Von der Biologie zu den Technowissenschaften - Wissenschaftlicher Wandel als Herausforderung für die Technikfolgenabschätzung

Die enge Verknüpfung von Lebenswissenschaften und Biotechnologien gilt heute bereits als so selbstverständlich, dass man das eine sagen, aber das andere meinen kann. Welche Bedeutung hat diese Verschmelzung aber für Wissenschaft und Gesellschaft?

Das durch den FWF geförderte Projekt widmete sich dieser Frage. Dabei ging es auch um eine (Neu-)Positionierung von Technikfolgenabschätzung in Hinblick auf neue Technowissenschaften wie synthetische Biologie oder computergestützte Hirnforschung.

Hintergrund

Zur Zeit ihrer disziplinären Herausbildung im 19. Jahrhundert wurde die Biologie noch der (Natur-)Philosophie hinzugerechnet. Kaum hatte sie sich als Naturwissenschaft emanzipiert, sprach man auch schon von den „Biotechnologien“. Im 20. Jahrhundert wurde Biologie begrifflich bald mit der medizinischen Forschung zu den Lebenswissenschaften zusammengefasst. Inhaltlich blieb die Beziehung zwischen Biologie und Biotechnologie unklar.

Das Schlagwort des gerade begonnenen 21. Jahrhunderts ist „Bio Engineering“ – ein Begriff, der sich selbstbewusst von der „alten Biotechnologie“ abzugrenzen weiß. Geht es bei all diesen Umbenennungen nur um geänderte Sprachgewohnheiten oder eine medienwirksame Neuverpackung des gleichen Inhalts? Oder stehen die neuen Schlagworte tatsächlich für neue Forschungsansätze, eventuell sogar für fundamentale Verschiebungen im Selbstverständnis von Forschung und der Rolle von Wissenschaft in der Gesellschaft?

Auch die Technikfolgenabschätzung (TA) kommt nicht umhin, sich solchen Fragen zu widmen. Eine TA der Biologie als Naturphilosophie oder auch Naturwissenschaft erscheint – zumindest auf den ersten Blick – wenig angebracht. Gesellschaftliche Folgen einer Philosophie oder Wissenschaft abzuschätzen zählt nicht zum Standardrepertoire von TA. Eine TA zu Biotechnologien wird hingegen vielfach eingefordert und durchgeführt: man denke nur an die Bewertung möglicher gesellschaftlicher Folgen Roter oder Grüner Gentechnik. Wie eine TA zu den neuen Spielarten des „Bio Engineering“ – etwa der synthetischen Biologie oder der computerbasierten Neurobiologie – aussehen könnte, darüber wird gerade viel und heftig diskutiert.

Methoden und Ergebnisse

Empirisch widmete sich das Projekt der gleichzeitigen Existenz unterschiedlicher Orientierungen, die alltägliche Forschungspraxis strukturieren: Liegt die Hauptmotivation der Forschenden in der Generierung neuer Erkenntnisse, der Entwicklung technologischer Methoden oder der Schaffung synthetischen Lebens? Dieser Frage wurde in Interviews, Laborbesuchen, teilnehmender Beobachtung in der Lehre und institutionellen Fallstudien nachgegangen. Als theoretische Bezugspunkte dienten Karin Knorr-Cetinas soziologisches Konzept der „epistemischen Kulturen“ und eine Neukonzeption von „Technowissenschaft“, wie sie durch den Technikphilosophen Alfred Nordmann und andere vorgestellt worden ist. Beide Ansätze wurden in der These einer spezifisch „techno-epistemischen Kultur“ kombiniert. Um diese These auszuarbeiten, wurden vier Fragestellungen in den Blick genommen:

  1. Wie kann die Bedeutung epistemischer Gemeinschaften und Kulturen für die modernen Lebenswissenschaften theoretisch gefasst werden?
  2. In welchem Ausmaß sind die gegenwärtigen Lebenswissenschaften durch eine oder auch mehrere spezifische epistemische Kulturen geprägt und wie werden diese in unterschiedlichen Praxiskontexten relevant?
  3. Kann man diesbezüglich zu Recht von einem Wandel der epistemischen Kultur in den Lebenswissenschaften des 21. Jahrhunderts sprechen?
  4. Welche Bedeutung geben wir als Gesellschaft der techno-epistemischen Kultur der neuen Lebenswissenschaften?

Der ursprünglich stark auf Praxen orientierte analytische Ansatz wurde dabei zusehends um einen Fokus auf wissenschaftliche Institutionen und deren organisationellen Wandel, wie auch auf den Wandel von Identitätskonstellationen erweitert. Die neu hinzugekommenen Forschungsinteressen konnten in einem internationalen Workshop und in Folge in einem eigenen Projekt, gefördert durch die Stadt Wien verfolgt werden. Diese Erweiterung zeugt von maßgeblichen theoretischen Erweiterungen, die durch dieses Projekt ermöglicht wurden. Zudem konnten auf der erarbeiteten empirischen, wie theoretischen Basis mögliche wissenschaftliche, wie auch gesellschaftliche Auswirkungen einer Neuorientierung der Lebenswissenschaften diskutiert und in neue Ansätze einer „TechnoWissenschafts“-Bewertung und -Governance integriert werden.

Laufzeit

10/2014 - 09/2019

Projektteam

Finanzierung