Ist die Erde einzigartig?
Die Entdeckung zahlreicher erdgroßer Exoplaneten, mehrere von ihnen innerhalb der lebensfreundlichen - sogenannten habitablen - Zone ihrer Zentralgestirne, führt zu der Frage, welche Atmosphäre sie umgibt. Bis heute ist die Erde das einzige bekannte Beispiel eines Lebensraums mit einer Stickstoff-Sauerstoff-dominierten Atmosphäre, in der sich komplexes, sauerstoffatmendes Leben, darunter auch Tiere und der Mensch, entwickeln konnte. Dies wirft zwei grundlegende Fragen auf:
- Wie häufig gibt es Planeten wie die Erde, also lebensfreundliche Himmelskörper mit Stickstoff-Sauerstoffatmosphären?
und
Forschungslücke Ur-Atmosphäre
Ein erdähnlicher Planet muss bestimmte Anforderungen erfüllen, um lebensfreundliche Bedingungen für komplexes Leben zu ermöglichen. Darunter fällt zum Beispiel die Zusammensetzung des Planeten und die Menge an Wasser, die er im Laufe seiner Entstehung ansammeln und behalten kann. Aber auch die Menge an Wasserstoff und Helium, die ein wachsender Planet von der planetenformenden Scheibe aufnehmen kann, ist von großer Bedeutung. Dabei handelt es sich um jene Scheibe aus Gas, Staub und Asteroiden, die einen neuen Stern umgibt und Gas- und Gesteinsplaneten entstehen lässt.
Die Anreicherung von Wasserstoff, Helium und anderen Gasen, sogenannte primordiale Atmosphären oder Ur-Atmosphären, die sich aus planetenformenden Scheiben bilden, wurde bei Studien über potentielle lebensfreundliche Bedingungen erdähnlicher Planeten meistens übersehen. Diese Forschungslücke motivierte die IWF-Forscher nun dazu, den Einfluss von angereichertem primordialem Wasserstoff und Helium auf die Evolution erdähnlicher Planeten im Detail zu untersuchen.
Wie entwickeln sich Planeten und ihre Atmosphären?
Jüngste Beobachtungen von Exoplaneten enthüllten die Existenz einer großen Population massearmer Planeten mit ausgedehnten Wasserstoff-Helium-dominierten Atmosphären. Das Element Wasserstoff ist viermal leichter als Helium und entflieht daher - abhängig von der Masse des Planeten, seiner Umlaufbahn und der Strahlungsaktivität seines Sterns - verhältnismäßig einfach ins Weltall. Über lange Zeiträume kann es durch diesen Prozess dazu kommen, dass in extremen Fällen sogar eine reine Helium-Atmosphäre übrigbleibt. Um diese exotischen Atmosphären zu formen, muss ein Planet jedoch bereits innerhalb der Scheibe des Zentralgestirns eine bestimmte, mit der Erde vergleichbare Masse erreichen. Ansonsten wäre eine Wasserstoff- oder Helium-dominierte Atmosphäre gravitativ instabil und würde sich kurz oder lang zur Gänze ins Weltall verflüchtigen. Die Entdeckung massearmer Gesteinsplaneten mit ebensolchen primordialen Atmosphären innerhalb habitabler Zonen um Sterne würde demnach über deren Entstehungszeitskalen sowie über die Evolution der Strahlung des Sterns Aufschluss geben.

"Planeten, deren Masse unter jener der Erde liegt, verlieren ihre Ur-Atmosphäre", sagt Lammer.
"Bei unseren Untersuchungen haben wir herausgefunden, dass die angesammelte Ur-Atmosphäre innerhalb von hunderttausenden bis mehreren Millionen Jahren verloren geht, sofern die Masse des Planeten unter jener der Erde liegt. Massereichere Körper verlieren ihre primordiale Atmosphäre jedoch nicht, oder dieser Prozess kann mehrere hundert Millionen Jahre dauern", betont IWF-Gruppenleiter Helmut Lammer, Erstautor der Studie.
