina Rebay-Salisbury, Archäologin am Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

„Für Archäolog/innen wäre zum Beispiel interessant zu untersuchen, ob männliche und weibliche Kinder gleich behandelt wurden, etwa was die Ernährung betraf. Wurden Buben und Mädchen unterschiedlich bestattet? Waren Mädchen oder Buben stärker von Infantizid betroffen? Anders gesagt: Wir könnten sehr viel über das Wertesystem einer Gesellschaft besonders in Bezug auf Geschlecht lernen, über Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und wie diese sich in vergangenen Gesellschaften entwickelten.“

Minimalinvasive Methode

Bei einem Vortrag Anfang 2020 hat die Expertin für Mutterschaft in der Urgeschichte von einer Möglichkeit berichtet, das Geschlecht von Kinderskeletten schnell und einfach zu bestimmen. Diese Methode basiert auf der Analyse des Proteins Amelogenin aus dem Zahnschmelz. Da in Frauen und Männern jeweils andere Varianten von Amelogenin ausgebildet werden, eignet es sich hervorragend zur Geschlechtsbestimmung. Die Methode hat auch noch weitere Vorzüge, wie Katharina Rebay-Salisbury erklärt: „Ihr ganz großer Vorteil ist, dass sie minimalinvasiv und quasi zerstörungsfrei ist. Anders als bei der DNA brauchen wir nur einen winzigen Teil des Zahnschmelzes, der von der Oberfläche entnommen wird. Für das nackte Auge ist dieser Eingriff am Zahn in der Regel nicht einmal sichtbar.“

Mit Kolleg/innen vom Institut für Analytische Chemie der Universität Wien testete Rebay-Salisbury die Peptidanalyse in einem ersten Schritt am Zahnschmelz eines Menschen, dessen Geschlecht man bereits kannte und hielt die Ergebnisse in einem Protokoll fest. Dann ging es in einem zweiten Schritt an die Identifizierung des Geschlechts eines etwa 5 bis 6 Jahre alten Kindes aus der Bronzezeit. Wie schon zuvor war das Ergebnis der Analyse eindeutig: Es handelte sich bei dem vor rund 5000 Jahren verstorbenen Kind um einen Buben.

 

Auf einen Blick

Katharina Rebay-Salisbury leitet die Forschungsgruppe Prehistoric Identities am Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der ÖAW. In ihrem ERC Starting Grant Projekt „The value of mothers to society“ untersucht sie, wie sich weibliche Identität durch Mutterschaft verändert.

Prehistoric Identities