Wie lebensfreundlich ist unsere Galaxie?
Eine Sonderausgabe der wissenschaftlichen Zeitschrift Astrobiology geht der Frage nach, wie groß die maximale Anzahl von Gesteinsplaneten in unserer Galaxie ist, deren Atmosphären – ähnlich unserer Erde – von Stickstoff und Sauerstoff dominiert sind und so lebensfreundliche Bedingungen schaffen. Forscher des Grazer Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften kommen in ihren Studien zu dem Schluss, dass diese Planeten nicht sehr häufig vorkommen. Dieses wichtige Ergebnis stützt die sogenannte Rare-Earth-Hypothese und impliziert, dass komplexes Leben und außerirdische Intelligenz in der Milchstraße eher unwahrscheinlich sind.
Mikroorganismen oder komplexe Lebensformen?
Eine der wichtigsten wissenschaftlichen Fragen von heute ist, wie viele potenzielle erdähnliche Lebensräume in unserer Galaxie existieren und wie viele dieser Planeten im Prinzip Sauerstoff atmendes Leben beherbergen könnten. Laut den IWF-Autoren handelt es sich bei erdähnlichen Habitaten um Gesteinsplaneten, die sich nicht nur innerhalb der sogenannten habitablen Zone für komplexes Leben befinden. Es müssen dort außerdem besondere astro- und geophysikalische, sowie biologische Bedingungen erfüllt sein, um ein potenzielles Zuhause für Mikroorganismen, komplexe, Sauerstoff atmende Lebewesen und außerirdische Intelligenzen bieten zu können. Da eine Atmosphäre mit Sauerstoffkonzentrationen wie auf der Erde die einzige praktikable Energiequelle für die Entwicklung größerer, tierähnlicher Lebensformen darstellt, können andere mögliche Lebensräume wohl im besten Fall die Heimat primitiverer Mikroorganismen sein, so die Forscher des IWF.
Neue Formel für die Suche nach einer zweiten Erde
Die IWF-Forscher diskutieren in ihren Studien die grundlegenden Anforderungen und Grenzen für komplexe zentimeter- bis metergroße Sauerstoff atmende Lebensformen. Daraus leiteten sie eine Formel ab, die zur Berechnung der maximalen Anzahl erdähnlicher Habitate in unserer Galaxie angewendet werden kann. Im Gegensatz zu bekannten Gleichungen wie der Drake-Formel, bei denen viele Parameter hochspekulativ sind, berücksichtigt die neue Formel nur wissenschaftlich quantifizierbare Faktoren. Alle schlecht eingegrenzten Parameter, wie z. B. der Ursprung des Lebens, werden ignoriert. "Durch die Charakterisierung exoplanetarer Atmosphären werden zukünftige Weltraummissionen – wie PLATO, ARIEL oder LIFE – und große bodengestützte Teleskope in der Lage sein, viele der heute noch größtenteils unbekannten Faktoren fein abzustimmen und/oder einzuschränken", so IWF-Gruppenleiter Helmut Lammer, einer der beiden Erstautoren.
"Dieser Ansatz ermöglicht erstmals eine quantifizierbare Abschätzung der maximalen Anzahl erdähnlicher Habitate“, betont Lammer.
"Dieser neuartige wissenschaftliche Ansatz ermöglicht erstmals eine quantifizierbare Abschätzung nicht nur der maximalen Anzahl erdähnlicher Habitate, sondern insbesondere auch des komplexen Lebens, das in unserer Galaxie tatsächlich existieren könnte", betont Lammer. Die neue Formel gibt den Forschern somit erstmalig entscheidende Hinweise über die Häufigkeit komplexen Lebens in der Milchstraße. Sie ermöglicht Astronom:innen außerdem besser einschätzen zu können, welche Sternsysteme lohnende Ziele für die Suche einer zweiten Erde sein könnten. Ein wichtiges Ergebnis für aktuelle und zukünftige Weltraummissionen.
Ist die Erde einzigartig?
