12.09.2013

1683 und die Folgen: 330 Jahre „Türkenbelagerung“

Buchpräsentation zweier Neuerscheinungen

Auf den Tag genau 330 Jahre nach der entscheidenden Schlacht, mit der die „Türkenbelagerung“ Wiens beendet wurde, stellen Johannes Feichtinger (Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW) und Johann Heiss (Institut für Sozialanthropologie der ÖAW) kritische Studien zu diesem auffallend lange und kontrovers erinnerten Ereignis vor. Die beiden Herausgeber der im Wiener Mandelbaum-Verlag erschienen Sammelbände „Geschichtspolitik und ‚Türkenbelagerung‘“ und „Der erinnerte Feind“ laden zur Buchpräsentation am 12. September 2013 in die Österreichische Akademie der Wissenschaften (16:30, Clubraum der ÖAW, Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien). „Die Bücher zeigen die mediale Bandbreite, mit der die Erinnerung an Bedrohung und Sieg wach und lebendig erhalten wurde, und untersuchen den Einsatz des ‚Türkengedächtnisses‘ bei der Erzeugung und Verstärkung aktueller Feindbilder“, betonen Feichtinger und Heiss.

Die Herausgeber luden Autor/innen aus Österreich, Ungarn, der Slowakei, Serbien, Polen und Deutschland zur Mitwirkung an den Bänden ein, die in unterschiedlichen Disziplinen wie der Geschichtswissenschaft, Kultur- und Sozialanthropologie, Kunstgeschichte, Soziologie und Politikwissenschaft beheimatet sind. Diese Vielfalt an Forschungsansätzen zur osmanischen Präsenz in Mitteleuropa macht die Bände einzigartig, in denen nicht nur „Türkenbilder“ in verschiedenen Regionen Österreichs (Wien, Niederösterreich, Burgenland, Steiermark, Kärnten), sondern auch in seinen Nachbarländern (Ungarn, Serbien) untersucht werden. In Band 1 „Geschichtspolitik und „Türkenbelagerung“ wird besonderes Augenmerk auf mediale Repräsentationen von 1683 durch Kirche, Hof und das Bürgertum gelegt: Tragödien und Komödien, Opern und Triumphzüge wurden ebenso eingesetzt wie Prozessionen, Feuerwerke, Kriegsspiele und Medaillenprägungen, um die Bedrohung durch die Osmanen und den Sieg über sie in Erinnerung zu rufen. Dabei, so zeigen die Forschungsergebnisse, wird auf bewährte ältere Vorbilder zurückgegriffen, aber auch das zukünftige Gedenken richtungweisend beeinflusst.

Vom Austrofaschismus zum Pflichtschulunterricht

Band 2 „Der erinnerte Feind“ geht besonders der Konstruktion von Feindbildern bzw. der Schaffung und Erhaltung von kollektiver, vor allem nationaler Identität nach. Er untersucht den Heldenkult rund um den Sieg über die Osmanen und geht dann verstärkt auf die Instrumentalisierung des Feindbildes „Türke“ im 20. und 21. Jahrhundert ein, wie auf die Inszenierungen der „Türkenabwehr“ im Austrofaschismus, die Repräsentation der „Türkenbelagerung“ in österreichischen Zeitungen von 1955 bis 2010 und die Vermittlung von Geschichtsbildern über 1683 im Wiener Pflichtschulunterricht. Die beiden interdisziplinären Bände zeigen damit anhand des lange bewährten „Türkengedächtnisses“ die Zweckgebundenheit der Übersetzung von Vergangenheit in die jeweilige Gegenwart. Das über Jahrhunderte gepflegte Feindbild „Türke“ kann bei Bedarf bis heute für politische Zwecke mobilisiert werden.

Die Bände repräsentieren ein zentrales Ergebnis des interdisziplinären orschungsprojekts Shifting Memories – Manifest Monuments. Memories of the “Turks” and Other “Enemies”. Dieses vor kurzem beendete dreijährige, vom österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) finanzierte Projekt war an der ÖAW in Wien angesiedelt und wurde in einer Kooperation des Instituts für Sozialanthropologie mit dem Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte von Johann Heiss und Johannes Feichtinger geleitet. Im Zentrum des Forschungsvorhabens standen so genannte „Türkendenkmäler“ und mit ihnen verbundene Feierlichkeiten, anhand derer sich die Konstruktion von Feind- und Selbstbildern besonders gut ablesen lässt.

Interaktive Homepage lädt zur Denkmalsuche ein

Ein weiteres zentrales Ergebnis des Projekts ist eine Homepage
(http://www.tuerkengedaechtnis.oeaw.ac.at/), die „Türkendenkmäler“ in Österreich vorstellt und zu einer kritischen und konstruktiven Auseinandersetzung mit diesem kulturellen Erbe anregen will. „Die interaktiv gestaltete Homepage lädt zur Denkmalsuche im Raum Wien sowie in Niederösterreich, Burgenland und der Steiermark, aber auch in Ungarn und Polen ein und bietet nicht nur für ein interessiertes Laienpublikum, sondern auch für Historiker/innen eine Fülle von neuen Informationen“, erklärt Feichtinger.

Bei der Buchpräsentation wird Simon Hadler die Homepage und Silvia Dallinger ein Fallbeispiel der Forschung, nämlich den Türkenritthof im 17. Wiener Bezirk, vorstellen – zwei junge in das Projekt eingebundene Forscher/innen, von denen die DOC-Team Stipendiatin Silvia Dallinger gemeinsam mit ihrer Kollegin Johanna Witzeling mit dem Förderpreis der Stadt Wien für Wissenschaft und Volksbildung für ihr Dissertationsprojekt „Die Türken vor (und in) Wien“ ausgezeichnet wurde. Vor diesen Beiträgen und den Ausführungen von Johannes Feichtinger („1683 – Erinnerung als Werkzeug“) und Johann Heiss („1683 – Erinnerung ohne Ende“) wird Michael Rössner, Direktor des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, die in das Thema einleitende Begrüßung vornehmen.

Link zur Buchpräsentation:

http://www.oeaw.ac.at/sozant/files/Events/buchpraesentation_tuerkengedaechtnis.pdf

Veranstalter:

Österreichische Akademie der Wissenschaften
Institut für Sozialanthropologie und Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte

Projekt-Information:

FWF-Projekt „Shifting Memories – Manifest Monuments. Memories of the ‘Turks’ and Other ‘Enemies’”

Interaktive Website „Türkengedächtnis“:

http://www.tuerkengedaechtnis.oeaw.ac.at/

ÖAW DOC-Team „‚Die Türken vor (und in) Wien‘ – Zur Vermittlung und Vergegenwärtigung von Geschichtsbildern der ‚osmanischen Bedrohung‘ in Österreich“