Untersucht wurde die Evolution der primordialen Atmosphären nach dem Verschwinden der planetenformenden Scheibe. Die Grazer Forscher haben sich dabei auf sonnenähnliche Sterne konzentriert, deren Strahlungsevolution im kurzwelligen Röntgen- und UV-Wellenlängenbereich in schwach aktiv, moderat aktiv und hoch aktiv eingeteilt wurde. Um die Verluste der Ur-Atmosphären für die unterschiedlichen Sternmodelle zu untersuchen, wurde ein hydrodynamisches Atmosphären-Modell für Wasserstoff um den Bestandteil Helium erweitert.
"Unser Modell zeigt auch, dass die Erde am Ende des protosolaren Nebels – etwa 4 Millionen Jahre nach Entstehung der Sonne – nicht zu ihrer vollständigen Größe angewachsen sein konnte. Wäre dem so, hätte unsere Erde nun eine dichte Helium-Atmosphäre und Leben, wie wir es kennen, wäre auf ihr wohl nicht möglich", sagt Ko-Autor Manuel Scherf vom IWF Graz.
Dichte Helium-Atmosphären machen komplexes Leben unmöglich
Die Forscher stellten fest, dass ein Planet, der je nach Strahlungsintensität des Sterns zwischen 95% und 125% der Erdmasse besitzt, Wasserstoff und Helium zur Gänze verliert. Für etwas größere Planetenmassen verhindert die Schwerkraft jedoch immer mehr den Verlust des schwereren Heliums, wohingegen der leichtere Wasserstoff noch immer entfliehen kann. Steigt die Planetenmasse weiter, kann auch das leichtere Gas nicht mehr entfliehen und beide verbleiben am Planeten.
Bemerkenswerterweise zeigen die Resultate der Studie, dass ein Planet, der gegen Ende der Scheibe des Zentralgestirns zu einer Erdmasse heranwächst und sich in der habitablen Zone eines schwach aktiven, sonnenähnlichen Sterns befindet, beträchtliche Mengen an Helium und Wasserstoff an sich binden kann. Etwa 200 bar Helium und 80 bar Wasserstoff würden auf dem Planeten für Jahrmilliarden zurückbleiben. Das entspricht dem 280-fachen Druck unserer heutigen Atmosphäre, dem dreifachen Druck der Venus-Atmosphäre oder dem Druck in einer Ozeantiefe von etwa 3 Kilometern. Wäre die Erde also bereits innerhalb der ersten 4 Millionen Jahre zu ihrer vollständigen Größe angewachsen, hätte sie noch heute eine dichte, Helium-dominierte Atmosphäre und komplexes Leben hätte sich auf ihrer Oberfläche wohl kaum entwickeln können. "Eine hohe Stimme wäre in diesem Fall dabei das kleinste Problem für die Entstehung und Evolution der Menschheit", schmunzelt Lammer.

Mini-Neptune gelten als häufigste Exoplanetenklasse
Nähert man sich größeren Planetenmassen, bleiben sehr dichte wasserstoffdominierte Atmosphären mit einem Druck von weit über 1.000 bar zurück, der über die gesamte Lebenszeit der Planeten nicht mehr verloren ginge. "Diese Planeten würden innerhalb ihrer habitablen Zonen als Mini-Neptune enden, die häufigste Klasse der bisher entdeckten Exoplaneten. Bei kleineren Sternen, die auch aktiver sind als sonnenähnliche Sterne, müssen diese Planeten jedoch mehr und mehr Masse besitzen, um ihre dichten Wasserstoffatmosphären zu behalten. Dieses Verhalten kann man in der bis dato entdeckten Planetenpopulation auch tatsächlich sehr gut erkennen", sagt Lammer.
"Diese Entdeckung wird die Wahrscheinlichkeit von komplexem und intelligentem Leben in unserer Milchstraße wohl noch weiter reduzieren", so Scherf.
