08.05.2024 | Public Lecture im Rathaus

Carlo Rovelli: Weiße Löcher als Kandidaten für Dunkle Materie?

Schwarze Löcher kennen die meisten. Aber was sind Weiße Löcher? Noch sind sie eine hochspekulative Idee. Carlo Rovelli, Shooting Star der Physik, erklärt, warum an dieser Idee sehr viel dran ist und wie Weiße Löcher mit einem anderen Rätsel der Physik zusammenhängen könnten: der mysteriösen Dunklen Materie.

Der Physiker Carlo Rovelli ist überzeugt: Weiße Löcher könnten die Dunkle Materie erklären. © Adobe Stock (KI-generiert)

Stellen wir uns vor, wir wären in der Lage mit einem Raumschiff in ein Schwarzes Loch zu fliegen. Wir würden in einem sehr langen Tunnel landen, der immer enger wird, je näher wir zum Ausgangspunkt des Schwarzen Lochs reisen, den Überresten des Sterns aus dem es einst entstanden ist. Doch was passiert, wenn wir dort angekommen sind?

Das weiß aktuell niemand. Doch der theoretische Physiker und Sachbuchautor Carlo Rovelli hat eine Idee: „Der Tunnel würde “zurückfedern” und sich wieder ausdehnen. Das würde das Schwarze Loch in ein Weißes Loch verwandeln, das uns Reisende dann wieder ausspucken würde“, sagt der Rovelli, der als einer der Shooting Stars seines Faches gilt.

Am 14. Mai spricht Rovelli auf Einladung des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Wiener Rathaus. Die Veranstaltung ist bereits ausgebucht, Einblicke in das spektakuläre Forschungsgebiet gibt Rovelli hier im Interview.

EINSTEIN HATTE RECHT

Sie werden über Weiße Löcher sprechen. Was ist das überhaupt?

Carlo Rovelli: Ich werde zuerst über Schwarze Löcher sprechen und erklären, was wir heute mit Sicherheit über diese Objekte sagen können, vor allem über ihr Inneres. Wir können mittlerweile Kollisionen zwischen Schwarzen Löchern anhand von Gravitationswellen nachweisen und haben mit Radioteleskopen sogar Fotos von supermassiven Vertretern gemacht. Wir haben mittlerweile also handfeste Beweise für die Existenz von Schwarzen Löchern, wie sie Einsteins Gleichungen seit dem Jahr 1915 vorhergesagt haben. Die Allgemeine Relativitätstheorie hat erneut Recht behalten. Das zeigt einmal mehr, dass wir der Theorie vertrauen können, auch bei Rückschlüssen auf das Innere eines Schwarzen Lochs.

VERWANDLUNGSKÜNSTLER SCHWARZES LOCH

Wie sieht es demnach im Inneren eines Schwarzen Lochs aus?

Rovelli: Zuallererst ist es von innen größer als von außen. In Richtung Zentrum würden wir einen sehr langen, dünnen Tunnel sehen, obwohl das Schwarze Loch von außen eine Kugel ist. Sobald wir den Ereignishorizont überquert haben und uns im Tunnel wiederfinden, sehen wir die Wände schrumpfen: Der Tunnel wird stetig länger und schmaler, während wir uns dem Zentrum nähern. Am Ende des Tunnels könnten wir die stark komprimierten Überreste des Sterns sehen, aus dem das Schwarze Loch einst entstanden ist. Dort versagen Einsteins Gleichungen und sagen eine Singularität voraus, weil der Tunnel unendlich dünn wird. Das ist aber falsch und Einstein wusste das auch: Sobald unser Tunnel eng genug wird, kommen nämlich Quanteneffekte ins Spiel, die in Einsteins Gleichungen nicht abgebildet sind. 

Jedes Schwarze Loch würde als Weißes Loch enden.

Was passiert, wenn wir das Zentrum erreichen?

Rovelli: Hier endet unser gesichertes Wissen über das Universum und alles weitere ist derzeit noch Spekulation. Um das Zentrum eines Schwarzen Lochs zu verstehen, brauchen wir eine Theorie der Quantengravitation und da gibt es leider noch keinen Konsens unter Physiker:innen. Wir haben aber zumindest ein paar sehr interessante Ideen und hier kommen die Weißen Löcher ins Spiel: Sie sind meine Lieblingsidee, um die Singularität im Innern von Schwarzen Löchern loszuwerden. Für eine Reise in ein Schwarzes Loch würde das bedeuten, dass der Tunnel immer enger und länger wird, aber nur bis an den Punkt, an dem die Quantengravitation relevant wird. Dann würde der Tunnel “zurückfedern” und sich wieder ausdehnen. Das würde das Schwarze Loch in ein Weißes Loch verwandeln, das uns Reisende dann wieder ausspucken würde. Die Idee ist spekulativ, aber jedes Schwarze Loch würde in diesem Szenario als Weißes Loch enden.

Wie lange würde es dauern, bis ein Schwarzes Loch zu einem Weißen wird?

Rovelli: Das hängt von der Größe des Schwarzen Lochs ab. Die großen Exemplare in den Zentren von Galaxien würden erst in extrem ferner Zukunft zu weißen Löchern werden. Aber kleinere Schwarze Löcher aus der Frühzeit des Universums könnten sich schon in Weiße Löcher verwandelt haben. 

Kleinere Schwarze Löcher aus der Frühzeit des Universums könnten sich schon in Weiße Löcher verwandelt haben. 

WEISSE LÖCHER SIND ÜBERALL

Könnten wir die Weißen Löcher entdecken?

