15.11.2024

Erste Beweise für familiäre Einbalsamierung im Frankreich der Frühen Neuzeit

Ein einzigartiger Fund hat neue Einblicke in die Begräbnisrituale des mittelalterlichen Westeuropa offenbart. Erstmals konnten Forscher:innen bioarchäologische Beweise für die familiäre Einbalsamierung von Säuglingen und Erwachsenen im frühneuzeitlichen Frankreich nachweisen.

Schädel der individuell bestatteten Frau, der zersägt wurde, um das Gehirn zu entnehmen, rechte Seitenansicht (© CNRS UMR/M. Bessou)

Lange Zeit galten Einbalsamierungspraktiken als exotische Rituale, die vor allem mit den alten Ägyptern oder Kulturen in Südamerika in Verbindung gebracht wurden. Neue Funde im Château des Milandes in Castelnaud-la-Chapelle, Dordogne, Frankreich, belegen nun, dass diese Techniken auch in Europa Anwendung fanden.

Die Überreste von sieben Erwachsenen und fünf Kindern, die in einer Krypta entdeckt wurden, sowie die einer einzeln bestatteten Frau, die alle der aristokratischen Familie Caumont angehörten und einbalsamiert worden waren, liefern Forscher:innen des Öasterreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW wertvolle Informationen über die Einbalsamierungspraktiken im 16. und 17. Jahrhundert.

»Diese Funde ermöglichen einzigartige Einblicke in die Techniken der Einbalsamierung«, sagt Caroline Partiot vom Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW. »Unsere Untersuchungen eines vollständigen Individuums und der fast 2.000 Fragmente zeigen eine sorgfältige und hoch standardisierte technische Behandlung der Verstorbenen, die bei Erwachsenen und Kindern ähnlich ist. Das lässt ein über zwei Jahrhunderte tradiertes Know-how erkennen«, so Partiot.

Von Kopf bis Fuß enthäutet

Am Skelett der Individuuen in der Krypta und des einzeln bestatteten Frauenkörpers konnten die Forscher:innen, den Modus Operandi der Einbalsamierung anhand der Schnittspuren am gesamten Skelett untersuchen. Besonders bemerkenswert ist die präzise vorgenommene Enthäutung, die den gesamten Körper umfasste, einschließlich der oberen und unteren Gliedmaßen bis zu den Fingerspitzen und Zehen.

Diese Methoden ähneln den 1708 vom damals führendem französischen Chirurgen Pierre Dionis beschriebenen Verfahren. Dieses wurde bei einer Autopsie aus dem 18. Jahrhundert in Marseille angewendet, wie die Forschung heute weiß. »Bemerkenswert ist, dass sich die Tradition über mindestens zwei Jahrhunderte gehalten hat«, erklärt die Archäologin.

Sozialer Status wird vererbt

Die Entdeckung der Gruft und die Analyse der Skelette zeigen, dass diese Praxis eine tief verwurzelte Tradition innerhalb der Familie Caumont war, die damals hohen sozialen Status genoss. Partiot: »Die Behandlung deutet darauf hin, dass die Einbalsamierung weniger der langfristigen Konservierung diente, sondern vielmehr dazu, den Leichnam während der Trauerzeremonien zur Schau stellen zu können.«

Denn: Mehrfache Einbalsamierungen in ein und derselben Familie sind selten, und der einzige bekannte Fall im mittelalterlichen Westeuropa, in dem mehrere Einbalsamierungen in ein und derselben Familie mit Kindern durchgeführt wurden, ist die Familie Medici in Italien aus dem 15. Jahrhundert. »Die Anwendung auf Familienmitglieder, unabhängig von Sterbealter und Geschlecht, spiegelt auch den Erwerb dieses Status durch Geburt wider«, betont Partiot.


Pressebilder

 

Publikation
"First bioarchaeological evidence of the familial practice of embalming of infant and adult relatives in Early Modern France", Caroline Partiot et al., Nature Scientific Reports, 2024.
DOI: dx.doi.org/10.1038/s41598-024-78258-w 63c51e71-26ad-4242-a5dd-6889bfea9e56
 

Kontakte
Astrid Pircher | Wissenschaftskommunikation
Österreichisches Archäologisches Institut der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften
T +43 1 51581-4060
astrid.pircher(at)oeaw.ac.at

Caroline Partiot
Österreichisches Archäologisches Institut der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften
T +43 1 51581-4149
caroline.partiot(at)oeaw.ac.at