06.11.2018

Zurück zum Anfang aller Dinge

Die Teilchenphysikerin Johanna Stachel simuliert mit der Kollision kleinster Teilchen bei höchsten Energien am CERN Momentaufnahmen des Urknalls. Bei der Lise-Meitner-Lecture an der ÖAW erklärte sie, wie sie mit diesen Forschungen mehr über den Anfang aller Dinge herausfinden möchte.

© CERN

Vor 13,8 Milliarden ereignete sich nach kosmologischem Standard-Modell der Urknall: In der Sekunde 0 war alle Materie auf einem einzigen Punkt konzentriert, bevor sich innerhalb von kleinsten Sekundenbruchteilen alle existierende Materie, Raum und Zeit mit rasender Geschwindigkeit ausbreiteten. Zu diesem Zeitpunkt war Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie außer Kraft gesetzt - eine alternative Theorie gibt es noch nicht, um den Zustand am Anfang unseres Universums sowie den Urknall zu beschreiben.

Was passierte also am Anfang von allem? Wie gehen Physiker/innen bei der Erforschung des Urknalls vor? Und was hat all das mit Teilchenforschung zu tun? Diese und mehr Fragen beantwortete Kernphysikerin Johanna Stachel, frühere Direktorin der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, in ihrer Lise-Meitner Lecture am 7. November in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zum Thema „Erforschung von Urknallmaterie an der Weltmaschine LHC“ – und hier im Interview:

Frau Stachel, wie kann man ihre Forschung mit einem Satz beschreiben?

Johanna Stachel: Wir versuchen, am Teilchenbeschleuniger die Uhr zurückzudrehen und für bestimmte Teilchen mit schweren Atomkernen einen Zustand herzustellen, wie er für Sekundenbruchteile nach dem Urknall existiert hat.


Zu diesem Zweck forschen Sie am Urzustand der Materie, dem Quark-Gluon Plasma.

Stachel: Ja – beim Quark-Gluon Plasma handelt es sich um einen Materiezustand, wie er im frühen Universum existiert hat - und zwar auf einer Zeitskala zwischen Pico- (0,000 000 000 001 Sekunden) und Mikrosekunden (0,000 001 Sekunden) nach dem Urknall. Im Quark-Gluon Plasma sind die fundamentalen Bausteine von Materie, die Quarks und Gluonen, nicht in Protonen gebunden, sondern sind aus ihrer Bindung befreit.


Wie stellen Sie und Ihre Kolleg/innen am CERN das Quark-Gluon Plasma her?

Stachel: Um das Plasma zu erzeugen, sind extrem hohe Temperaturen nötig – ungefähr das 200.000-fache der Temperatur im Inneren der Sonne! Durch Kollisionen von Atomkernen bei sehr hohen Energien, wie etwa am Large Hadron Collider (LHC) des CERN können wir das Quark-Gluon-Plasma erzeugen. Das ist regelmäßig wiederholbar und wird am CERN typischerweise einmal jährlich für vier Wochen gemacht – einige Tausend mal pro Sekunde.

Um das Plasma zu erzeugen, sind extrem hohe Temperaturen nötig – ungefähr das 200.000-fache der Temperatur im Inneren der Sonne!


Ist die Arbeit am LHC ein Nine-to-Five-Job? Und wie ist das Verhältnis aus Experimenten und theoretischer Vorbereitung?

Stachel: Das ist extrem zeitabhängig: So haben wir etwa von 1999 bis 2009 die verschiedenen Detektoren für das ALICE-Experiment in unseren verschiedenen Labors weltweit – auch an ‚meiner‘ Universität Heidelberg – gebaut, sie in der unterirdischen Kaverne des CERN installiert und in Betrieb genommen. Im Moment betreiben wir Proton-Proton- sowie Blei-Blei-Kollisionen, für acht Monate im Jahr und rund um die Uhr. Danach werden die Daten in einem weltweiten Computernetzwerk ausgearbeitet und theoretisch interpretiert.


Wie sind Sie auf Ihren Forschungsgegenstand gekommen?

Stachel: Ich habe eigentlich Chemie studiert und bin während meiner Diplomarbeit via Gammaspektroskopie (Messung des Spektrums der Gammastrahlung einer radioaktiven Strahlungsquelle, Anm.) in die Physik gerutscht – die mich bald viel mehr interessiert hat. Nach meiner Promotion hatte ich das Glück, mit einem Stipendium für ein Jahr in die USA gehen zu können.  


Wie ging es dann weiter?

Stachel: Aus dem einen Jahr wuerden letztendlich 13 Jahre, in denen ich bereits als Assistenzprofessorin und später Professorin an der Stony Brook University (US-Staat New York, Anm.) gearbeitet habe. 1996 erhielt ich eine Physikprofessur in Heidelberg, wo ich die Vorbereitungen für die LHC-Forschungen mit Kern-Kern-Kollisionen zur Produktion von Quark-Gluon-Plasma auf solide Füße gestellt habe. Gemeinsam mit anderen deutschen Gruppen entwickelten wir ein Detektorkonzept, haben die Finanzierung gesichert und die nötigen Detektoren schließlich gebaut.


Worum geht es in Ihrer Lise-Meitner Lecture, was erwartet das Publikum?

Stachel: Ich erkläre, wie man so hohe Temperaturen im Labor messen kann. Außerdem möchte ich zeigen, wie man beweisen kann, dass Quarks und Gluonen unter diesen Bedingungen tatsächlich nicht gebunden sind, sondern sich über große Dimensionen frei bewegen können – eben wie im Zustand direkt nach dem Urknall.

 

Johanna Stachel ist gebürtige Münchnerin und Kern- sowie Teilchenphysikerin, die am Teilchenbeschleuniger LHC des Genfer CERN forscht. Sie lehrt an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und ist Sprecherin des Teilchenphysik-Forschungsprojekts ALICE. Darüber hinaus war Stachel von 2012 bis 2014 Präsidenten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

Für eine Lise-Meitner Lecture kommt Johanna Stachel am 7. November nach Wien. In ihrem Vortrag „Erforschung von Urknallmaterie an der Weltmaschine LHC“ (18 Uhr, ÖAW-Festssal) berichtet sie über den Stand der Forschung. Im Anschluss an Stachels Vortrag wird die Ausstellung „Lise Meitner und ihre ‚Töchter‘. Physikerinnen stellen sich vor“ in der Aula der ÖAW eröffnet.

Lise Meitner Lecture am 7.11.