Rovelli: Das ist ebenfalls spekulativ, aber es gibt die Idee, dass wir sie schon entdeckt haben, und zwar in Form von Dunkler Materie. Diese Weißen Löcher wären extrem klein, hätten etwa die Masse eines menschlichen Haares und würden geringste Mengen von Materie ausspucken. Ein direkter Nachweis wäre nur über die Gravitationswechselwirkung möglich und enorm schwierig, aber es gibt Ideen, wie man derart winzige Kräfte messen könnte. 

Ist ein Weißes Loch so schwer wie das Schwarze Loch, aus dem es entsteht?

Rovelli: Nein, die Masse wird nicht konserviert. Bevor ein Schwarzes Loch zum Weißen Loch wird, gibt es Energie in Form von Hawking-Strahlung ab und verliert langsam Masse. Der Übergang zum Weißen Loch kann erst stattfinden, wenn das Schwarze Loch schon sehr klein geworden ist. Nur winzige Schwarze Löcher können zurückfedern, deshalb sind auch alle Weißen Löcher sehr klein. 

Wie viele dieser Weißen Löcher müssten existieren, um Dunkler Materie zu erklären?

Rovelli: Sehr viele und sie wären überall: Ungefähr alle paar Monate würde eines davon durch jedes Haus fliegen. Mit sehr feinen Messgeräten könnten wir dann versuchen, die Gravitation eines solchen Weißen Lochs zu messen. 

Diese Weißen Löcher wären extrem klein, hätten etwa die Masse eines menschlichen Haares.

Was macht Weiße Löcher zu guten Kandidaten für Dunkle Materie?

Rovelli: Ich mag die Idee, weil Weiße Löcher direkt von Einsteins Gleichungen vorhergesagt werden, genau wie Schwarze Löcher. In den 1970er-Jahren dachten Physiker:innen noch, Schwarze Löcher seien eine kuriose Lösung der relativistischen Gleichungen und zu seltsam, um tatsächlich im Universum zu existieren. Aber Einstein hatte von Anfang an recht und ich glaube es ist plausibel, dass er auch mit den Weißen Löchern richtig lag. Wir hatten nur lange keine Ahnung, wie sie entstehen könnten. Dass sie aus Schwarzen Löchern hervorgehen, ist eine neue Idee, die reale Weiße Löcher deutlich plausibler macht.

Ist das Interesse an Weißen Löchern gestiegen, weil wir immer noch keine anderen Kandidaten für Dunkle Materie entdeckt haben?

Rovelli: Dunkle Materie ist eines der größten Rätsel der modernen Physik. Wir haben viele Beweise dafür, dass da etwas sein muss und fünf bis sechs brauchbare Hypothesen für eine Erklärung, aber keine davon konnte sich bisher durchsetzen. Ich mag die Weiße-Löcher-Hypothese auch deshalb, weil sie ohne neue Physik auskommt und bisher habe ich noch keine schwerwiegenden Kritikpunkte gehört. 

Einstein hatte von Anfang an recht und ich glaube es ist plausibel, dass er auch mit den Weißen Löchern richtig lag.

SIND QUANTEN- UND RELATIVITÄTSHTEORIE VEREINBAR?

Ist es denkbar, dass wir gänzlich ohne neue Physik zu einer Vereinheitlichung von Quantentheorie und Allgemeiner Relativitätstheorie komme können?

Rovelli: Die Natur sagt uns seit Jahrzehnten, dass unsere Theorien besser sind, als wir glauben. Das Standardmodell, das eigentlich nur als provisorische Lösung gedacht war, wird Mal um Mal bestätigt, während neue Ideen wie die Stringtheorie, die über bestehendes Wissen hinausgehen, bisher nicht experimentell bestätigt werden konnten. Vielleicht haben wir übertriebene Erwartungen an eine neue Physik und wissen nicht zu schätzen, was wir haben. Alle Nobelpreise der vergangenen Jahre, der Nachweis Schwarzer Löcher und des Higgs-Bosons, basieren auf bekannten Theorien. Die jüngsten Fortschritte im Bereich der Quanteninformation wurden allesamt schon in den 1960er und 70er-Jahren von Dirac und Heisenberg vorweggenommen. Die einzige Neuigkeit ist, dass es funktioniert. Wir machen keine neuen Entdeckungen, sondern neue Anwendungen für bestehende Theorien. 

Hat nicht die Inkompatibilität von Quantentheorie und Allgemeiner Relativitätstheorie dazu geführt, dass wir eine neue Theorie der Quantengravitation brauchen?

Rovelli: Ich sehe keine fundamentale Inkompatibilität zwischen den Theorien. Wenn wir schlau genug sind, können wir einen Weg finden, sie zu vereinen, ohne dass neue Physik notwendig ist. Es gibt mehrere Wege, wie das klappen könnte. Ich würde daher nicht sagen, dass wir heute keine Theorie der Quantengravitation haben, sondern dass wir uns noch nicht auf eine geeinigt haben. Jetzt gilt es, die Kandidaten mit Daten und Beobachtungen abzugleichen, um zu sehen, welcher Ansatz der richtige ist.

© Wikicommons/Fronteiras do Pensamento

 

AUF EINEN BLICK

Carlo Rovelli studierte Physik an der Universität Bologna und wurde 1986 an der Universität Padua promoviert. Als PostDoc war er am Imperial College London, an der Universität Rom, der Yale University und weiteren Physik-Institutionen. Ab den 1990er-Jahren war Professor an der University of Pittsburgh in den USA. 2000 wurde er Professor an der Universität Marseille.