14.01.2016

ÄLTESTE PROTHESE EUROPAS ENTDECKT

Forscher/innen des Österreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW haben einen 1.500 Jahre alten Holzfuß entdeckt. Der in Europa bisher einmalige Fund wurde nun im „International Journal of Paleopathology“ publiziert.

Bild: ÖAI

Prothesen als künstlichen Ersatz von Gliedmaßen gab es in Europa auch schon im frühen Mittelalter – das konnten Forscher/innen des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nun in einer Publikation im „International Journal of Paleopathology“ mit einem beeindruckenden Fund aus Österreich belegen: 2013 entdeckten sie bei Ausgrabungen am Hemmaberg in Kärnten das Grab eines Mannes, der bereits vor rund 1.500 Jahren eine Fußprothese trug.

„In Europa ist es die bisher älteste Prothese“, sagte Sabine Ladstätter, Direktorin des ÖAI, gegenüber der Austria Presse Agentur. Nur aus China und Ägypten sowie aus Berichten aus dem alten Rom seien ältere künstliche Gliedmaßen bekannt.

Gute ärztliche Versorgung

Das einmalige Fundstück zeigt nicht nur, dass es bereits um 600 nach Christus Ersatz für abgetrennte Gliedmaßen gab, sondern verrät auch einiges über seinen Träger. Wie die Analyse der ÖAI-Wissenschaftler/innen ergab, handelte es sich um einen Mann mittleren Alters, dessen Fuß oberhalb des Knöchels abgetrennt wurde. Seine Prothese bestand aus Holz und war mittels eines Eisenrings anstelle des Knöchels am Bein befestigt. Röntgen- und CT-Untersuchungen des Skeletts zeigen, dass die Wunde der Abtrennung gut verheilt war.

Ein Knochenschwund am linken Unterschenkel deutet zwar an, dass der Mann das Bein nur noch wenig belasten konnte, zeigt aber auch, dass er die Prothese tatsächlich verwendete und die schwere Verletzung mehrere Jahre überlebte. Arthrose an Knie und Schultern lässt zudem vermuten, so Erstautorin und ÖAI-Bioarchäologin Michaela Binder, dass der Prothesenträger zusätzlich eine Krücke benutzte.

All dies zeige, so Sabine Ladstätter, „dass die medizinische Versorgung gut war und man sich auch die Mühe der Behandlung gemacht hat. Das wiederum belegt den sozialen Status der Person, der die Möglichkeit hatte, sich verarzten und so gut pflegen zu lassen, dass er weiterleben konnte.“

Ranghoher Prothesenträger

Auf den hohen Rang des Versehrten deutet auch der Fundort hin. Seit mehreren Jahren legen die Archäolog/innen des ÖAI am Hemmaberg einen Kirchenkomplex aus dem 5. und 6. Jahrhundert frei, der im frühen Christentum eine Pilgerstätte war. Sechs Kirchen sowie Bestattungen in und in der Nähe der Gotteshäuser wurden bisher ausgegraben. Einen derart prominenten Bestattungsplatz erhielten nur Personen von hohem sozialem Rang. Einer davon dürfte der 2013 vom Archäologen Franz Glaser freigelegte Prothesenträger gewesen sein.

Darüber, wie der Mann seinen Fuß verlor, lässt sich derzeit allerdings nur spekulieren. Bestimmte Abnützungserscheinungen an den Knochen verraten, dass er offenbar häufig als Reiter zu Pferd unterwegs gewesen sein dürfte. Dieser Umstand, aber auch die Art der Verlust des Fußes deuten an, dass es sich bei der Abtrennung vermutlich nicht um einen Unfall handelte. Wahrscheinlicher ist, dass der Mann auf dem Pferd sitzend bei einem Kampf verletzt wurde.

 

Die Publikation “Prosthetics in antiquity—An early

medieval wearer of a foot prosthesis (6th century AD) from

Hemmaberg/Austria” ist erschienen im „International Journal of

Paleopathology“ (Volume 12, März 2016, Seiten 29–40). Autor/innen sind

M. Binder, J. Eitler, J. Deutschmann, S. Ladstätter, F. Glaser und D.

Fiedler.

Österreichisches Archäologisches Institut der ÖAW