In einem zweiten Artikel demonstrieren die IWF-Forscher die Anwendbarkeit der neuen Formel, indem sie die maximale Anzahl erdähnlicher Habitate in unserer Galaxie ermitteln. Basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen berücksichtigt diese Abschätzung unterschiedliche stellare, galaktische und planetare Parameter. So werden etwa die gegenwärtige Anzahl von Sternen in der Milchstraße, die sogenannte galaktische habitable Zone und die Häufigkeit von Gesteinsplaneten mit Ozeanen und Kontinenten im richtigen Abstand zu ihrem Heimatstern implementiert. Erstmals wird dabei aber auch die Stabilität erdähnlicher Atmosphären in Wechselwirkung mit der Evolution verschiedener Sterntypen berücksichtigt. Dabei handelt es sich um einen entscheidenden Faktor, der in bisherigen Abschätzungen habitabler Planeten nie zum Tragen kam. "Erdähnliche Atmosphären können um etwas aktivere Sterne als unsere Sonne nämlich nicht existieren", betont IWF-Forscher Manuel Scherf, Erstautor der zweiten Studie. Darin werden auch die im Modell enthaltenen Parameter und weitere Faktoren, die für die Entstehung erdähnlicher Lebensräume und komplexen Lebens von großer Bedeutung sind, kritisch beleuchtet.
"Für eine andere Zivilisation in unserer Galaxie, wäre die Erde aufgrund ihrer Seltenheit durchaus ein lohnendes Ziel", so Scherf.
Basierend auf der neuen Formel zeigen die Grazer Forscher, dass es in unserer Galaxie maximal mehrere tausend bis hunderttausend erdähnliche Habitate geben kann, die für die Entstehung komplexer Lebensformen überhaupt in Frage kommen könnten. "Die von uns ermittelte Maximalanzahl ist bereits sehr gering. Komplexes Leben wird noch seltener sein", so Scherf. Zusätzliche, nicht berücksichtigte Faktoren werden diese Anzahl noch weiter reduzieren.
Wenn man eine durchschnittliche Lebensdauer für eine außerirdische Zivilisation von 10.000 Jahren - ein typischer Wert in SETI-Schätzungen – anwendet, stellt sich heraus, dass unsere technologische Zivilisation sogar die einzige sein könnte, die derzeit in der Milchstraße existiert. Gäbe es derzeit andere technologische Zivilisationen in unserer Galaxie, wären diese sehr wahrscheinlich wesentlich älter als unsere eigene. "Für diese könnte die Erde aufgrund ihrer Seltenheit durchaus ein lohnendes Ziel darstellen", spekuliert Scherf.
Why space research matters - PLATO und LIFE
Die Erforschung des Ursprungs, der Entwicklung, der Verteilung und der Zukunft des Lebens im Universum wird unter den Begriff Astrobiologie zusammengefasst. Astrobiologie ist eine disziplinübergreifende Wissenschaft, deren Ziel es ist, herauszufinden, ob und auf welche Weise Leben außerhalb der Erde existiert oder existieren könnte.
Diese Aufgabe verfolgt auch die ESA-Mission PLATO, die 2027 ins All starten wird, um eine Million sonnenähnliche Sterne nach erdähnlichen Planeten abzusuchen. Das Weltraumteleskop wird die Schlüsselinformationen (Planetenradius, mittlere Dichte, Masse, physikalische Beschaffenheit, …) liefern, die benötigt werden, um herauszufinden, ob auf diesen unerwartet vielfältigen neuen Welten lebensfreundliche Bedingungen herrschen. Die in der Konzeptphase befindliche Weltraummission LIFE könnte in weiterer Folge die Atmosphären dieser Planeten auf Spuren von Leben untersuchen. Damit werden PLATO und LIFE die tiefgreifende und fesselnde Frage beantworten: Wie häufig sind Welten wie die unsere und sind sie für die Entwicklung von Leben geeignet? Diese Missionen werden unser Verständnis der Planetenbildung, der Entwicklung von Planetensystemen und der Rolle der Menschheit im Universum revolutionieren.
Kontakt
Doz. Dr. Helmut Lammer
T +43 316 4120-641
helmut.lammer(at)oeaw.ac.at
Dr. Manuel Scherf
T +43 316 4120-323
manuel.scherf(at)oeaw.ac.at
Publikationen
H. Lammer and M. Scherf: Preface to Eta-Earth Revisited: How Common Are Earth-like Habitats in the Galaxy?, Astrobiology, doi:10.1089/ast.2024.0116, 2024
H. Lammer et al.: Eta-Earth Revisited I: A Formula for Estimating the Maximum Number of Earth-like Habitats, Astrobiology, doi:10.1089/ast.2023.0075, 2024
M. Scherf et al.: Eta-Earth Revisited II: Deriving a Maximum Number of Earth-like Habitats in the Galactic Disk, Astrobiology, doi:10.1089/ast.2023.0076, 2024
Mary Ann Liebert Press Release