Aus den Ergebnissen der Studie lässt sich die mögliche Existenz einer Population erdähnlicher Planeten innerhalb der habitablen Zone ableiten, deren Atmosphären von Helium dominiert sind und auf deren Oberflächen ein Druck von wenigen bis zu mehreren hundert bar herrscht. "Diese unerwartete Entdeckung wird die Anzahl habitabler, erdähnlicher Planeten - und demnach auch die Wahrscheinlichkeit von komplexem und intelligentem Leben in unserer Milchstraße - wohl noch weiter reduzieren", prophezeit Manuel Scherf.
Das niedrige Sauerstoff-Mischungsverhältnis, das für eine Helium-dominierte Ur-Atmosphäre erwartet wird, kann komplexes Leben, wie wir es von der Erde kennen, kaum aufrechterhalten. Es ist bekannt, dass Helium, das die Lungen von Säugetieren füllt, einen Diffusionsgradienten erzeugt, der den im Blut gespeicherten Sauerstoff auswäscht und dessen Gehalt innerhalb von Sekunden auf ein tödliches Niveau absinken lässt. Ein ausreichend hohes Sauerstoff-Mischungsverhältnis in der Atmosphäre ist jedoch der Schlüssel zur Evolution komplexer zentimeter- bis metergroßer Lebewesen - und auch der Menschen oder hypothetischer extraterrestrischer Zivilisationen. Erdähnliche Planeten, auch wenn sie sich in der habitablen Zone befinden sollten, sind demnach kein Garant, um tatsächlich lebensfreundliche Bedingungen für komplexe Lebensformen bereitzustellen.
Anhand der Forschungsergebnisse kann man schlussfolgern, dass ein gründliches Verständnis des komplexen Zusammenspiels zwischen der Geschwindigkeit der Massenanreicherung eines Planeten und der damit verbundenen Lebensdauer der Gasscheibe, der Anreicherung primordialer Atmosphären und der Aktivitätsentwicklung des Zentralgestirns, grundlegend sein wird, um die Entstehung erdähnlicher, habitabler Planeten, und somit auch die Entstehung komplexen Lebens, nachverfolgen zu können.
"Das Studium der Atmosphären von extrasolaren Planeten ist essentiell, um die Möglichkeit von Leben auf Planeten in der Galaxie zu verstehen", betont Helling.
"Diese Arbeit unserer IWF-Forscher zeigt, wie essentiell das Studium der Atmosphären von extrasolaren Planeten ist, um deren Entwicklung aber auch die Möglichkeit von Leben, wie wir es auf der Erde kennen, auf Planeten in der Galaxie zu verstehen, und letztlich zu suchen", betont IWF-Direktorin Christiane Helling.
Why space research matters - Wie speziell ist die Erde?
Um diese wissenschaftlichen Fragestellungen beantworten zu können, braucht es hochsensible und langlebige Instrumente, die im Rahmen des ESA-Wissenschaftsprogramms entwickelt werden. Nachhaltigkeit ist hier ein integraler Teil. Die zukünftigen Entdeckungen von Weltraumobservatorien wie PLATO oder HWO werden nicht nur unser Verständnis der Entstehungsgeschwindigkeit erdähnlicher Exoplaneten verbessern, sondern auch neue Fragen zur Habitabilität erdähnlicher Planeten aufwerfen. Die Charakterisierung ihrer Atmosphären wird darüber Aufschluss geben, wie häufig Helium-dominierte Ur-Atmosphären vorkommen. Diese Häufigkeit wird dann wiederum neue Erkenntnisse über die Entstehung der Erde, die Entwicklung von erdähnlichen Atmosphären und die Existenz außerirdischen Lebens bringen.
Publikation
H. Lammer, M. Scherf, N. V. Erkaev, D. Kubyskina, K. D. Gorbunova, L. Fossati, P. Woitke: Earth-mass planets with He atmospheres in the habitable zone of Sun-like stars, Nature Astronomy, doi.org/10.1038/s41550-025-02550-6, 2025
Kontakt
Doz. Dr. Helmut Lammer
T +43 (316) 4120-641
helmut.lammer(at)oeaw.ac.at
Dr. Manuel Scherf
T +43 (316) 4120-323
manuel.scherf(at)oeaw.ac.at