Im Rahmen narrativer und themenzentrierter Interviews werden syrische Kriegsflüchtlinge eingeladen, über Lebens- und Fluchterfahrungen zu erzählen und über wünschenswerte Modelle des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu reflektieren.

Die Interviews mit den Geflüchteten erfolgen aus dem Blickwinkel einer Weiterentwicklung sozialanthropologischer Erklärungsmodelle zur Dynamik ethnisch-religiöser Segmentierungen im Nahen Osten unter besonderer Berücksichtigung lokalkultureller Konzeptionen und soziokultureller Mechanismen.

Die Hypothesengenerierung im Rahmen dieses Forschungsprojekts entlang folgender Themenbereiche:

  • Die „frühere“ Alltagswelt der Betroffenen in Syrien unter besonderer Berücksichtigung ethnisch-religiöser Gliederungen:

Wie gestaltete sich die persönliche Situation der Interviewpartner/-innen zu Beginn des Bürgerkriegs und davor? Wie wurden andere Sprach- und Religionsgemeinschaften wahrgenommen? Wie wurden die sozio-politischen Auseinandersetzungen im sogenannten Arabischen Frühling erlebt und wie entwickelten sich die ethnisch-religiösen Spannungen? Welche Stufen der Eskalation und der Radikalisierung können von den Betroffenen identifiziert werden?

  • Stationen der Flucht:

In welcher Form spiegelt sich die ethnisch-religiöse Segmentierung Syriens in der Fluchtbewegung wider? Welche Rolle spielen familiäre und andere Netzwerke für die Entscheidung zur Flucht bzw. für bestimmte Fluchtrouten und für die Wahl des Ziellandes? Wie entfalten und gestalten sich kollektive und personale Identitätskonstruktionen der Flüchtenden?

  • Rezente Situation in Österreich:

Wie nehmen syrische Flüchtlinge unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in Österreich wahr? Gibt es bestimmte normative Erwartungshaltungen an die Aufnahmegesellschaft(en)? Auf welche Weise schlägt sich die ethnisch-religiöse Segmentierung der syrischen Gesellschaft im Siedlungsverhalten bzw. in den Interaktionen der Geflüchteten in Österreich nieder? Welche „Integrationsstrategien“ und Zukunftspläne werden von den Betroffenen (selbst) verfolgt?

Die Interviews werden auf Arabisch geführt; sofern die Interviewpartner/-innen zustimmen, werden die Gespräche aufgenommen und am Phonogrammarchiv mit den bewährten technisch-methodischen Standards archiviert. Auch wenn die dokumentierten Lebensgeschichten und Perspektiven zum Schutz der Geflüchteten gegenwärtig der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden können, bilden sie doch für künftige Generationen von Forscher/-innen ein wertvolles Material.

Angesichts der schwierigen Lage, in der sich die Geflüchteten gegenwärtig befinden, müssen die Interviews mit besonders großem Fingerspitzengefühl durchgeführt werden. Von Vorteil ist dabei, dass der Leiter dieses Projekts, Dr. Gebhard Fartacek, bereits vor dem Krieg in Syrien umfangreiche sozialanthropologische Erhebungen durchführte und somit über wichtiges Hintergrundwissen verfügt. Im Kalenderjahr 2016 wurde Dr. Fartacek von Safwan Alshufi, BA maßgeblich unterstützt, einem syrischen Künstler mit eigener Fluchterfahrung, der im Rahmen der ÖAW-Flüchtlingsinitiative am Phonogrammarchiv ein Praktikum absolvierte.

Das Projekt möchte letztendlich zu einem besseren Verständnis der syrischen Kriegsflüchtlinge und ihrer Situation in Österreich beisteuern und einen Beitrag für künftige Integrationsstrategien leisten. Erste Zwischenergebnisse dieses Forschungsprojekts wurden in einem von Susanne Binder und Gebhard Fartacek herausgegebenen Reader publiziert, der 2017 unter dem Titel „Facetten von Flucht aus dem Nahen und Mittleren Osten“ im Facultas-Verlag erschienen ist.